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Oh nein, nicht noch so ein olles Teeservice!

Nur wenige japanische Spieleautoren haben in Deutschland überhaupt einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt. Seiji Kanai, der Autor von Love Letter, steht dabei natürlich ganz oben. Wenn Ihr Euch zumindest ein bisschen für die japanische Szene interessiert, sollte Euch auch der Name Hisashi Hayashi nicht ganz unbekannt sein, dessen Spiele Trains und Auf nach Indien auch hierzulande einigermaßen erfolgreich waren. Von Hisashi Hayashi ist im letzten Jahr ein neues Kartenspiel namens Curio Collectors erschienen, dessen Beschreibung mich gleich lockte. Bis ich es dann wirklich in die Finger bekam, vergingen einige Monate, aber schließlich hatte ich es geschafft, und es ging dann auch schnell ans Spielen. Hier kommen meine Eindrücke.

Curio Collectors

Bei Curio Collectors geht es darum Antiquitäten zu sammeln. Jede Art von Antiquität hat einen bestimmten Wert (zwischen 2 und 8), aber nur, solange sie selten ist. Hat man zu viele Antiquitäten von einer Sorte gesammelt, ist jede entsprechende Karte minus einen Punkt wert. Das Limit hängt vom Wert der jeweiligen Antiquität ab: Bei den teuren (und auch seltener vorhandenen) Karten liegt er bei eins, bei häufigeren und billigeren bei zwei oder drei. Es geht also darum, von möglichst vielen Antiquitätenarten nicht mehr als das Limit zu sammeln. Das ist allerdings leichter gesagt als getan.
Zu Beginn einer Runde liegt eine lange Reihe von Karten auf dem Tisch (die Länge hängt von der Zahl der Spieler/innen ab). Ein/e Spieler/in wird „Magister“ und teilt nun die Reihe in zwei Teile. Nun müssen sich alle gleichzeitig für einen dieser beiden Teile entscheiden. Hat sich für einen Teil niemand entschieden, kommen diese Karten auf eine sogenannte Schatztruhe. Hat man sich allein für einen Teil entschieden, bekommt man alle Karten dieses Teils. Gibt es aber mehrere Leute, die den gleichen Teil haben wollen, wird er erneut geteilt und es geht so weiter (die Rolle des Magisters wandert dabei um den Tisch). Wenn sich mehrere für einen Teil entscheiden, der nur noch aus einer Karte besteht, kommt diese Karte ebenfalls auf die Schatztruhe und die Beteiligten erhalten eine Entschädigungskarte. Bevor allerdings überhaupt gewählt wird, fügt der/die Magister/in eine Boss-Karte in die Reihe ein. Wer diese bekommt, erhält am Ende der Runde den gesamten Inhalt der Schatztruhe. Auch sonst gibt es noch ein paar spezielle Karten: Infernos, die Minuspunkte zählen, Juwelenkarten, für die keine Limits gelten und drei verschiedene Karten, bei denen man bestimmte Sonderaktionen durchführen muss (eine negative, eine neutrale und eine positive).
Auf diese Weise spielt man fünf Runden. Wer dann die meisten Pluspunkte gesammelt hat, gewinnt das Spiel.

Curio Collectors
24 Punkte

Und? Macht das Spaß?
Ja. Wer sich nach der Spielbeschreibung ein wenig an Klaus Teubers Klassiker Adel verpflichtet (der es 1990 zu Spiel-des-Jahres-Ehren brachte) erinnert fühlt, liegt nicht so ganz falsch. Man trifft seine Entscheidungen gleichzeitig, treffen mehrere Leute die gleiche, gibt es eine weitere gleichzeitige Entscheidungsrunde. Bei Curio Collectors kann das noch ein ganzes Stück weitergehen, aber das Grundprinzip ist nicht gänzlich neu. Und auch wenn ich Adel verpflichtet noch immer für ein gutes Spiel halte, wirkt Curio Collectors doch die entsprechenden 25 Jahre frischer, zumal Hisashi Hayashi das Spielprinzip auf ein kleines Kartenspiel eingedampft hat. In meinen Augen hätten sogar noch zwei der drei Sonderkarten wegfallen können – richtigen Mehrwert bringt nur die Karte, mit der man zwei Artefakte zerstören muss/kann. Ich mag ja immer Spiele, die auf ihre Essenz reduziert sind.
Trotz der an und für sich simplen Regeln bietet Curio Collectors genügend Platz zum Taktieren. Insbesondere die Boss-Karte, mit der man am Ende den Reststapel einsammelt, ist ein tolles Spielelement. Man sollte sie nicht zu früh nehmen, weil man noch nicht weiß, was auf der Schatzkiste landen wird, Aber wenn man einigermaßen absehen kann, was dort liegt, kann man sich manchmal richtig drum reißen. In unseren Testrunden kam es überhaupt erstaunlich selten vor, dass wir tatsächlich Limits überschritten haben, aber die Drohung, dass es passieren kann, macht die Würze des Spiels aus. Entscheide ich mich für eine Reihe Karten, in der eine unerwünschte Karte zu viel ist? Das kann unwichtig sein, wenn ich davon ausgehe, das diese Reihe erneut geteilt wird. Natürlich kann ich da auch auf die Nase fallen, wenn ich dann plötzlich doch der Einzige war, der diese Reihe haben wollte. Hier heißt es, die Bedürfnisse und Pläne der anderen gut einzuschätzen. Da es keine verdeckten Karten gibt, kann man sich gut in die Situation der anderen versetzen, und es macht diebischen Spaß, mit einem unerwarteten Zug die Pläne der anderen zu durchkreuzen.

Die Grafik des Spiels ist für europäische Augen vielleicht ein bisschen anstrengend. Ich wäre für etwas klarere Linien dankbar, aber man gewöhnt sich auch einigermaßen schnell dran. Allerdings liegt es vielleicht auch daran, dass ich das Spiel zu viert noch etwas besser fand als zu fünft. Je mehr Leute mitspielen, desto länger ist halt die ausgelegte Kartenreihe, und die weiter entfernten Karten waren nicht immer so ganz einfach zu übersehen (ich saß am Tischende).

Trotzdem gibt es von mir eine klare Empfehlung, und ich freue mich schon auf die nächsten Partien.

Gesamteindruck: 8/10

Curio Collectors (はんか通骨董市)
Für drei bis sechs Personen
Von Hisashi Hayashi (林尚志)
Illustrationen von Ryo Nyamo (林良子)
Erschienen bei OKAZU Brand, 2015

Hände hoch! Pfoten weg!

Für Spieleautor/innen ist es sehr schwierig, etwas wirklich Neues zu erfinden. Die meisten Spiele sind Weiterentwicklungen von bekannten Ideen, in mindestens einigen Aspekten. Also klebt man als Renzensent ein Label drauf: Stichspiel, Bluffspiel, erinnert an Diesundjenes, für Liebhaber/innen von Ihrwisstschon. Ab und zu wird ein innovatives Spiel selbst zum Kategorien definierenden Trendsetter, wie etwa Caylus für die Worker-Placement-Spiele, Dominion für die Deckbuilder oder Love Letter für die Mikrospiele und zuletzt Risk Legacy für die Legacy-Spiele. Aber das passiert bestenfalls alle paar Jahre mal. Ja, und dann hat man plötzlich doch ein Spiel in der Hand, das in keine Kategorie zu passen scheint und das einen an schlicht gar nichts erinnert. Man schaut einigermaßen verständnislos in die Regel und muss erstmal das Spielmaterial vor sich ausbreiten, um überhaupt zu erahnen, worum es geht. Ein solches Spiel möchte ich heute besprechen, nämlich Hand Made Wonders von Bono Light (陳小光).

Hand Made Wonders
Das Cover

Als ich das Spiel erstmals in den Händen hielt, war ich gleich begeistert von der Titelgrafik, bei der das Kolosseum aus einer Hand gebildet wird. Auch das ist eine Illustration, die aus dem Rahmen fällt, während ich Illustrationen von deutschen oder sonstigen westlichen Spielen oft wenig inspirierend finde (von Hand Made Wonders ist übrigens soeben eine polnische Neuauflage erschienen, die eine für mich völlig nichtssagende Titelgrafik ziert).

Erstes ungewöhnliches Spielelement sind Armbänder in drei Farben. Je nach Zahl der Spielenden werden diese verteilt, und man macht sich an jedes Handgelenk eins (die beiden haben immer verschiedene Farben). Dann gibt es Bauwerkkarten, die auf der Rückseite mit II, III, IV oder V markiert sind. Sie werden nach Nummern getrennt gemischt und von jeder Zahl wird eine aufgedeckt.

Spielmaterial
Spielmaterial

Auf Kommando streckt nun jede/r einen beliebigen Arm vor, zählt durch, wie viele Armbänder mit der gleichen Farbe zu sehen sind und bildet mit deren Spieler/innen ein Team, das das Gebäude auf der Karte mit der entsprechenden Nummer mit den ausgestreckten Händen nachbilden muss. Wer damit fertig ist, ruft „Stop!“ Ist das Gebäude korrekt errichtet, bekommen die beteiligten Spieler/innen jeweils eine Belohnungskarte für den rechten oder linken Arm, je nachdem, welchen sie benutzt haben. Wer zuerst drei Links- und drei Rechts-Karten gesammelt hat, gewinnt das Spiel.

Sollte man allein in einem Team sein, muss man eine spezielle Mission erfüllen. Dafür muss man ein Symbol auf der aktuellen Karte mit der II suchen, dann solange Karten aus einer speziellen Auslage umdrehen, bis man die Karten mit dem entsprechenden Symbol gefunden hat, und schließlich mit einer Hand die entsprechende Haltung einnehmen.

Einige der Bauwerkkarten
Einige der Bauwerkkarten

Und? Macht das Spaß?

Auf alle Fälle. Das Spiel ist laut, hektisch und chaotisch. Auf Kommando schießen lauter Hände nach vorn, und während einige Spieler/innen noch verzweifelt nachzählen und versuchen, ihr Team und ihre Aufgabe zu finden, sind andere schon dabei, irgendwelche Bauwerke zu formen und gleichzeitig ihre Teammitglieder zu instruieren, was sie machen sollen. Man ist eigentlich ständig damit beschäftigt, lauter Dinge gleichzeitig zu machen, und eine verbale Koordination ist schwierig. Da hält jemand eine flache Hand über den Tisch, ich halte meine Hand in irgendeinem Winkel daran, um weiterzubauen und stelle fest, dass der/diejenige im Glauben, im anderen Team zu sein und etwas ganz anderes bauen zu müssen, die Hand wieder wegzieht, mich womöglich noch schief anguckt und wir nun gemeinsam versuchen, herauszufinden, was gerade Sache ist. Inzwischen macht das das andere Team natürlich auch, und es gibt ein wildes Durcheinander mit viel Gelächter.

Während es in den ersten Runden noch ziemlich zufällig ist, wie die Teams aussehen, gibt es gegen Ende des Spiels erste Hinweise, weil jemandem eben noch eine bestimmte Karte fehlt und man sich einigermaßen drauf verlassen kann, dass er oder sie die entsprechende Hand wählt. Um das wirklich zu verfolgen und zu nutzen, geht das Spiel aber eigentlich viel zu schnell voran, und so wird daraus einfach eine zusätzliche Sache, die man im Auge zu behalten versucht. Ich selbst habe dabei eine ganze Menge Pläne verhunzt, und kann nicht behaupten, dass ich ein besonders guter Spieler bei Hand Made Wonders wäre. Vielleicht lösen meine bescheidenen Fähigkeiten einfach immer mehr Herumdenken aus, was manchmal alles noch schlimmer macht. Trotzdem hatte ich viel zu lachen und wäre jederzeit wieder bei einer Partie dabei.

Doch bei aller Innovation: Ob ich das in einigen Jahren noch regelmäßig spielen werde, weiß ich nicht. Es ist durchaus ein anstrengendes Spiel, trotz des hohen Spaßfaktors. Ich kann es daher vor allem denen empfehlen, die etwas wirklich radikal Neues kennen lernen möchten und nicht davor zurückschrecken, mal ein bisschen die Sau rauszulassen.

Gesamteindruck: 7/10

Hand Made Wonders (手造奇觀) (Link zum BGG-Eintrag)
für 4 bis 8 Spieler/innen – am besten viele!
von Bono Light (陳小光)
Illustrationen: Yun Long
Auf Chinesisch erschienen bei TwoPlus Games, 2014 auf Polnisch bei Portal Games unter dem Namen Rączki Złączki. Englische Regeln gibt’s im Netz.

Nachts im Garten der Prinzessin

Schon auf der Spielemesse 2014 hatte ich mir Secret Moon von Seiji Kanai gekauft, ein Mikrospiel, das die inhaltliche Fortsetzung von Love Letter sein sollte. Leider war ich nie dazu gekommen, es auszuprobieren, meist, weil die ideale Spieler/innenzahl von 6 oder 7 Personen nicht zustandekam, wenn ich es gerade dabei hatte. Unterdessen erhielt das Spiel eher mäßige Bewertungen im Netz und schien für viele Leute die hohen Erwartungen nicht zu erfüllen. Vor ein paar Wochen war es dann aber endlich so weit, wir waren zu sechst und in der passenden Stimmung, also haben wir es ausprobiert. Und dann gleich nochmal gespielt. Und nochmal. Und nochmal. Insgesamt waren es 13 Partien, es ging bis tief in die Nacht, und es war mir fast unangenehm, als erster schlapp zu machen und damit die Spielrunde zu sprengen. Warum nur? Das will ich Euch zu erklären versuchen.

Cover von Secret Moon
Dass die Prinzessin eine Brille trägt, finde ich nach wie vor toll.

In Love Letter ging es ja darum, der Prinzessin diskret einen Liebesbrief zu schicken. Secret Moon setzt an der Stelle an, wo die Prinzessin diesen Brief bekommen hat und nun ein nächtliches Treffen mit ihrem Verehrer im Schlosspark vereinbart. Leider hat der machthungrige Minister bereits andere Hochzeitspläne für die Prinzessin und versucht, das Treffen zu verhindern. Unterstützt wird er dabei von seinen Wachen. Schließlich ist da noch die Priesterin, die treue Helferin der Prinzessin, die sich als Wache ausgibt und ein bisschen Verwirrung stiften kann. Wir haben also zwei Interessengruppen: Auf der einen Seite steht die Prinzessin gemeinsam mit ihrem Verehrer (dem „Wanderer“) und der Priesterin, auf der anderen Seite der Minister mit seinen vier Wachen. Gewonnen und verloren wird gemeinsam als Team. Das Prinzessinnteam gewinnt, wenn der Minister gefangen genommen wird oder es nach drei Runden noch kein Ergebnis gibt. Das Ministerteam gewinnt, wenn die Prinzessin gefangen genommen wird oder sowohl die Prinzessin als auch der Wanderer aufgedeckt werden.¹

Das Spiel besteht aus zwei Sätzen zu je acht Karten. Auf dem einen Kartensatz befinden sich die Figuren, auf dem anderen Zahlen von eins bis acht. Zu Beginn des Spiels teilt man die Figurenkarten aus und guckt sich seine an. Überzählige Karten kommen verdeckt in die Tischmitte. Prinzessin und Wanderer dürfen sich dann kennen lernen, indem alle die Augen schließen und nur die beiden die Augen öffnen. Allerdings kann es eben vorkommen, dass man allein die Augen offen hat, weil die andere Karte verdeckt auf dem Tisch liegt. Bei sechs Spieler/innen liegen eventuell sogar Prinzessin und Wanderer verdeckt in der Mitte – aber das weiß dann eben erstmal niemand, weil ja niemand die Augen geöffnet hat.
Nun werden die Zahlenkarten ausgeteilt. Sie stellen das Zufallselement im Spiel dar und geben die Zugreihenfolge vor. Wer die Eins hat, zieht zuerst, und so weiter bis zur Acht. Allerdings werden auch hier wieder die überzähligen Karten verdeckt beiseite gelegt, so dass man aus der eigenen Zahlenkarte nur ungefähr abschätzen kann, wann man an der Reihe sein wird.
Wer dran ist, hat folgende Möglichkeiten:
– sich selbst oder eine andere Person schützen (diese Person kann dann in der aktuellen Runde nicht mehr Ziel von anderen Aktionen werden. Diese Aktion darf man in der letzten Runde allerdings nicht ausführen).
– eine beliebige Personenkarte ansehen (auch eine aus der Mitte)
– jemanden fragen: „Wer ist da?“ Wachen (und natürlich auch die Priesterin) antworten „Ich bin’s nur“, der Minister antwortet „Ich bin doch der Minister, du Narr!“, und Prinzessin und Wanderer schweigen.
– jemanden verdächtigen: „Du bist XY“. Stimmt das, wird die Karte des/der Verdächtigten aufgedeckt, stimmt es nicht, die Karte des Verdächtigers/der Verdächtigerin. Aufgedeckte Wachen werden automatisch gefangen genommen.
– jemanden gefangen nehmen, was bedeutet, dass man eine bereits aufgedeckte Karte auf die Seite dreht und damit aus dem Spiel nimmt. Achtung: Wachen können diese Aktion nicht ausführen.
– jemanden stören: Man zwingt jemanden, seine Zahlenkarte abzuwerfen und beraubt ihn oder sie damit der Aktion für die laufende Runde. Allerdings wird man für diese Aktion selbst augenblicklich gefangen genommen, ist also aus dem Spiel.

Auch wer gefangen genommen wird, kann übrigens weiterhin gewinnen. Insbesondere die Wachen opfern sich gern mal im Dienste der gemeinsamen Sache.

Eine typische Partie Secret Moon läuft etwa so ab: In der ersten Runde tappt man ziemlich im Dunkeln, guckt sich eine fremde Karte an oder fragt jemanden. Man beobachtet, was die anderen machen und versucht, daraus Schlüsse zu ziehen. In der zweiten Runde versucht man, seine Informationen zu verifizieren. Sehr oft weiß man am Ende der zweiten Runde genug und ist bereit, in der dritten Runde loszuschlagen. Dann kommt es auf die Zugreihenfolge an – ist man früh genug dran, kann das den Sieg bedeuten. Aber natürlich kommt es auch vor, dass man danebengelegen hat und versehentlich das eigene Team in Schwierigkeiten bringt. Gute Teamarbeit ist also wichtig.

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Nach den ersten Partien waren wir ziemlich überzeugt, dass das Prinzessinnenteam eigentlich keine Chance hätte. Als wir aber weitere Partien gespielt hatten, änderte sich das, und mittlerweile kommt mir das Spiel erstaunlich ausgewogen vor. Das will bei dem deutlich asymmetrischen Spielaufbau schon etwas heißen, das Spiel ist sehr gut ausbalanciert.
Zusätzlich zu den Karten sind übrigens auch noch Marker im Spiel, mit denen man anzeigen kann, wer wessen Karte bereits gesehen hat und von ob bereits bekannt ist, zu welchem Team jemand gehört. Durch das Weglassen dieser Marker kann man den Schwierigkeitsgrad um ein Stück erhöhen.

Wie so viele Spiele, die letztlich aus dem Mafia-/Werwolf-Genre stammen, lebt auch Secret Moon von der Ungewissheit, ob man das Richtige tut und davon, dass man es gelegentlich nicht tut. Hier ist besonders die Rolle der Priesterin interessant. Wenn eine vermeintliche Wache etwas tut, was dem eigenen Team schadet, liegt es dann an mangelnden Informationen oder daran, dass es sich gar nicht um eine Wache handelt, sondern um die Priesterin? Das ist kurzer, intensiver Nervenkitzel.
Was im Vergleich mit anderen Spielen des Genres fehlt, ist das intensive Zulabern anderer. Bei Secret Moon schweigt man sich im Wesentlichen an, abgesehen vom Befragen von im Garten herumschleichenen zwielichtigen Gestalten. Ich spiele Deduktionsspiele mit viel Gelaber eigentlich nicht so sehr gern, weil mir in aller Regel niemand irgendwas glaubt (liegt wahrscheinlich daran, dass ich meist derjenige bin, der die Spiele mitbringt und deshalb irgendwie automatisch besonders verdächtig bin), daher kommt mir Secret Moon ziemlich entgegen, da kann ich nämlich an den ganzen Spekulationen in Ruhe teilnehmen, ohne automatisch spätestens in der zweiten Runde auszuscheiden.

Secret Moon hat also alles, was mir an einem Spiel gefällt: Kurze Spieldauer (eine Partie dauert vielleicht eine Viertelstunde), keine Auszeiten, da man jederzeit beobachten muss, was die anderen tun, und eine hohe Spannung. Dass es nicht bei allen gleich gut ankommt, liegt wahrscheinlich vor allem daran, dass die Zahlenkarten einen erheblichen Zufallsfaktor ins Spiel bringen. In den meisten Partien entscheidet die Reihenfolge in der letzten Runde über den Sieg – sobald alle Informationen klar sind, gewinnt das Team, das kleinere Zahlenkarten gezogen hat. Daran kann man sich natürlich stören, aber für uns war das nicht weiter tragisch. Man kann es sich etwa so vorstellen, wie wenn man etwa in einem Spiel am Ende einen Kampf gegen irgendwen ausfechten soll, alles dafür getan hat, die Wahrscheinlichkeiten zu den eigenen Gunsten zu manipulieren, aber letztlich doch ein Würfelwurf darüber entscheidet, ob das genug war. Immerhin bleibt die Spannung ja noch erhalten, wenn man die Karten zieht und zwar vielleicht sieht, dass man nicht die Eins hat, aber nicht sicher ist, ob noch jemand vor einem dran ist (es werden ja nicht alle Karten verteilt) und wenn ja, wer. Das ist schon eine Menge Nervenkitzel für so ein kurzes Spiel.
Wer sich also von einem erheblichen, aber gut verpackten Glücksfaktor nicht abschrecken lässt, wer öfter mal sechs oder sieben Leute beisammen hat, denen das ebenso geht, und wer allgemein Spaß an Deduktionsspielen hat, ist mit Secret Moon sehr gut beraten.

Gesamteindruck: 8/10

Secret Moon
von Seiji Kanai
für fünf bis acht (am besten sechs oder sieben) Personen
Illustrationen: Noboru Sugiura
Verlag: Kanai Factory, 2014

¹ Für diejenigen, die Love Letter nicht im Original kennen: Der Minister ist dort die Karte mit der 7 (die keine anderen wichtigen Leute neben sich ertragen kann), die Priesterin die Nummer 4 (die jemanden schützen kann). Und die Prinzessin trägt eine Brille.

 

Ach wie gut, dass niemand weiß, ob ich wirklich Rumpelstilzchen heiß.

Als mir auf der Spielemesse 2012 ein damals noch wenig bekannter japanischer Spieleautor namens Seiji Kanai einen Briefumschlag mit ein paar Karten drin in die Hand drückte, konnte ich noch nicht ahnen, dass dieses Spiel bald zu einem der einflussreichsten der letzten Jahrzehnte werden würde. Die Rede ist natürlich von Love Letter, das einen wahren Boom an sogenannten Mikrospielen auslöste. Love Letter bestand aus 16 Karten plus zwei Ersatzkarten (einem Prinzen und einer Prinzessin ohne Brille, für diejenigen, die da etwas Abwechslung haben wollten), einer Anleitung und einem Briefumschlag. Das war’s. Verkauft wurde das, wenn ich mich richtig erinnere, für drei oder vier Euro.

Auf der gleichen Messe hatte Alderac allerdings schon eine „internationale“ Ausgabe im Programm. