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Und dann hielten wir… die Klappe.

Es ist nicht einfach, unter Fantastillarden von Spielen mit einem Namen aufzufallen. Mittlerweile gibt es wahrscheinlich mehr Spiele, die nach mittelalterlichen Städten benannt sind, als es im Mittelalter überhaupt Städte gab (ich habe vor Jahren mal versucht, zu googeln, wo Caylus ist – vergeblich, es gab nur Treffer zu dem legendären Spiel. Mittlerweile ist das allerdings besser geworden). Wenn dann mal jemand den Mut hat, ausgetretene Pfade zu verlassen und einen schönen Spieltitel auszuwählen, werde ich durchaus hellhörig. Zu meinen Lieblingstiteln gehören schräge Ideen wie Ingo Althöfers grandioses Wahrscheinlichkeitenspiel EinStein würfelt nicht (man muss das Spiel kennen, um zu verstehen, warum der Titel so toll ist) oder auch Jay Cormiers und Sen-Foong Lims This Town Ain’t Big Enough for the 2-4 of Us. Also war mein Interesse gleich geweckt, als ich von einem Spiel namens …and then, we held hands. erfuhr.

Die Geschichte des Spiels kann man (auf Englisch) hier nachlesen. Kurz zusammengefasst: Die Autoren David Chircop und Yannick Massa hatten an einem sogenannten Global Game Jam auf Malta teilgenommen. Eigentlich hatten sie sich noch einen Partner suchen wollen, dann allerdings feststellen müssen, dass sich alle anderen schon zusammengetan hatten, um Computerspiele zu entwickeln. Dazu waren sie selbst allerdings zu zweit nicht in der Lage. Also diskutierten sie einen halben Tag lang herum, um irgendwann am Samstag mit dem Basteln zu beginnen (der Abgabeschluss war am Sonntag Nachmittag). Mit ihrem durchaus ungewöhnlichen Spiel gewannen sie dann den Game Jam, und nicht ganz zu Unrecht sprang bald eine Veröffentlichung bei LudiCreations heraus.

Der Titel ist eigentlich völlig irreführend. Zwar gibt es eine thematische Anbindung an Gefühle, aber die ist völlig aufgesetzt. Innovativ ist eher, dass es sich bei …and then, we held hands. um ein kooperatives abstraktes Zweierspiel ohne Kommunikation handelt. Das habe ich in dieser Form auch noch nicht gesehen. Da der Verlag dann auch noch die legendäre Dixit-Illustratorin Marie Cardouat für die Gestaltung gewinnen konnte, war einiges an Aufmerksamkeit für das Spiel gesichert.

...and then, we held hands.

Wie spielt man das?

Zwischen beiden Spieler/innen liegt ein Spielplan mit drei konzentrischen Ringen, die miteinander verbunden sind und auf denen sich Felder in vier verschiedenen Farben befinden. Darauf bewegt man sich im Verlauf des Spieles mit einem Spielstein von außen nach innen. Spieliel ist es, drei Phasen zu durchlaufen, bei denen jeweils 8 Zwischenziele erreicht werden müssen, und dann in aufeinanderfolgenden Zügen auf das zentrale Zielfeld zu gehen. Dabei muss man allerdings emotional ausgeglichen sein (dazu gleich mehr). Schafft man das, hat man gewonnen, schafft man es nicht, weil es keinen möglichen Zug mehr gibt oder die Karten ausgehen, hat man verloren.

24 Aufgabenkarten liegen in drei Achterstapeln bereit. Vom ersten Stapel wird eine Karte aufgedeckt, die die Farbe des ersten Ziels anzeigt. Wer dran ist, versucht, einen Spielzug auf einem Feld der gleichen Farbe zu beenden. Dann wird die Karte abgeworfen und eine neue aufgedeckt. Um das Ziel zu erreichen, muss man allerdings für jedes Feld, das man betritt, eine Gefühlskarte in der entsprechenden Farbe abwerfen. Von diesen Gefühlskarten hat man zunächst je sechs, man kann die eigenen oder die der/des anderen benutzen, aber man darf erst dann wieder Karten nachziehen, wenn man am Ende seines Zuges emotional ausgeglichen ist. Diese Emotion wird auf einer kleinen Skala angezeigt. Beim Betreten roter und schwarzer Felder schiebt man seinen Stein um einen Schritt nach links, bei blauen und grünen nach rechts. Nur wenn man genau in der Mitte steht, gibt es neue Karten. Ab und zu muss man also mal auf das Erreichen eines Ziels verzichten, um ausgeglichen zu werden und an neue Karten zu kommen.

