Die Demokratische Republik Kongo ist ein Staat mit vielen Problemen. Nach zwei großen Kriegen (und einem, der noch andauert), liegen Staatswesen und Infrastruktur völlig am Boden, ein nennenswertes Bildungs- oder Gesundheitswesen existieren nicht, und die Lebenserwartung liegt bei weniger als 60 Jahren. Ein Großteil der Bevölkerung ist unterernährt.
Noch viel schlimmer war die Situation wohl in der Zeit, als der Kongo eine Privatkolonie des belgischen Königs Leopold II. war. Selbst nach den Maßstäben der Kolonialzeit beutete der König das Land besonders grausam aus. Schätzungen gehen davon aus, dass das Land zwischen 1880 und 1920 die Hälfte seiner Bevölkerung, rund 10 Millionen Menschen, verlor. Mit der Umwandlung in eine offizielle belgische Kolonie wurde die Situation nur etwas besser, und Belgien entließ das Land 1960 deutlich unfreiwillig in die Unabhängigkeit und mischte sich weiterhin in die kongolesische Politik ein.
Archiv der Kategorie: Spielen und Lernen
Die Siedler von Kallalabad
Ich guck ja selten Filme oder Serien, aber da ich jetzt Urlaub hatte, habe ich mal eine Ausnahme gemacht und mir Das Institut – Oase des Scheiterns angesehen. Da geht es um ein deutsches Sprach- und Kulturinstitut im fiktiven zentralasiatischen Staat Kizbekistan. Hat acht Folgen, und die letzte dreht sich um eine einigermaßen legendäre Sechserpartie Siedler (auch wenn sie zum Räuber irritierenderweise Ritter sagen). Man muss eigentlich die ersten sieben Folgen sehen, um das Finale zu genießen, aber ich fand es insgesamt auch einigermaßen lohnend und zum Teil richtig lustig (vielleicht auch, weil ich selbst Deutsch für Erwachsene unterrichte, wenn auch an einem weniger dramatischen Standort). Wer neugierig geworden ist, findet die Serie hier.
Prototypen aus der siebten Klasse
Nein, mit diesem Titel möchte ich nicht etwas den Verriss eines veröffentlichten Spiels einleiten, ganz im Gegenteil, ich bin begeistert: Es gibt wieder die gesammelten Werke einer Klasse aus St. Louis zu entdecken. Kathleen Mercury, die ich vor ein paar Monaten schon mal gepriesen hatte, unterrichtet dort Spieldesign. Zweimal im Jahr präsentiert sie die Arbeiten ihrer Schüler/innen auf Boardgamegeek. Soeben ist die 15. Ausgabe erschienen. Wer gern ein paar Nachwuchs-Spieleautor/innen ermutigen möchte (und des Englischen mächtig ist), sollte sich das mal ansehen und vielleicht ein paar Daumen oder Kommentare und Fragen dalassen. Für die Schüler/innen ist es eine große Motivation, wenn sich andere Leute für ihre Arbeiten interessieren. Also auf!
Pure Schönheit
Wahrscheinlich wissen nicht so viele Leute hier, dass ich mal orientalische Sprachen studiert habe – Tibetisch vor allem, aber mit diversen anderen habe ich mich auch beschäftigt. Fremde Alphabete haben dabei für mich immer eine besondere Anziehungskraft gehabt, ich habe immer lieber in tibetischer Schrift geschrieben als in Umschrift. Eine wunderbare Schrift! Auch Birmanisch, Mongolisch, Thai und was mir sonst noch so über den Weg gelaufen ist, habe ich geliebt. Mittlerweile arbeite ich in einem völlig anderen Bereich und habe vieles vergessen, nicht aber meine Begeisterung für die Vielfalt der Schriften auf der Welt.

Daher ist es mir eine besondere Freude, dass es gerade ein Crowdfunding-Projekt gibt, das es sich zum Ziel gesetzt hat, Kindern ihre einheimischen Alphabete nahezubringen, damit diese nicht in Vergessenheit geraten. Und zwar in Form von Spielen. Das Geld, das durch die Kampagne aufgebracht wird, soll die Entwicklung und das Verschenken von Spielen finanzieren (zunächst für Indonesien und Bangladesh). Wer es unterstützen mag, bekommt aber auch eine kleinere Belohnung (obwohl man hier eher falsch aufgehoben ist, wenn man nur darauf schielt). Ich finde das Ganze ein unheimlich wichtiges Anliegen und hoffe sehr, dass Initiator Tim Brookes damit Erfolg hat. Wer das jetzt gar nicht nachvollziehen kann, sollte sich einen Besuch auf der Kickstarter-Seite trotzdem nicht entgehen lassen. Da gibt es unheimlich Schönes zu sehen. Wenn Ihr davon noch nicht genug habt, gibt es hier noch mehr.
Spiele entwickeln lernen
Es gibt so Leute, die sind in der Spieleszene eine Legende. Für die einen mag das Stefan Feld sein, für andere Tom Vasel, für mich ist es zum Beispiel Kathleen Mercury. Ich habe sie zwar leider noch nie persönlich getroffen, verehre sie aber aus mindestens zwei Gründen sehr. Zum einen hat sie schon anderthalb Spieletitel für mich erfunden, nämlich für Mission Impractical und zum Teil für Tricky Bid. Zum anderen ist sie Lehrerin an einer Schule und unterrichtet dort in einer Hochbegabtenklasse Spielentwicklung. Ja, ernsthaft. Zweimal pro Jahr stellt sie auf Boardgamegeek die Prototypen ihrer Siebtklässler/innen vor, und wenn Ihr Euch für sowas auch nur ein bisschen interessiert (und Ihr Englisch könnt), solltet Ihr da unbedingt mal reingucken. Es sind jedes Mal Spielideen dabei, die (auch thematisch) einfach verblüffend sind. Traut Euch auch ruhig, den einen oder anderen netten Kommentar abzugeben, denn sowas ist für die Nachwuchsautor/innen eine tolle Bestätigung. Die 23 Prototypen aus diesem Semester findet Ihr hier.
P.S.: Meine beiden oben genannten Gründe hängen letztlich sogar zusammen. Bei Mission Impractical kam der Titel zwar von Kathleen, aber es gab dazu eine denkwürdige Brainstorming-Sitzung in ihren Klassen.
Herr Bosch erklärt ein Spiel
In einem meiner meiner Lieblingsbücher über die deutsche Sprache stieß ich neulich mal wieder auf einen kurzen Text von Manfred Bosch. Ich zitiere mal:
Also, das ist so: Du ziehst hier los, und mit jedem Auge, das du gewürfelt hast, rückst du um ein Feld weiter vor. Auf den Feldern sind bezeichnete Objekte, die du kaufen kannst, wenn du willst. Am besten, du suchst immer eine ganze Straße zu kaufen, dann kannst du darauf bauen, hier, diese grünen und roten Häuschen. Die Preise stehen auf den Kärtchen, die dir die Bank gibt, wenn du sie kaufen willst. Wenn dann einer auf dein Feld kommt, muß er Miete zahlen, und zwar um so mehr, je größer du gebaut hast. Was also in die einzelnen Häuser reingesteckt wird, zahlt sich unbedingt aus. Andererseits, wenn du auf das Feld eines anderen gerätst, mußt du zahlen. Verstehst du? Du mußt also versuchen, den anderen fertigzumachen und ihm die ganzen Häuser vor der Nase wegzukaufen. Wenn du auf ein Feld kommst, auf dem „Ereignisfeld“ steht, nimmst du von dem Haufen in der Mitte eine Karte ab und liest sie laut vor. Da ist dann immer irgendetwas los. Das wirst du ja noch sehen. Und dann gibt es noch ein Feld, auf dem steht ‘Gemeinschaftsfach’. Dann nimmst du halt dort eine Karte weg, aber das ist nicht so wichtig. Jetzt bist du dran, los, würfle! ¹
Was hier einfach einigermaßen amüsant klingen mag, zeigt für Spieler/innen durchaus ein relevantes Problem auf: Wie sollten Spielregeln eigentlich aussehen? Gibt es da überhaupt einen Königsweg? Auf ein „so wie im Beispiel oben besser nicht“ können wir uns wahrscheinlich schnell einigen. Aber was ist eigentlich das Problem in dem Text von Manfred Bosch (der wenig überraschend „Monopoly. Eine Spielbeschreibung“ heißt)? Es ist ja nicht im eigentlichen Sinne etwas falsch. Wenn die Mitspieler/innen das Spiel kennen und den Neuling ein wenig beraten, funktioniert eine solche Anleitung womöglich sogar – nur führt eine Teilnahme am Spiel nach solch einer Anleitung wahrscheinlich nicht wirklich zu einem befriedigenden Spielerlebnis.
Eigentlich ist die Sache ganz einfach: Es fehlt ein Ziel. Warum sollte jemand all diese beschriebenen Dinge tun? Weil die Anleitung es sagt? Das Spielziel steht doch unbedingt im Vordergrund. Oder, um Reiner Knizia zu zitieren: „Remember: When playing a game, the goal is to win, but it is the goal that is important, not the winning…“ Was zuerst paradox klingen mag, ist eine sehr intelligente Beobachtung. Ein Spiel funktioniert nur, wenn alle das Spielziel verfolgen. Wenn jemand nur so vor sich hinspielt und die anderen Spieler/innen ignoriert oder sinnlos sabotiert, kann das Spielerlebnis schnell kaputt gehen. Man muss zwar nicht gewinnen (das tut ja in der Regel nur eine/r), aber man muss gewinnen wollen.
Nebenbei stieß ich auf eine wissenschaftliche Untersuchung der Textsorte „Spielanleitung“ von Simone Grossmann, die darin ebenfalls Manfred Bosch zitiert (wenngleich nicht ganz korrekt). Ihre Arbeit ist voller Fachvokabular, das für Leute, die mehr an Spielen als an Linguistik interessiert sind, wahrscheinlich eher schwierig zu verstehen ist. Noch stärker fällt allerdings für mich ins Gewicht, dass sie sich auf die blanke Theorie beschränkt. Sie beschreibt also, wie sich Manfred Boschs Text formal von einigen von ihr untersuchten tatsächlichen Spielanleitungen unterscheidet, lässt dabei aber außer Acht, welche Art der Anleitung in einer realen Situation tatsächlich besser funktioniert. Und obwohl sie zugibt, dass sie viel zu wenig Spielanleitungen zum Vergleich herangezogen hat, war ihre Auswahl schon bei Erscheinen ihres Artikels im Jahre 2002 rettungslos veraltet: Nobody is Perfect war zu diesem Zeitpunkt bereits zehn Jahre alt, alle anderen zitierten Spiele nochmal zumindest ein weiteres Jahrzehnt (nebenbei führt sie seltsamerweise nicht auf, aus welchen Ausgaben ihre Zitate stammen). Aus einer heutigen Perspektive wirkt das schon sehr antiquiert. Vielleicht sollten wir uns aber auch einfach nur freuen, dass die Anleitungen seit ihrer Untersuchung so viel besser geworden sind?
Und in der Tat, in den untersuchten Anleitungen fehlt in fast allen Fällen das einleitend genannte Spielziel. Und mal ganz ehrlich – wann habt Ihr das letzte Mal ernsthaft eine Spielanleitung in der Hand gehabt, in der das fehlte? Das ist schon extrem selten geworden. War das zu der Zeit, als Bosch seine Monopoly-Beschreibung schrieb (1975), tatsächlich so normal? Auch die heute verfügbare Anleitung von Monopoly erklärt zuerst das Spielziel.
Eine weitere Bemerkung bei Grossmann legt ohnehin eine nur sehr oberflächliche Beschäftigung mit Spielen nahe (es geht dabei um eine Spielanleitung in einem Deutsch-Lehrwerk): „Die Anregung zur selbständigen Erweiterung des Spiels, die dem eigentlichen Anleitungsteil nachgestellt ist, wirkt nicht inadäquat, obwohl sie in einer authentischen Spielanleitung nicht vorkäme, da Erfinder von Spielen gerade auf ihre exklusive Rolle angewiesen sind.“ Natürlich gibt es eine ganze Reihe von Spielen, die zum Erweitern und Verändern von Regeln auffordern. Ein besonders bekanntes Beispiel ist die Würfelpyramide „Spiel“ von Reinhold Wittig, die es auch schon seit 1980 gibt. Und heutzutage ist das Internet voll mit offiziellen, halboffiziellen und völlig inoffiziellen Varianten zu Spielen (das mag 2002 noch nicht absehbar gewesen sein).
Schließlich noch: Alle von Grossmann untersuchten Spiele haben meiner Erfahrung nach eins gemeinsam: Sie sind soweit traditionelle Spiele geworden, dass kaum noch jemand die Anleitung von vorne bis hinten liest. Jede/r geht davon aus, die Regeln zu kennen, was beispielsweise bei Monopoly dazu geführt hat, dass es kaum noch jemand nach den Originalregeln zu spielen scheint. Kommt jemand Neues dazu, erklärt es jemand anders aus dem Gedächtnis. Sozusagen wie bei Manfred Bosch (nur hoffentlich etwas übersichtlicher und mit einer Erwähnung des Spielziels). Ich erinnere mich noch, dass ich als Kind in Kartenspielen gelegentlich Skatregeln fand. Diese waren nie vollständig, sondern nur als Erinnerungshilfen gedacht, denn man ging offenbar davon aus, dass die eigentlichen Spielmechanismen ohnehin bekannt seien (ich bin dann konsequenterweise kein sehr guter Skatspieler geworden ;-)).
Das ist bei neuen Spielen anders, und in einer Zeit, wo tausend Neuerscheinungen im Jahr auf die Spielewelt einprasseln, kommt es wirklich vor, dass Spieler/innen zusammen eine Regel lesen. Aber auch hier gilt: Einfacher ist es, wenn es jemand aus der Runde schon kennt und erklären kann. Deshalb heuern die größeren Verlage für die Messe in Essen eine Menge Leute an, nur um Spiele zu erklären. Und wer einen Spieleabend plant und schon weiß, was gespielt werden soll, ist gut beraten, die Regeln vorher zu lesen und nicht erst, wenn die Gäste ungeduldig am Tisch sitzen. Hier hat Grossmann nun wieder einen Volltreffer gelandet, als sie formuliert, dass „einige Rezipienten für Freizeitbeschäftigungen möglicherweise nur eine eingeschränkte Konzentrationsbereitschaft aufbringen“. So ist es.
¹Manfred Bosch: Monopoly. Eine Spielanleitung Erschienen in: Hans-Joachim Gelberg (Hrsg.): Menschengeschichten, Beltz Verlag 1975. Zitiert nach Wolfgang Rug/Andreas Tomaszewsk: Grammatik mit Sinn und Verstand, Klett 2001.

Spielen mit und ohne Weltkrieg
Vor einiger Zeit fiel mir mehr oder weniger zufällig eine ältere volkskundliche Magisterarbeit mit dem Titel „Gesellschaftsspiele im Ersten Weltkrieg“¹ in die Hände. Inzwischen habe ich die endlich mal gelesen und einiges dabei gelernt.
Die zentrale Fragestellung war, ob (beziehungsweise wie sehr) der erste Weltkrieg einen Einfluss auf die Gesellschaftsspiele seiner Zeit hatte. Zuvor war offenbar ein sehr starker Einfluss angenommen worden, sozusagen eine Militarisierung des Spieltisches. Bei seinen Recherchen im Archiv des Ravensburger-Verlages² fand Autor Rüdiger Erbe allerdings heraus, dass dieser Einfluss viel weniger massiv war als vermutet. Zwar gab es natürlich eine Reihe von Kriegsspielen im Verlagsprogramm, die sich auch ganz gut verkauften, aber die Nachfrage war offenbar geringer als erhofft, und andere Spiele ohne Kriegsbezug dominierten deutlich.
Natürlich ist die Definition von Kriegsspielen nicht so ganz einfach. In Deutschland haben klassische historische Kriegssimulationsspielen den Massenmarkt kaum erreicht, es gibt zwar eine ganze Menge davon und auch eine nicht völlig kleine Schar von Fans dieses Genres, aber für die Normalspieler/innen sind die Spiele entweder abstrahiert (man denke nur an Schach) oder aber in Fantasywelten oder die ferne Zukunft verlegt. Wo man da seine persönliche Geschmacklosigkeitsgrenze zieht, ist individuell verschieden.
In der Zeit vor dem und um den Ersten Weltkrieg (und sicherlich zumindest auch noch bis zum Zweiten) hatte wohl eine deutliche Überzahl der veröffentlichten Spiele einen Bildungs- oder gar Erziehungsauftrag. Spiele sollten Wissen vermitteln, während der Spaß nicht betont werden sollte (zumindest in früheren Jahrhunderten auch durch den Einfluss der Kirchen, die das Spiel als solches negativ bewerteten). Spaß machte das den Leuten damals vermutlich trotzdem, und so wurden altbekannte Spielkonzepte wie Quartettspiele oder Würfellaufspiele mit einem Thema versehen und auf den einzelnen Feldern oder Karten Texte dargeboten, bei denen man etwas über das Thema lernen konnte (und auch sollte). Erbe führt ein „Militärisches Würfelspiel“ von 1820 an, in dem man vorrückt, wenn man auf Felder wie „Tapferkeit“ oder „Liebe zu König und Vaterland“ gerät, während „Trunkenheit“ und „Murren gegen Verordnungen“ Sanktionen nach sich ziehen. Hier geht es also nicht um reine Wissensvermittlung, sondern gleich darum, wie man sich richtig zu verhalten hat.
Das „Geschichtliche Quartett“, das bei Ravensburger in mehreren Auflagen ab 1912 erschien, sollte letztlich Vaterlandsliebe vermitteln; die Ereignisse auf den Karten wurden natürlich durch eine deutschnationale Brille betrachtet dargestellt. Ausländische Monarchen machten Fehler, deutsche wurden allenfalls mal zu solchen gezwungen. Besonders interessant fand ich aber die Schilderung (und Abbildungen) von „Schwarzer Peter im Weltkrieg“. Die Kartenpaare waren jeweils Soldaten einer kriegführenden Nation, mit nationalistischen Stereotypen geschmückt (Pfeife rauchende Engländer, Gänse stehlende Russen, etc.), der Schwarze Peter selbst, der „Urheber allen Übels“, ist eine kaum versteckte Anspielung auf Peter I. von Serbien.
Wer heute historische Kriegssimulationen auf den Spielemarkt bringt, hat wohl weniger den Anspruch, die Spieler/innen zu guten Soldat/innen oder Patriot/innen zu machen. Das ist sicherlich ein Unterschied zwischen heute und vor hundert Jahren. Natürlich lässt sich nicht mehr klar feststellen, wie sehr der Verlag dabei damals nur den Zeitgeist widerspiegelte (also sich selbst keine politische Rolle gab), aber moralische Belehrungen gehörten damals eben zum Zeitgeist in Gesellschaftsspielen. Das ist heute nicht mehr der Fall.³
Nicht alle lehrreichen Spiele waren politisch so aufgeladen. Die besonders beliebten Reisespiele brachten die Spieler/innen in Gedanken in ferne Regionen oder gar Länder, die für die meisten Menschen damals völlig unerreichbar gewesen sein dürften (obwohl Brettspiele damals ohnehin eher eine Beschäftigung des Bürgertums waren, zumal sie für Leute mit geringem Einkommen ziemlich teuer erschienen sein müssen).
Insgesamt finden sich also im Ravensburger-Verlagsprogramm der 1910er-Jahre kaum innovative Spielkonzepte, sondern überwiegend thematische Neubearbeitungen alter Ideen. Einige der Spiele mit Kriegsbezug stellen zumindest in dieser Beziehung Ausnahmen dar, denn hier scheint es ganz neue Regelwerke gegeben zu haben. Wie auch bei typischen Kriegssimulationsspielen heutzutage bedeutet das vor allem, dass es verschiedene militärische Einheiten mit verschiedenen Bewegungsmöglichkeiten und Kampfstärken gibt, sowie unterschiedliche Geländearten mit Einfluss auf das Kampfgeschehen. Insofern kann man wohl schon sagen, dass der kriegerische Hintergrund der Epoche einen Einfluss auf den Spielemarkt gehabt haben dürfte, wenn auch nicht die Rede davon sein kann, dass Kriegsimulationen plötzlich zum beherrschenden Thema am Spieltisch geworden wären.
Insgesamt ging die Auflage des gesamten Verlagsprogramms zurück, sowohl weil viele kleine Zulieferbetriebe aufgegeben werden mussten, als ihre Inhaber in den Krieg zogen, als auch weil die Exportmärkte (die schon damals für Ravensburger sehr wichtig waren) wegfielen. Auch gab es nur sehr wenige Neuerscheinungen, und dies waren eben die Kriegsspiele, aber viele Spiele aus dem Vorkriegsprogramm wurden weiter produziert oder neu aufgelegt und erfreuten sich großer Beliebtheit. Auch im Krieg wollten viele Leute eben im Spiel lieber durch die Alpen oder den Wilden Westen reisen als auf’s Schlachtfeld.
Doch auch wenn die Kriegsspiele das Verlagsprogramm oder die Spieleszene insgesamt nicht dominierten, ist der Einfluss des Krieges nicht wegzuleugnen. Erbe führt hier einige interessante Beispiele an. Schon 1903 erschien ein Spiel namens „Der Weltkrieg“, bei dem man mit einem „ganz ungefährlichen Apparat“ (Verlagswerbung ) Figurenscheiben mit Portraits der „wichtigsten Völker der Erde“ abschießen sollte. Betont wurde also der harmlose Spaß (das Spiel war mit insgesamt 337 verkauften Exemplaren allerdings ein Flop). Im tatsächlichen Weltkrieg ging es dann auch im Kriegsspiel viel härter und realistischer zu, und mit dem Ende des Krieges verschwanden die Kriegsspiele dann fast unmittelbar aus dem Programm. Verständlich, hatte die Kundschaft doch vom Krieg endgültig die Schnauze voll (um dann einige Jahre später, im Zweiten Weltkrieg, doch wieder solche Spiele zu kaufen).
In einer Form profitierte auch Ravensburger vom Krieg: Die mit Abstand bestverkauften Spiele während des Ersten Weltkrieges waren schmucklose Brettspiele im Feldpostformat (68 Gramm leicht). Das waren aber keine expliziten Kriegsspiele, sondern abstrakte Klassiker wie Dame oder Mühle.
Nicht mehr völlig greifbar sind aus heutiger Sicht die Gründe, warum die Kriegsspiele keinen größeren Erfolg hatten. Einerseits mag das daran gelegen haben, dass die Leute im Spiel eben weniger reale Themen haben wollten, sondern in ihrer Fantasie lieber Reisen in unerreichbare Regionen machen wollten. Einen anderen Aspekt fand ich aber auch noch interessant. Während das meiste Spielzeug damals sehr geschlechtsspezifisch beworben wurde, war das bei Tischspielen weniger der Fall (das ist ja auch heute noch so) – hier wurden Jungen und Mädchen gemeinsam beim Würfelspiel gezeigt. Und da Kriegssimulationen als Zielgruppe eindeutig Jungen hatten, waren sie vielleicht insgesamt auf dem Spielemarkt weniger dominant.
Ganz neu war für mich das Thema Autorinnennennung (das lasse ich jetzt mal in der femininen Form – sieht einfach irre aus mit den drei Doppel-N) in dieser Zeit. Während sich die Nennung des Autors oder der Autorin ja erst nach längeren Auseinandersetzungen ab den Achtzigern des 20. Jahrhunderts durchgesetzt hatte, gabe es offenbar schon vor hundert Jahren die Namensnennung auf den Spieleschachteln, die dann erst später wieder verschwand. Rudolf Rühle hat in der Spielbox 5/2006 mehr dazu geschrieben. In seinem Artikel wiederum stieß ich auf die Namen einiger früher Autoren, zu denen ich noch nichts weiter weiß (vielleicht ist bei Gelegenheit noch mal eine Ergänzung des Artikels über meinen Vorfahren fällig).
Für die Forschung von unschätzbarem Wert ist sicherlich das Ravensburger-Archiv, das wohl als einziges Archiv eines deutschen Spieleverlages so weit zurück reicht. Dabei geht es natürlich nicht allein darum, dass die alten Spiele zu einem erheblichen Teil noch vorhanden sind, sondern auch um Verlagskorrespondenzen, Verkaufszahlen, Kataloge und sonstige Werbeschriften und so weiter. Die Bedeutung einer solchen Institution kann man gar nicht hoch genug einschätzen.
Bei der Lektüre von Rüdiger Erbes Magisterarbeit ist mir jedenfalls klar geworden, wie wenig Hintergrundwissen ich über mein liebstes Hobby eigentlich habe. Natürlich lese ich hier und da auch mal was, aber in den Bereichen Geschichte des Spielens, Geschichte des Verlagswesens, der Veränderung der gesellschaftlichen Bedeutung von Spielen und so weiter und so weiter habe ich doch noch reichlich Lücken. Das Literaturverzeichnis der Arbeit ist lang und enthält einige ganz spannend klingende Sachen, aber die sind natürlich auch alle schon wieder mindestens um die 20 Jahre alt. Da muss ich mich mal sehen, wie ich mich auf den neuesten Stand bringen kann.


¹„Gesellschaftsspiele im Ersten Weltkrieg. Eine kulturhistorische Untersuchung zur Struktur und Funktion der Brett- und Tischspiele von 1910 bis 1919 am Beispiel des Otto Maier Verlages in Ravensburg.“ Unveröffentlichte Magisterarbeit von Rüdiger Erbe, Freiburg 1998
² Ravensburger ist der heutige Name des „Otto Maier Verlag“. Um da nicht immer hin und her zu springen, benutze ich hier nur den Namen „Ravensburger-Verlag“.
³ Auch wenn uns moralische Belehrungen in Gesellschaftsspielen heute etwas seltsam vorkommen mögen, ist die Wissensvermittlung als solche natürlich keineswegs vom Markt verschwunden. Man denke nur an so etwas wie Top Trumps – eine einzige Spielidee wird in unendlichen Varianten angeboten, die jeweils letztlich Wissen über ein Spezialgebiet enthalten und beim Spiel auch vermitteln, wie wohl alle bestätigen können, die in ihrer Kindheit Auto-, Schiffs- oder Sonstwas-Quartette gespielt haben.
Ich will das auf Deutsch!
Vor einigen Jahren fand ein Spiel durch Zufall den Weg in unsere Sammlung, das wir seither mehr gespielt haben als fast alle anderen (gut 250mal) und das wir noch lange nicht satt haben. Die Rede ist von Train of Thought, einem Partyspiel der kanadischen Autoren Sen-Foong Lim und Jay Cormier. Zu meinem ganz großen Leidwesen gibt es von dieser Perle keine deutsche Ausgabe, sonst würde ich sie längst im Sprachunterricht einsetzen.
Train of Thought besteht aus einem Würfel, einer Sanduhr (2 Minuten) und einem Haufen Karten. Auf diesen befinden sich jeweils sechs Wörter, meist einfachere Sachen, aber auch ein paar speziellere sind dabei. Wenn man dran ist, nimmt man sich einen Stapel Karten, deckt die oberste davon auf und würfelt. Die gewürfelte Zahl markiert das Startwort auf der Karte. Nun sieht man sich die nächste Karte an und sucht das Wort mit der gleichen Zahl – dieses ist das Zielwort, das die anderen Spieler/innen erraten sollen. Dann überlegt man sich einen Weg vom Start- zum Zielwort. Wenn man bereit ist, dreht man die Sanduhr um und gibt einen Hinweis, der aus exakt drei Wörtern bestehen muss, von denen eins das Startwort sein muss. Alle anderen dürfen nun bis zu einmal raten, was gemeint sein könnte. Wenn das Zielwort nicht dabei ist (und das ist es nur selten), sucht man sich nun eines der geratenen Wörter aus und benutzt es als neues Startwort auf dem Weg zum Ziel. Das wiederholt man so lange, bis das Zielwort erraten wurde. Dann nimmt man sich eine neue Karte und das alte Zielwort wird das neue Startwort. Wenn die Sanduhr abgelaufen ist, zählt man, wie viele Karten man geschafft hat – das sind mal sieben oder noch mehr, mal nur drei, das schwankt nach der Spieler/innenzahl. Wer Zielwörter erraten hatte, nimmt sich für jedes davon ebenfalls eine Karte. Wenn jede/r zweimal dran war, endet das Spiel und jede Karte ist einen Siegpunkt wert.

Letztlich benutzt Train of Thought also ein altbekanntes Konzept: Man muss die anderen Leute dazu bringen, ein Wort zu erraten, darf es aber selbst nicht sagen und hat beim Beschreiben gewisse Einschränkungen. Tabu, Activity und andere sind mit diesem Konzept zu Millionenerfolgen geworden. Train of Thought nicht, das ist mit der ersten Auflage schon wieder ein bisschen in der Versenkung verschwunden. Dabei sind in meinen Augen die Hinweise, die man bei Train of Thought gibt, allemal lustiger als etwa bei Tabu – bei Tabu muss man in seinen Beschreibungen bestimmte Wörter vermeiden, bei Train of Thought ist man gezwungen, ein bestimmtes Wort zu benutzen. Das ist ein tolles Konzept, das immer wieder für Lacher gut ist. Auch der Wiederspielreiz ist höher, denn wenn man zum Beispiel bei Tabu öfter mit den gleichen Leuten spielt, kann man immer wieder auf die gleichen Hinweise zurückgreifen. Bei Train of Thought gibt es ja für ein Wort jeweils eine andere Ausgangslage.
Ich fürchte, dass das Problem an Train of Thought ist, dass die Leute sich zu sehr an die Regeln zu halten versuchen. So ist es beispielsweise verboten, einen Zwei-Wort-Hinweis zu geben und das Startwort einfach unverbunden hinzuzufügen. Das ist eine sinnvolle Regel, aber im Eifer des Gefechts kann sowas eben passieren, genau wie die versehentliche Verwendung eines vierten Wortes. Wer dann das Spiel unterbricht, um über Strafpunkte oder irgendsowas zu diskutieren, beraubt das Spiel seines Spielflusses, und das ist tödlich.
Und da kommen wir bei einem Dilemma an, dem ich mit einem eigenen Spiel auch schon mal gegenübergestanden habe. Es gibt Leute, die interessiert bei einem Partyspiel nur der Spielspaß, die Punkte überhaupt nicht, die zählen das am Ende allenfalls beiläufig. Und andere, für die ein Spiel ohne Gewinner/in überhaupt kein Spiel ist, Nun kann man die Leute problemlos zusammen an einen Tisch setzen – alle spielen nach den Regeln und einige ziehen mehr Spaß aus den verrückten Geschehnissen im Spiel und die anderen aus der Motivation, möglichst viele Punkte zu kriegen. Leider harmoniert diese Mischung aber nur dann gut, wenn das Wertungssystem wenigstens reibungslos funktioniert und keine Unzufriedenheit hervorruft. Und das ist leider bei Train of Thought nicht uneingeschränkt der Fall. Für meine Frau und mich ist das völlig egal, wir spielen es sogar zu zweit sehr oft, obwohl man zu zweit automatisch immer gleich viele Punkte hat (das ist also dann ein kooperatives Spiel, bei dem wir gemeinsam versuchen, möglichst viele Punkte zu bekommen). Auch andere Sachen nehmen wir nicht so ernst – wenn wir meinen, ein Wort nicht zu schaffen (oder weil das gesuchte englische Wort zu schwer ist), schmeißen wir die Karte einfach ab und machen mit der nächsten weiter. Na und? Aber anderen geht das eben nicht so, und ich habe im Netz eine Menge Kommentare in dieser Richtung gelesen.
Vielleicht müsste man bei Train of Thought also etwas am Wertungssystem ändern, damit mehr Leute es lieben. Aber wie gesagt, ich selbst brauche das gar nicht. Nur eine deutsche Version hätte ich fürchterlich gern, denn ich kann zwar gut Englisch, aber man braucht natürlich eine ganze Gruppe, die die Sprache vergleichbar gut beherrscht, sonst fühlt sich leicht jemand abgehängt. Und Deutsch würde sich wegen seiner viel flexibleren Wortbildung für das Spielkonzept wirklich anbieten. Dass auch in Deutschland immer weniger Leute wissen, was ein Wort ist, ist bedauerlich, aber wie gesagt, wenn man das nicht so bierernst nimmt, kann man mit Train of Thought eine Menge Spaß haben. Ich jedenfalls habe bei wenigen Spielen so viel gelacht wie bei diesem.
Gesamtwertung: 9/10
Train of Thought
von Jay Cormier und Sen-Foong Lim
Illustrationen: Gavan Brown
Verlag: Tasty Minstrel Games, 2011
Spiele im Sprachunterricht (Teil 2)
Hier kommt die Fortsetzung von letzter Woche.
WORTSCHATZSPIELE
1. Äpfel zu Äpfeln
Äpfel zu Äpfeln hat sich millionenfach verkauft und ist trotzdem im deutschen Sprachraum nie auch nur annähernd so erfolgreich gewesen wir im englischen. Das mag zum Teil an der recht lausigen Qualität der deutschen Ausgabe gelegen haben, vielleicht ist der deutsche Markt auch einfach anders.
Das Grundprinzip ist einfach: Es gibt grüne und rote Apfelkarten. Auf den grünen stehen Adjektive, auf den roten Nomen / Ausdrücke / Eigennamen und Ähnliches. Man bekommt eine Anzahl rote Karten auf die Hand, dann wird eine grüne aufgedeckt. Jede/r muss jetzt möglichst schnell verdeckt eine Karte aus der Hand ausspielen (wer am schnellsten ist, kann noch eine zweite dazulegen). Der/die aktive Spieler/in mischt nun die ausgespielten Karten, deckt sie auf und muss entscheiden, welche der roten Karten ganz subjektiv am besten zu der grünen Adjektivkarte passt. Wer diese rote Karte gespielt hatte, bekommt die grüne als Punkt, die Handkarten werden wieder aufgefüllt und die nächste Runde beginnt. Wer nach einer bestimmten Zahl von Runden am meisten grüne Karten hat, gewinnt.
Das Spiel ist gar nicht spektakulärer, als diese Beschreibung jetzt klingt. Trotzdem ist Äpfel zu Äpfeln für den Unterricht sehr wertvoll. Für das Wortschatzlernen ist es ja entscheidend, dass man die Wörter untereinander verbindet und in ein bestehendes Netzwerk aus Wörtern einfügt. Genau das macht Äpfel zu Äpfeln. Im Idealfall schließen sich natürlich noch Diskussionen über die Entscheidungen an, aber das lässt sich nicht immer erzwingen. Zumindest eine kurze Begründung kann man aber erfragen (das hängt natürlich auch vom Lernstand ab).
Das Spielmaterial lässt sich natürlich auch anderweitig einsetzen, zum Beispiel als Kennenlernspielchen (da spielt man ganz ohne Adjektive – eine/r bekommt von allen anderen eine bis zwei rote Karten, mischt diese und entscheidet sich dann für die, die ihm/ihr am besten gefällt, oder am wenigsten, oder was auch immer. Da kann man beliebige Vorgaben machen).
Vorbereitungen/Regelanpassungen:
Äpfel zu Äpfeln enthält ziemlich viele Karten (insbesondere, wenn man mit einer oder beiden Erweiterungen spielt), von denen man einige aussortieren muss. Erstens sind leider eine ganze Reihe Karten mit Druckfehlern enthalten, zweitens muss man natürlich Wörter wählen, die einigermaßen an den Lernstand der Gruppe angepasst sind. Man kann ruhig auch neue Wörter dabei einführen, aber es sollte halt nicht die Mehrzahl sein. Ein bisschen Vorbereitung bleibt also nicht aus.
In den ersten Runden lasse ich die Möglichkeit, eine zweite Karte zu spielen, meist weg, das kann man immer noch einführen, wenn das Spielprinzip sitzt.
Äpfel zu Äpfeln
von Mark Alan Osterhaus und Matthew Kirby
Deutsch bei Pegasus, 2005
Es gibt auch zwei Erweiterungen, die man ohne das Grundspiel verwenden kann.
2. 1000 Zahlwörter
Ziemlich unbekannt dürfte Tausend Zahlwörter sein, ein vom Göttinger Dyskalkulie-Therapeuten Harald Schmidt entwickeltes und verlegtes Spiel, das bei mir in jedem Grundkurs mindestens einmal zum Einsatz kommt. Es besteht vor allem aus Karten, auf denen Zahlen als Wörter ausgeschrieben stehen (eins – zwölf, zwanzig, dreißig…, neunzig, hundert, tausend), sowie ein paar „und“-Karten und Karten mit aufgedruckten Ziffern.
Eine Karte kommt offen auf den Tisch, und die Spieler/innen bekommen ein paar Karten auf die Hand. Wer dran ist, muss versuchen, die Zahl auf dem Tisch zu vergrößern. Dafür kann man entweder alle oder einen Teil der vorhandenen Karten ersetzen, oder aber etwas anlegen (meist unter Einsatz einer der „und“-Karten, die für alle erreichbar bereitliegen). Liegt also auf dem Tisch beispielsweise Zwei-und-dreißig, kann ich alles durch eine Vierzig von meiner Hand ersetzen, oder die zwei durch eine Fünf ersetzen (Fünf-und-dreißig), oder auch eine Hundert davorlegen (Hundert-zwei-und-dreißig), etc. Anschließend fülle ich meine Handkarten wieder auf. Wer keine Karte mehr legen kann, bekommt einen Minuspunkt und es beginnt eine neue Runde. Normalerweise ist die ausliegende Zahl dann eine hohe sechsstellige Zahl. Wer nach ein paar Runden die wenigsten Minuspunkte hat, gewinnt.
Das Spiel lässt sich einsetzen, sobald der Zahlenraum bis 100 erschlossen ist, denn alles, was darüber kommt, wird nicht mehr schwieriger. Also schon ungefähr in der zweiten oder dritten Lernwoche im Intensivkurs. Da die deutschen Zahlen gefürchtet sind, mache ich das sehr gern, denn es setzt einfach wunderbar die Zahlen in Wörter um und umgekehrt. Zwischendurch lasse ich dann mal jemanden die aktuelle Zahl mit den Ziffernkärtchen auslegen, um zu sehen, ob die Teilnehmer/innen eigentlich noch wissen, was gerade der Stand der Dinge ist. Der Lernerfolg ist in den meisten Fällen absolut greifbar, und damit ist schon im Anfänger/innenbereich eine große Hürde übersprungen. Während ich andere Spiele oft nach Gefühl und Gelegenheit heraushole, wenn es gerade gut zu passen scheint, ist Tausend Zahlwörter für mich ein unverzichtbarer Bestandteil des Grundstufenunterrichts.
Vorbereitungen/Regelanpassungen:
Das von mir verwendete Exemplar ist ein älterer Prototyp, den ich dem Autoren mal abgekauft hatte. Mittlerweile ist es aber auch „offiziell“ verlegt und kann beim Mungo-Verlag in Göttingen bestellt werden. Ich nehme für meine Zwecke die Zahlen zehn, elf und zwölf heraus, weil es mir um die größeren Zahlen geht. Zwar enthält auch Sechstausendzweihundertzwölf eine Zwölf, aber diese Möglichkeit muss ich nicht extra betonen. Wer Sechstausendzweihundertneunzehn versteht, muss die Zwölf nicht separat lernen, das ist also für mich verzichtbar.
1000 Zahlwörter
von Harald Schmidt
Mungo-Verlag, 2010
3a. Vidi
Vidi besteht aus 18 Bilderwürfeln, deren Bilder oft bewusst mehrdeutig gehalten sind. Wasser, das aus einem Hahn fließt? Hahn/Wasser/Fluss/Lauf und so weiter. Man würfelt mit allen Würfeln gleichzeitig und versucht dann, aus jeweils zwei Bildern Komposita zu finden. Es gibt dabei zwei Spielmodi: Entweder schreibt man alles auf, was man sieht (und streicht dann alles, was, auch andere haben), oder man greift die Würfelpaare, die man zusammengebaut hat und nimmt sie damit aus dem Spiel. Wer möchte, kann noch ein Spielbrett einsetzen, auf dem man möglichst schnell voranrücken möchte (ein Feld pro gefundenes Wort, mit ein paar Sonderfeldern, die das noch ein bisschen beeinflussen). Das ist schon alles.
Wenn man einen guten deutschen Wortschatz haben will, muss man sich irgendwann an die Komposita herantrauen, nicht nur an die auswendig gelernten, sondern auch experimentell an die noch unbekannten. Manchmal kommen dabei lustige Sachen heraus, aber es eröffnet einem halt auch eine große Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten.
Kleines Manko an Vidi: Die Produktionsqualität ist nicht überragend. Die Würfel muss man vor dem Spielen mit Aufklebern bekleben, die nach wiederholtem Spielen etwas speckig werden können. Auch das Spielbrett und die Pöppel sind ziemlich billig produziert.
Vorbereitungen/Regelanpassungen:
Ich nehme einfach das Spielbrett heraus, dann bin ich nicht an eine bestimmte Zeit gebunden. Aussortieren muss ich keine Würfel, denn die Teilnehmer/innen sehen darin einfach die Wörter, die ihrem Niveau ensprechen.
Vidi
von Keith Dugald and Steve Pickering
University Games, 2010
(englische Originalausgabe „Visual Eyes“, 2003 bei Buffalo Games)
3b. Papperlapapp
Ganz ähnlich wie Vidi funktioniert Michael Schachts Papperlapapp, nur dass dieses mit Karten statt mit Würfeln gespielt wird. Die Karten werden in einer Matrix ausgelegt, man bekommt ein Wort in die Hand, und wer ein Kompositum aus der Handkarte und einer ausgelegten Karte finden kann, darf sich das Kartenpaar nehmen. Auf den Karten stehen zwar Wörter drauf, es ist also stärker gelenkt als Vidi, aber der Clou ist, dass man dem gebildeten Wort genau einen Buchstaben hinzufügen oder weglassen darf. Bei Sonne + n + Blume brauche ich den für das Fugen-N, aber in manchen Situationen kann ich gleich ein ganzes Ausgangswort verändern. So wird aus Raum und Auto plötzlich ein Traumauto, und damit passt sich das Spiel schon fast von selbst an das Sprachniveau der Teilnehmer/innen an.
Vorbereitungen/Regelanpassungen:
Bei Papperlapapp kann man eigentlich gleich drauflos spielen. Die Regel, dass im Zweifelsfall der Duden entscheidet, ist natürlich außer Kraft gesetzt, es geht ja drum, dass die Leute Wörter entwickeln, die sinnvoll und verständlich sind. Da bin ich als Lehrkraft natürlich die letzte Instanz, aber mit sowas gab es noch nie Probleme.
Eine weitere Vorbereitung ist ein Besuch bei Ebay, wo man das Spiel für einen meist horrenden Preis bekommt, da es leider längst vergriffen ist. Ich habe auch selbst kein Exemplar, halte aber stets die Augen danach offen. Beide Spiele, Vidi und Papperlapapp, braucht man eigentlich nicht, und ich würde mein Vidi gern zugunsten eines Papperlapapp einmotten, wenn ich irgendwo ein bezahlbares Exemplar finden würde.
Papperlapapp
von Michael Schacht
Goldsieber, 2000
4. Word on the Street
Word on the Street ist alles andere als ein reines Wortschatzspiel. Es ist eigentlich ein Sprechspiel mit Wortschatz- und Rechtschreibungsaspekten. Auf dem Spielbrett ist eine vierspurige Straße abgebildet, auf deren Mittelstreifen Plättchen mit Konsonanten liegen (alphabetisch sortiert). Die Klasse wird in zwei einigermaßen gleich große Gruppen aufgeteilt, die sich auf jeweils eine Seite der Straße setzen.
Eine der Gruppen beginnt. Man zieht eine Aufgabenkarte, liest diese laut vor und dreht eine Sanduhr um. Die Aufgabe könnte zum Beispiel „eine rote Flüssigkeit“ lauten. Nun muss die aktive Gruppe sich möglichst schnell auf ein Wort einigen, das eine rote Flüssigkeit bezeichnet, dieses buchstabieren und jedesmal, wenn sie einen Konsonanten nennt, das entsprechende Konsonantenplättchen eine Fahrspur weit in ihre Richtung verschieben. Ein Buchstabe, der die Straße dabei verlässt, ist gewonnen und kann von der anderen Gruppe nicht mehr zurückerobert werden. Wer zuerst eine bestimmte Anzahl von Buchstaben gesammelt hat, gewinnt das Spiel.
Die Sanduhr läuft ziemlich kurz, so dass es vorkommen kann, dass sich eine Gruppe einfach nicht rechzeitig einigen kann. Manchmal sagt jemand einfach ein passendes Wort, das aber kaum Konsonanten enthält, manchmal findet die Gruppe nach längerem Überlegen ein wunderbares Wort mit jeder Menge Konsonanten, schafft es mit dem Buchstabieren aber leider nur noch bis zum dritten Konsonanten, bis die Sanduhr durchgelaufen ist. Währenddessen darf die andere Gruppe verbal stören und versuchen, die aktive Gruppe zu irritieren.
Word on the Street fordert die Lerner/innen also gleich auf mehreren Ebenen. Sie müssen die Frage verstehen und etwas dazu passendes finden, sie müssen sich unter Zeitdruck auf etwas einigen, und ein bisschen Rechtschreibung müssen sie auch noch können. Das kann in ein sehr kreatives Chaos münden.
Word on the Street macht auch in muttersprachlichen Spielgruppen großen Spaß, leidet aber deutlich unter dem geringen Wiederspielreiz (die Karten hat man nach vielleicht drei Partien durch, und Erweiterungskarten wie für englische Ausgabe gibt es für die deutsche leider nicht). Wie oben beschrieben ist das für den Sprachunterricht aber ziemlich egal, denn man kann es ja jeweils in verschiedenen Lerngruppen einsetzen, und dafür empfiehlt es sich sehr.
Vorbereitungen/Regelanpassungen:
Die Karten mit den Aufgaben sind beidseitig bedruckt, mit einer einfacheren und einer schwereren Seite. Ich sortiere meist selbst aus der einfacheren Seite noch die Hälfte der Karten aus, um es nicht zu schwierig zu machen. Sollte ich keine verwendbaren Karten mehr übrig haben, improvisiere ich notfalls einfach Fragen. Da das Spiel nach den Originalregeln recht unterschiedlich lang sein kann, kann man einfach eine bestimmte Spieldauer vorschlagen und dann gewinnt die Gruppe, die bis dahin am meisten Buchstaben erobert hat.
Word on the Street
von Jack Degnan
Amigo, 2013
5. Typo
Typo besteht aus Buchstabenkarten, von denen zu Beginn vier untereinander in die Tischmitte gelegt werden. Jede/r hat zusätzlich ein paar Karten in der Hand, sucht davon eine aus und legt sie verdeckt auf den Tisch. Gleichzeitig wird aufgedeckt, und in der Reihenfolge des Vorkommens im Alphabet müssen die Karten nun in der Mitte angelegt werden. Dabei muss ein Wort angesagt werden, in dem die neu entstandene Buchstabenkombination vorkommt. Wer kein Wort findet, muss die Hälfte des bislang längsten Wortbestandteiles auf die Hand nehmen. Der Rest des Wortes wird abgeräumt und durch den ausgelegten Buchstaben ersetzt.
Je weiter hinten im Alphabet der gelegte Buchstabe ist, desto größer ist die Gefahr, dass einem jemand den erhofften Legeplatz weggeschnappt hat und man keinen Alternativplatz findet. Dafür hat man eben die Hoffnung, dass schon vor einem jemand etwas nimmt und einen einzelnen Buchstaben zurücklässt, an den sich fast alles anlegen lässt. Wer zuerst keine Karten mehr hat, gewinnt.
So wie bei Äpfel zu Äpfeln Wörter und bei Vidi/Papperlapapp Wortbestandteile kombiniert werden, setzt man bei Typo Buchstaben im Kopf immer wieder neu zusammen. Dabei werde ich dann oft gefragt: „Gibt es ein Wort wie …?“ Die Lerner/innen erschaffen also auch hier Neues und probieren sich aus.
Vorbereitungen/Regelanpassungen:
In den Originalregeln müssen die Buchstaben einen Wortanfang bilden. Das ist viel zu schwer für Deutschlerner/innen und kann leicht in Frust ausarten, daher erlaube ich jede Buchstabenkombination, die irgendwo in einem benannten Wort auftaucht.
Typo
von Corné van Moorsel
Deutsche Ausgabe von University Games, 2010
(2014 erschien bei Cwali eine Weiterentwicklung namens Typo 2D, bei dem man wohl kreuzwortartig anbauen kann. Das habe ich selbst noch nicht ausprobiert, aber man sollte es auf alle Fälle zumindest ebenso gut benutzen können.)
GRAMMATIKSPIELE
1. Tic-Tac-Toe
Eigentlich gehört dieses Spiel gar nicht in diesen Artikel, in dem es ja vorrangig um Spiele geht, die man in einer Schachtel kauft und dann zu Lernspielen umwandelt. Tic-Tac-Toe braucht man nicht zu kaufen, und es ist auch wirklich an der Grenze dessen, was ich noch als Spiel begreife, aber man kann es hervorragend im Unterricht einsetzen, und daher führe ich es hier einfach mal mit auf.
Falls es auf diesem Planeten wirklich jemanden geben sollte, der es nicht kennt: Tic-Tac-Toe besteht aus drei mal drei Feldern, von denen man abwechselnd jeweils eins in Beschlag nimmt (und mit einem eigenen Symbol, meist Kreuz gegen Kreis) markiert. Wer es schafft, eine Dreierreihe mit den eigenen Symbolen zu füllen, gewinnt. Allerdings geht das Spiel immer unentschieden aus, wenn beide es auch nur halbwegs begriffen haben. Also völlig sinnlos.
Im Unterricht erfüllt es allerdings sehr wohl seinen Zweck. Praktischerweise braucht man eigentlich die Regeln kaum zu erklären, weil so gut wie jede/r es schon kennt. Es genügt, drei mal drei Felder an die Tafel zu malen, die Klasse in zwei Gruppen aufzuteilen und jeder Gruppe entweder Kreis oder Kreuz zuzuordnen. Anders als im Original füllt man die Felder allerdings vor dem Spielen mit Wörtern aus dem aktuellen Lernstoff. Nehmen wir als Beispiel unregelmäßige Verben: Eine Gruppe, die ein Feld markieren will, muss zuvor einen Satz bilden, in dem das Wort im entsprechenden Feld im Partzip II vorkommt. Schafft sie das, darf sie das Feld belegen, schafft sie es nicht, wische ich das Wort aus und schreibe ein neues hin. Man kann noch drauf achten, dass im mittleren Feld das schwierigste Wort steht. Besonders schön zu beobachten ist, dass sich die Diskussion innerhalb der Gruppen nicht nur auf das Bilden von Sätzen, sondern auch auf die beste Gewinnstrategie bezieht. So wird aus einem Antispiel ein wunderbares semi-kooperatives Lernspiel.
Vorbereitungen/Regelanpassungen
Man sollte sich vorher eine Liste mit verwendbaren Wörtern machen, nicht nur neun, sondern mehr, um Ersatzwörter zur Verfügung zu haben. Ansonsten siehe oben.
Tic-Tac-Toe
niemand weiß mehr, von wem das ist
Bekannt seit etwa 1300 vor Christus
Das war es für’s erste mit meiner kleinen Empfehlungsliste. Ich nutze auch noch diverse weitere Spiele im Unterricht, aber die hier vorgestellten decken schon ein ziemlich breites Spektrum ab. Wie gesagt, weitere Anregungen sind mir immer willkommen.
Update (14.2.2016): Ansonsten kann ich noch die Seite aktiv-mit-deutsch empfehlen, wo Florian Krug sich unter anderem mit Spielen im Deutschunterricht beschäftigt. Da sind auch ein paar handfestere Vorlagen zum Runterladen zu finden, sehr empfehlenswertes Zeug, wie etwa eine vereinfachte Fassung von Urs Hostettlers „Ein solches Ding“. Das Original hatte ich auch gelegentlich mal im Unterricht genutzt, es war für die meisten Gruppen allerdings zu schwer gewesen.
Spiele im Sprachunterricht (Teil 1)
Spielen heißt Lernen. Natürlich ist es möglich, etwas zu lernen, ohne dabei zu spielen, aber es ist fast unmöglich, zu spielen, ohne dabei etwas zu lernen. Es ist daher nur natürlich, dass Spiele auch beim gesteuerten Lernen, zum Beispiel in der Schule, eingesetzt werden. Anders, als es manchmal leider immer noch vermutet wird, können Spiele dabei nicht nur eine reine Abwechslung oder Auflockerung vom „richtigen“ Unterricht sein, zu der sich die Lehrkraft überreden lässt, wenn Zeit übrig ist, sondern ein zentraler Inhalt.
Ich selbst unterrichte Deutsch als Fremd- und Zweitsprache in der Erwachsenenbildung, meist mit angenehm kleinen Gruppen (unter zehn Leuten). Dabei versuche ich natürlich, viel zu spielen. Ohne einen direkten Vergleich zu anderen Fächern zu haben, erscheint mir der Sprachunterricht dafür besonders geeignet zu sein. Spielregeln guter Spiele ähneln ja eigentlich der Grammatik einer Sprache: Es wird ein Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen wir alle Freiheiten haben (sollten), und wir können völlig neuartige Strategien einsetzen, die für alle anderen überraschend kommen mögen, aber dennoch von allen verstanden werden. Je mehr man sich dabei ausprobiert, Erfolg hat oder scheitert, desto mehr lernt man, die Feinheiten der Sprache oder des Spiels zu beherrschen.
Nun gibt es natürlich sehr viele Möglichkeiten im Sprachunterricht zu spielen. Rollenspiele sind eine klassische Methode, und schon in meiner Schulzeit wurde versucht, dröges Abfragen von irgendwelchen Vokabeln durch Wettbewerbscharakter in eine Art spielerische Aktivität umzuwandeln. Der Erfolg dessen war in meinen Augen eher begrenzt, bei Dingen wie Eckenraten wurde zwar möglicherweise der Ehrgeiz einiger Schüler/innen geweckt, aber ansonsten hat es uns kaum sonderlich weitergebildet.
Mittlerweile gibt es eine geradezu unüberschaubare Anzahl von expliziten Lernspielen (als Anregung in Büchern, mit Kopiermaterial oder sonstigen Bauanleitungen, aber auch verkleidet als „normale“ Spiele mit pädagogischem Anspruch). Das Problem an diesen Spielen ist zuweilen, dass sie zwar ein Thema vermitteln, dabei aber leider überhaupt keinen Spaß machen. Dabei muss der Spaß doch im Vordergrund stehen! Ein Spiel, das hundert Fertigkeiten trainieren soll, aber keinen Spaß macht, trainiert letztlich eben gar keine Fertigkeit (außer vielleicht dem Verstauen von Spieleschachteln in abgelegenen Schränken). Der ganze Sinn des Einsatzes von Spielen im Unterricht ist ja, auf spielerische Weise etwas zu lernen, und das geht nur über den Spaß.
Wenn ich ein Spiel für den Unterricht auswähle, gucke ich also zuerst: Macht das Spaß? Wenn ja, was lernt man bei diesem Spiel? Wenn das nicht das ist, was ich gerade für nötig halte, kann man das Spiel dann vielleicht so verändern, dass die Mechanismen und der Spielspaß erhalten bleiben, aber der Inhalt an meine Vorstellungen angepasst wird? Das ist allemal einfacher und erfolgversprechender als ein langweiliges Spiel mit genau den richtigen Inhalten herzunehmen und zu versuchen, da irgendwie Spielspaß zu erzwingen. Einen Vorteil gegenüber Spielen außerhalb des Unterrichts gibt es noch – die allermeisten Spiele setze ich in einer Gruppe nur ein- oder zweimal ein. Während ich privat beim Kauf eines Spiels darauf achte, dass der Wiederspielreiz hoch ist, ist das bei den Spielen im Unterrichtseinsatz nicht unbedingt nötig, da ich die meisten Spiele in jeder einzelnen Gruppe nur einmal einsetze. Ein Knalleffekt und ein spannender Spielverlauf reichen.
Grundsätzlich sind alle Spiele, bei denen man durch Sprache miteinander kommuniziert, für den Sprachunterricht geeignet, denn man übt sich dabei ja im Unterrichtsinhalt. Trotzdem suche ich natürlich in der jeweiligen Unterrichtssituation Spiele aus, von denen ich mir eine Vertiefung oder Einführung des aktuellen Lernstoffs erhoffe. Viele Spielkonzepte lassen sich gut an die Grammatik- oder Wortschatzinhalte anpassen, die man gerade braucht. Für diesen Beitrag habe ich eine Reihe von Spielen herausgesucht, die ich kurz vorstellen möchte. Dabei will ich auch darauf eingehen, was ich aus den einzelnen Spielen herauszuholen versuche und wie ich sie gegebenenfalls verändere, um das zu erreichen. Die Liste ist auf gar keinen Fall vollständig, und ich freue mich immer über weiter Ideen, also her damit.
Vorweg eine kleine Warnung. Es empfiehlt sich keineswegs immer, den Schüler/innen zu sagen, dass man jetzt ein Spiel mit ihnen spielen will. Selbst heutzutage kommen noch Leute mit der Vorstellung in Sprachkurse, Spiele seien eine Ablenkung vom eigentlichen Lernen. Erfahrungsgemäß ist es dann wenig ergiebig, sich in längere Diskussionen darüber zu verstricken, dass das Spiel eine der ursprünglichsten Formen des Lernens ist (und eine der effektivsten). Die Vorstellung der Trennung von Spielen und Lernen ist manchmal so eingebrannt, dass sich das eben nicht mehr durch Erklärungen, sondern nur noch durch Spielen aufbrechen lässt. Eigentlich verfolge ich also zwei Ziele: Die Vermittlung von Sprache und die Vermittlung der Erkenntnis, dass Spiele sich gut zum Lernen eignen. Meist wirkt das ziemlich schnell, und ich kann bald auch das Wort „Spiel“ für unsere Lernaktivitäten benutzen. Vorher heißt es dann halt besser „Wortschatzübung“ oder sowas. Einen gewissen Wandel habe ich aber schon beobachten können. Vor zehn Jahren oder so war es noch häufig, dass mir Teilnehmer/innen sagten, sie seien nicht kreativ. Das ist natürlich Unsinn, denn das Sprechen als solches ist ja schon ein kreativer Akt. Ich kann in jeder Sprache Sätze bauen, die wahrscheinlich noch nie ganz genau so gesagt oder geschrieben wurden, und tue das auch oft. Darin liegt ein Zauber der sprachlichen Systeme – solange wir bestimmte Regeln einigermaßen einhalten, können wir etwas völlig neues sagen und dabei verstanden werden (siehe oben). Diese Teilnehmer/innen innerhalb eines Spiels dazu aufzufordern, kreativ zu sein, war aber wegen ihres Selbstbildes schwierig und ich habe das dann ein bisschen verkleiden müssen (hat so gut wie immer geklappt). Mittlerweile höre ich diesen Spruch aber auch gar nicht mehr, vielleicht war das auch eine Generationenfrage in bestimmten Herkunftsländern.
In Deutschland hat sich das Bild vom Spielen ja ebenfalls gewandelt – die ausschließlich glücksbasierten Würfellaufspiele mit aufgesetztem (oft erzieherischem) Thema, die vor hundert Jahren hierzulande den Spielemarkt dominierten, würden heute kaum noch jemanden hinter dem Ofen hervorlocken. Im Vergleich zu moderneren Spielen machen sie einfach kaum Spaß. Ich zumindest brauche Situationen im Spiel, in denen ich echte Entscheidungen treffe (mit „echte Entscheidungen“ meine ich, dass ich mich zwischen verschiedenen Wegen zu einem Ziel entscheiden kann, nicht nur zwischen einer absolut besseren und einer absolut schlechteren Möglichkeit).
Wie dem auch sei, die Teilnehmer/innen verstehen unter dem Wort „Spiel“ vielleicht einfach etwas anderes als ich, daher bleibe ich mit dem Begriff vorsichtig, wenn ich die Leute noch nicht so gut kenne.
Und noch eine Bemerkung zum Thema Gewinnen. Viele der von mir verwendeten Spiele haben einen Wettbewerbscharakter. So etwas kann ein Problem sein, wenn das Spielprinzip die „Alphaschüler/innen“ eindeutig bevorzugt (wie es etwa beim Eckenraten der Fall war). Man kann so etwas manchmal entschärfen, indem man Gruppen statt einzelner Leute gegeneinander antreten lässt (und diese gegebenenfalls selbst einteilt). Fast alle Spiele enthalten aber ohnehin Elemente, die verhindern (können), dass immer die gleichen Leute gewinnen. In manchen Fällen kann die Lehrkraft daher auch ruhig mitspielen. Außerdem ist mir aufgefallen, dass die allermeisten Schüler/innen sich zwar durchaus anstrengen, zu gewinnen, es aber kaum zu ernst nehmen, wenn sie verlieren. Natürlich nur, solange das Spielen selbst eben Spaß macht.
Die Spiele, die ich Euch nun vorstellen möchte, habe ich in vier Kategorien eingeteilt: Wortschatzspiele, Sprechspiele, Grammatikspiele und Aussprachespiele. Den Schwerpunkt lege ich auf die Wortschatz- und die Sprechspiele – nicht etwa, weil man Aussprache und Grammatik nicht so einfach spielerisch erlernen könnte, sondern weil sich mir da zu Lernspielen umfunktionierte „normale“ Spiele bisher nicht so sehr aufgedrängt haben, und um diese soll es hier ja vor allem gehen. Natürlich überlappen sich einige Kategorien auch. Heute fange ich mit den Sprechspielen und einem Aussprachespiel an, in der nächsten Woche sind dann die anderen beiden Kategorien dran.
SPRECHSPIELE
1. Tabu
Tabu ist wohl das Spiel, das ich im Sprachunterricht am häufigsten eingesetzt habe. Wahrscheinlich kennen es die meisten von Euch schon, daher hier nur eine ganz kurze Übersicht: Man hat Karten, auf denen oben ein zu erklärender Begriff steht, darunter fünf Tabuwörter. Die Aufgabe besteht darin, möglichst schnell den oberen Begriff so zu erklären, dass das eigene Team ihn erraten kann. Dabei darf man allerdings keins der Tabuwörter benutzen, was zu einigen Verrenkungen führt.
Tabu übt das Umschreiben von unbekannten Wörtern. Niemand kennt alle Wörter einer Sprache, auch Muttersprachler/innen nicht. Da wird man immer wieder Wörter umschreiben müssen, und darauf kann man die Lerner/innen mit Tabu hervorragend vorbereiten. Ich setze das Spiel besonders gern ein, nachdem ich Relativsätze eingeführt habe, aber man kann es eigentlich auf fast jedem Sprachniveau spielen.
Tabu gibt es mittlerweile in richtig vielen Versionen. Einige der neueren haben leider viele Prominentennamen als Ratebegriffe, und das taugt gar nichts, daher empfehle ich die Jagd nach einem gebrauchten Exemplar der Erstauflage. Es gibt auch ein Tabu Junior, mit einfachen Wörtern und nur jeweils drei Tabuwörtern pro Karte. Das habe ich ebenfalls im Einsatz.
Vorbereitungen/Regelanpassungen:
Um das Spiel vorzubereiten, hole ich gern ein Ding aus meiner Hosentasche heraus und zeige es den Lerner/innen mit der Bitte, es mir doch mal zu beschreiben. Das ist so ein hufeisenförmiges Metallding, mit dem man die Hose zusammenstecken kann, damit sie beim Fahrradfahren nicht in die Kette gerät. Normalerweise kennt niemand die Funktion dieses Dings, und wer es doch tut, kennt den Namen nicht. Auch nicht in der eigenen Muttersprache, also helfen auch Wörterbücher nicht unbedingt weiter, sondern nur Erklärungen und Umschreibungen. Daran kann ich dann schön demonstrieren, dass die Erklärung „ein etwa handtellergroßes, rundes, an einer Seite offenes Ding aus dünnem, flexiblem Metall, das ungefähr 20 Gramm wiegt und silberfarben ist“ überhaupt keinen Sinn hat, sondern nur die Erklärung der Funktion entscheidend ist. Das kann bei anderen Dingen anders sein, aber es hilft auf alle Fälle dabei, das Thema einzuführen.
Das Spielbrett, das es bei einigen Versionen gibt, lasse ich ganz weg. Meist teile ich die Klasse in zwei Gruppen und hole einfach jemanden nach vorne, der ein Wort erklären soll. Alle raten mit, und wenn jemand es gefunden hat, bekommt dessen Gruppe einen Punkt. Nach einer Weile nehme ich die Sanduhr dazu – wird das Wort innerhalb der Sanduhrfrist erraten, bekommt auch die Gruppe des Erklärers/der Erklärerin einen Punkt.
In jedem Fall wähle ich vor dem Spielen Karten aus, die zum Lernstand der Gruppe passen. Manchmal lasse ich auch ein Wörterbuch vorne liegen – wer dann ein Wort zieht, das er oder sie nicht kennt, darf die Bedeutung nachschlagen, aber während die Sanduhr läuft.
Tabu
von Brian Hersch
Deutsch bei MB, irgendwann Anfang der Neunziger
Tabu Junior
von Brian Hersch
Deutsch bei Parker, irgendwann um 2001 herum
2. Eselsbrücke
Ich habe Eselsbrücke zwar hier als Sprechspiel kategorisiert, aber es gehört unbedingt auch zu den Wortschatzspielen, weil man damit wunderbar demonstrieren kann, wie wichtig es ist, Wörter im Kontext zu lernen.
Bei Eselsbrücke geht es darum, kleine Geschichtchen zu erzählen und sich die Geschichten der anderen zu merken. Dazu zieht man ein paar Wortkärtchen (zu Beginn drei, später mehr) aus einem Beutel, legt sie vor sich aus und erzählt eine Geschichte, in der diese Wörter vorkommen. Danach legt man die Kärtchen auf einen verdeckten Stapel und der oder die nächste ist dran. Nachdem auf diese Weise jede/r ein paar Geschichten erzählt hat, nimmt man seinen ersten Stapel und verteilt die Kärtchen verdeckt an die im Uhrzeigersinn nächsten Spieler/innen. Reihum müssen diese nun jeweils ein anderes Wort aus der Geschichte nennen. Bei Erfolg bekommen sie das entsprechende Plättchen, bei Gedächtnislücken werden sie durch Verlust von Kärtchen bestraft. Es gibt noch ein paar Kniffe, aber das ist das Spielkonzept.
Eselsbrücke kann man irgendwann ab Sprachniveau B1 oder so einsetzen. Es eignet sich leider wirklich gut nur für Gruppen aus fünf oder sechs Leuten (wobei die Lehrkraft durchaus mitspielen kann) und es braucht für ein Unterrichtsspiel ziemlich viel Zeit (eher etwas mehr als eine Stunde), die aber in meinen Augen sehr gut investiert ist. Nach dem Spielen kann man die vielen verwendeten Kärtchen noch mal in eine gemeinsame Geschichte einbauen oder auf andere Weise aufbereiten.
Natürlich lebt das Spiel davon, dass die Leute sich ein bisschen was einfallen lassen. Ich würde es daher nicht unbedingt in jeder Gruppe einsetzen, aber bisher war es jedesmal ein guter Erfolg, zu dem die wunderbaren Illustrationen von Michael Menzel sicherlich beigetragen haben. Wer das Spiel gebraucht irgendwo erspäht, sollte darauf achten, nicht die erste Auflage zu kaufen, denn da waren noch ein paar Ungeschliffenheiten drin. Ab der zweiten Auflage ist es aber uneingeschränkt klasse.
Vorbereitungen/Regelanpassungen:
Eigentlich keine. Falls Kärtchen auftauchen, die mir zu schwer vorkommen, ziehe ich die einfach während des Spiels aus dem Verkehr (und erkläre sie bei Interesse hinterher). Und insgesamt wenden wir die Regeln einfach nicht zu streng an. Wer sich an ein Wort nicht (genau) erinnern, das bezeichnete Ding aber beschreiben kann, kriegt das entsprechende Plättchen trotzdem.
Eselsbrücke
von Stefan Dorra und Ralf zur Linde
Schmidt, 2011 (zweite Auflage 2012)
3. Geile Idee
Geile Idee besteht aus Karten mit Nomen und Karten mit Attributen. Man bekommt von jeder Sorte drei und muss nun mindestens zwei von diesem zu einem Produkt zusammenfügen. Dann versucht man, sein Produkt den anderen Spieler/innen zu „verkaufen“, indem man eine kleine Werbeansprache für seine preisreduzierte Schreibtischpistole oder sein Zen-Bier hält und erklärt, warum das ein Produkt ist, auf das die Welt schon immer gewartet hatte. Anschließend müssen sich alle für ein Produkt entscheiden, das sie kaufen würden, und auf Kommando mit dem Finger drauf zeigen. Wer sein Produkt verkauft, bekommt einen Punkt, wer es am häufigsten verkauft, einen weiteren. Das spielt man ein paar Runden lang, wer dann am meisten Punkte ergattert hat, gewinnt.
Das Spiel ist sehr zum Lachen, schon wegen der verrückten Produkte, die dabei auftauchen. Eigentlich ist das auch schon das Problem, wenn man das Spiel als Lernspiel einsetzt: Normalerweise bekommt das lustigste Produkt die meisten Punkte, nicht unbedingt die lustigste oder beste Werbung. Aber eigentlich macht das gar nicht so viel aus, denn bei den meisten Spielen im Sprachunterricht versuchen die Lerner/innen wie oben erwähnt zwar zu gewinnen, aber es ist ihnen nicht wirklich fürchterlich wichtig. Und so kann man als Lehrkraft auch ruhig mal mitspielen, man gewinnt auf keinen Fall automatisch (im Gegenteil, man kann sogar ein paar Punkte in die richtige Richtung schieben, und die Teilnehmer/innen sind ziemlich zurückhaltend damit, die Lehrkraft gewinnen zu lassen…).
Ein zweites Problem ist die ziemlich scheußliche graphische Gestaltung des Spiels. Die Bilder sind unattraktiv und die Schriftart ist anstrengend. Dafür sind die Karten in Deutsch und Englisch beschriftet, was nebenbei ein paar neue Wörter einführen kann (und notfalls kann man auch mithelfen, wenn es Verständnisschwierigkeiten gibt, weil man die Karten nicht unbedingt geheim halten muss).
Vorbereitungen/Regelanpassungen:
Gar keine.
Geile Idee
von James Ernest
Deutsche Ausgabe bei Heidelberger, 2013
(Englische Erstauflage „The Big Idea“, 2000 bei Cheapass Games)
AUSSPRACHESPIEL(E)
1. Pit
Pit ist einer der absoluten Klassiker der Spielewelt, in den USA wohl noch mehr als hierzulande. Es ist schon über hundert Jahre alt, und ich habe eine ganze Weile gebraucht, bis ich gemerkt habe, wie gut man es im Unterricht einsetzen kann.
Das Spiel besteht aus einer Glocke, die in die Tischmitte gestellt wird, und Kartensätzen zu je neun Karten mit jeweils einem Wert (in meiner Ausgabe sind es acht Sätze mit Werten zwischen 50 und 100). Pro Spieler/in nimmt man einen Satz Karten, mischt alles zusammen und verteilt jeweils neun Karten. Ziel ist es, am Ende neun gleiche Karten auf der Hand zu haben.
Auf Kommando fangen alle an, wild über den Tisch miteinander zu tauschen. Dabei darf man eine, zwei, drei oder vier gleiche Karten verdeckt anbieten, indem man die Anzahl laut ansagt, und dafür gleich viele (wiederum untereinander gleiche) Karten annehmen, ohne zu wissen, was man bekommt. Eigentlich brüllt man die ganze Zeit „vier!“, „zwei!“ oder sowas durch die Gegend und sucht nach Leuten, die genauso viele Karten tauschen möchten. Wer es schafft, neun gleiche Karten auf der Hand zu versammeln, haut auf die Glocke und erhält den Wert des Kartensatzes als Punkte. Diese schreibt man an die Tafel, so dass man am Ende eine Gesamtwertung hat.
Wer eine Runde gewonnen hat, darf allerdings außerdem ansagen, wie die nächste Runde gespielt wird (im Unterricht übernimmt die Lehrkraft diesen Part). Statt „eins/zwei/drei/vier“ heißt es dann vielleicht „Montag/Dienstag/Mittwoch/Donnerstag“ oder sowas. Nach ein paar Runden eskaliere ich dann und nutze das Spiel als Aussprachetraining, indem ich zum Beispiel „Kirsche/Kirche/Küche/Kuchen“ oder „blau/Kraut/Braut/Kleid“ als Wörter vorgebe. Wer beim Handeln nicht abgehängt werden will, bemüht sich von selbst, die Wörter nun klar auszusprechen.
Wenige Spiele haben bei meinen Lerner/innen so viel Spaß ausgelöst wie Pit. Allerdings sollte man es idealerweise zu siebt oder acht spielen, damit es wirklich lustig und laut wird. Für kleinere Gruppen bietet es sich kaum an (aber auch hier kann die Lehrkraft ruhig mitspielen, um die Anzahl ein bisschen aufzufüllen).
Vorbereitungen/Regelanpassungen:
Wie schon beschrieben, sollte sich die Lehrkraft im Voraus ein paar schöne Wortgruppen ausdenken, die zum aktuellen Vokabular oder zur Ausspracheeinheit passen. Und einen schalldichten Unterrichtsraum suchen, es kann nämlich ziemlich laut werden.
Pit
von Harry Gavitt und Edgar Cayce
Deutsch zuletzt bei Winning Moves, 2010 (das Original wurde 1903 veröffentlicht und basiert vermutlich auf einer noch älteren Idee). Zur Zeit scheint das nicht erhältlich zu sein, aber man kann problemlos auch eine ausländische Ausgabe verwenden, wenn man irgendwo eine in die Finger bekommt. Das mache ich selbst auch.
Das war es dann erstmal für diese Woche. Die Fortsetzung gibt es am nächsten Sonntag hier bei Du bist dran!