Die Gefühlskarten, mit denen man die Züge macht, haben verschiedenfarbige Balken rechts und links. Sie liegen überlappend vor einem, sodass man nur die eine Seite der Karten sieht – ist man auf dem linken Teil des Spielbretts, sieht man die linke Seite, wechselt man auf die rechte Seite, fächert man die Karten andersherum auf.

Nachdem man den ersten Stapel Aufgabenkarten abgearbeitet hat, muss man die nächsten acht Karten auf dem mittleren Ring erfüllen, die letzten acht dann auf dem inneren. Auf dem inneren Ring ist es am schwierigsten, weil es da nur wenig Platz gibt und man sich ständig gegenseitig im Weg herumsteht.

Natürlich muss man geschickt kooperieren. Besonders wichtig ist es, regelmäßig Karten nachzuziehen. Dazu nimmt man dann oft Karten von der/demjenigen, bei dem/der weniger liegen und hofft, das der/diejenige dann wieder auf sechs Karten auffüllen kann. Das Besondere ist, dass man sich über die Spielstrategien nicht austauschen darf. Kommunikation über die Vorgehensweise ist tabu, man kann sich stattdessen über das Wetter oder seine Beziehung oder was auch immer unterhalten, aber nicht über Spielzüge. So soll wahrscheinlich das Alpha-SpielerIn-Problem vermieden werden, das in kooperativen Spielen auftreten kann – eine/r gibt vor, was alle machen sollten und die tun das dann, was mehr oder weniger zu einem Solitärspiel führen kann. Antoine Bauza hatte dieses Problem bei Hanabi mit den verschieden verteilten Informationen brilliant gelöst, und auch das komplette Diskussionsverbot bei …and then, we held hands. funktioniert einwandfrei. Ich freue mich immer darüber, wenn Autor/innen bekannte Probleme aus anderen Spielen aufgreifen und dann mit neuen Ideen einen Schritt weiterbringen.

...and then, we held hands.
Startaufstellung. Wie viele schwarze Balken sind auf den Karten unten?

Und? Macht das Spaß?

Nun ja. Man tastet sich an dieses Spiel so heran. Auch die Spielanleitung empfiehlt, beim ersten Mal auf das Kommunikationsverbot zu verzichten, und dieser Empfehlung schließe ich mich an. Wenn man die Mechanismen erst einmal intus hat, kann man das aber gut einführen. Ich vermute mal, dass man nach noch weiteren Partien sogar wirklich in der Lage sein könnte, sich beim Spielen über ganz andere Dinge zu unterhalten, womöglich gar über eine Beziehung. Aber so richtig in Reichweite liegt das für mich nicht.

Also lief es für mich so, dass ich die erste Partie recht faszinierend fand und gleich Lust hatte, es noch einmal zu spielen. Es ergab sich dann aber erst etwas später eine weitere Partie mit einem anderen Spielpartner, und dieser kannte es noch nicht. Also dachte er noch weitgehend laut nach, während ich schon versuchte, mich an das Schweigegelübde zu halten. Das Problem war, dass es mir dabei tatsächlich weniger Spaß machte als die erste Partie. Die wirkliche Enttäuschung folgte dann in der dritten Partie, als wir erstmals wirklich nicht über unsere Strategien sprachen. Das funktionierte zwar gut, das Spiel lief flüssig und wir hatten auch keine Probleme zu gewinnen (in keiner Partie bisher), aber das Spiel war dadurch für uns auch ein wenig entzaubert. Versteht mich nicht falsch, …and then, we held hands. ist kein schlechtes Spiel, es enthält ein paar Innovationen (sowas interessiert mich als Spieleautor ja ohnehin immer) und es ist auch auf alle Fälle wert, es sich mal anzugucken, aber ich hatte nach den drei Partien das Gefühl, damit durch zu sein. Zwar gibt es noch Ergänzungsregeln, um den Schwierigkeitsgrad zu steigern, aber an der relativ geringen Schwierigkeit liegt es für mich eigentlich gar nicht, dass der Funke nicht mehr recht überspringen will. Vielleicht eher daran, dass Titel und Aufmachung Erwartungen wecken, die das Spiel nicht erfüllen kann? Irgendwelche Emotionen übertragen sich von den Karten nicht auf das Spiel. Natürlich kann man sich über suboptimale Spielzüge des/der Mitspieler/in ärgern oder traurig sein, oder sich über gelungene Aktionen freuen. Aber das sind Dinge, die in jedem kooperativen Spiel auftreten können und das spezielle Thema des Spieles nicht abbilden. Auch die durchaus schönen Kartenillustrationen (das Brett kommt eher nüchtern daher) gehen ein bisschen am Bedarf vorbei. Schließlich sind die Gefühlskarten im Spiel nie komplett sichtbar, und die teilweise Abdeckung verwirrt eher, weil die Bilder zum Teil Farben haben, die den farbigen Balken am Rand sehr ähnlich sind. Dadurch ist es manchmal ein bisschen anstrengend, die eigentlich spielrelevanten Informationen zu überblicken. Also: Schöne Illustrationen, die für das Spiel leider ungeeeignet sind.

Tja, das klingt jetzt alles so negativ – dabei bin ich froh, das Spiel kennen gelernt zu haben und habe meine Partien durchaus genossen. Mein Drang nach weiteren Runden hält sich allerdings in Grenzen, da suche ich mir doch lieber Spiele, bei denen ich mehr lachen kann.

Gesamteindruck: 6/10

… and then, we held hands.
für 2 Personen
von Yannick Massa und David Chircop
Illustrationen von Marie Cardouat
LudiCreations, 2015

Ich will das auf Deutsch!

Vor einigen Jahren fand ein Spiel durch Zufall den Weg in unsere Sammlung, das wir seither mehr gespielt haben als fast alle anderen (gut 250mal) und das wir noch lange nicht satt haben. Die Rede ist von Train of Thought, einem Partyspiel der kanadischen Autoren Sen-Foong Lim und Jay Cormier. Zu meinem ganz großen Leidwesen gibt es von dieser Perle keine deutsche Ausgabe, sonst würde ich sie längst im Sprachunterricht einsetzen.

Train of Thought

Train of Thought besteht aus einem Würfel, einer Sanduhr (2 Minuten) und einem Haufen Karten. Auf diesen befinden sich jeweils sechs Wörter, meist einfachere Sachen, aber auch ein paar speziellere sind dabei. Wenn man dran ist, nimmt man sich einen Stapel Karten, deckt die oberste davon auf und würfelt. Die gewürfelte Zahl markiert das Startwort auf der Karte. Nun sieht man sich die nächste Karte an und sucht das Wort mit der gleichen Zahl – dieses ist das Zielwort, das die anderen Spieler/innen erraten sollen. Dann überlegt man sich einen Weg vom Start- zum Zielwort. Wenn man bereit ist, dreht man die Sanduhr um und gibt einen Hinweis, der aus exakt drei Wörtern bestehen muss, von denen eins das Startwort sein muss. Alle anderen dürfen nun bis zu einmal raten, was gemeint sein könnte. Wenn das Zielwort nicht dabei ist (und das ist es nur selten), sucht man sich nun eines der geratenen Wörter aus und benutzt es als neues Startwort auf dem Weg zum Ziel. Das wiederholt man so lange, bis das Zielwort erraten wurde. Dann nimmt man sich eine neue Karte und das alte Zielwort wird das neue Startwort. Wenn die Sanduhr abgelaufen ist, zählt man, wie viele Karten man geschafft hat – das sind mal sieben oder noch mehr, mal nur drei, das schwankt nach der Spieler/innenzahl. Wer Zielwörter erraten hatte, nimmt sich für jedes davon ebenfalls eine Karte. Wenn jede/r zweimal dran war, endet das Spiel und jede Karte ist einen Siegpunkt wert.

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Wie erklärt man „Mikrowelle“, wenn man nur drei Worte als Hinweis geben darf, von denen eins „Nashorn“ sein muss?

Letztlich benutzt Train of Thought also ein altbekanntes Konzept: Man muss die anderen Leute dazu bringen, ein Wort zu erraten, darf es aber selbst nicht sagen und hat beim Beschreiben gewisse Einschränkungen. Tabu, Activity und andere sind mit diesem Konzept zu Millionenerfolgen geworden. Train of Thought nicht, das ist mit der ersten Auflage schon wieder ein bisschen in der Versenkung verschwunden. Dabei sind in meinen Augen die Hinweise, die man bei Train of Thought gibt, allemal lustiger als etwa bei Tabu – bei Tabu muss man in seinen Beschreibungen bestimmte Wörter vermeiden, bei Train of Thought ist man gezwungen, ein bestimmtes Wort zu benutzen. Das ist ein tolles Konzept, das immer wieder für Lacher gut ist. Auch der Wiederspielreiz ist höher, denn wenn man zum Beispiel bei Tabu öfter mit den gleichen Leuten spielt, kann man immer wieder auf die gleichen Hinweise zurückgreifen. Bei Train of Thought gibt es ja für ein Wort jeweils eine andere Ausgangslage.

Ich fürchte, dass das Problem an Train of Thought ist, dass die Leute sich zu sehr an die Regeln zu halten versuchen. So ist es beispielsweise verboten, einen Zwei-Wort-Hinweis zu geben und das Startwort einfach unverbunden hinzuzufügen. Das ist eine sinnvolle Regel, aber im Eifer des Gefechts kann sowas eben passieren, genau wie die versehentliche Verwendung eines vierten Wortes. Wer dann das Spiel unterbricht, um über Strafpunkte oder irgendsowas zu diskutieren, beraubt das Spiel seines Spielflusses, und das ist tödlich.
Und da kommen wir bei einem Dilemma an, dem ich mit einem eigenen Spiel auch schon mal gegenübergestanden habe. Es gibt Leute, die interessiert bei einem Partyspiel nur der Spielspaß, die Punkte überhaupt nicht, die zählen das am Ende allenfalls beiläufig. Und andere, für die ein Spiel ohne Gewinner/in überhaupt kein Spiel ist, Nun kann man die Leute problemlos zusammen an einen Tisch setzen – alle spielen nach den Regeln und einige ziehen mehr Spaß aus den verrückten Geschehnissen im Spiel und die anderen aus der Motivation, möglichst viele Punkte zu kriegen. Leider harmoniert diese Mischung aber nur dann gut, wenn das Wertungssystem wenigstens reibungslos funktioniert und keine Unzufriedenheit hervorruft. Und das ist leider bei Train of Thought nicht uneingeschränkt der Fall. Für meine Frau und mich ist das völlig egal, wir spielen es sogar zu zweit sehr oft, obwohl man zu zweit automatisch immer gleich viele Punkte hat (das ist also dann ein kooperatives Spiel, bei dem wir gemeinsam versuchen, möglichst viele Punkte zu bekommen). Auch andere Sachen nehmen wir nicht so ernst – wenn wir meinen, ein Wort nicht zu schaffen (oder weil das gesuchte englische Wort zu schwer ist), schmeißen wir die Karte einfach ab und machen mit der nächsten weiter. Na und? Aber anderen geht das eben nicht so, und ich habe im Netz eine Menge Kommentare in dieser Richtung gelesen.
Vielleicht müsste man bei Train of Thought also etwas am Wertungssystem ändern, damit mehr Leute es lieben. Aber wie gesagt, ich selbst brauche das gar nicht. Nur eine deutsche Version hätte ich fürchterlich gern, denn ich kann zwar gut Englisch, aber man braucht natürlich eine ganze Gruppe, die die Sprache vergleichbar gut beherrscht, sonst fühlt sich leicht jemand abgehängt. Und Deutsch würde sich wegen seiner viel flexibleren Wortbildung für das Spielkonzept wirklich anbieten. Dass auch in Deutschland immer weniger Leute wissen, was ein Wort ist, ist bedauerlich, aber wie gesagt, wenn man das nicht so bierernst nimmt, kann man mit Train of Thought eine Menge Spaß haben. Ich jedenfalls habe bei wenigen Spielen so viel gelacht wie bei diesem.

Gesamtwertung: 9/10

Train of Thought
von Jay Cormier und Sen-Foong Lim
Illustrationen: Gavan Brown
Verlag: Tasty Minstrel Games, 2011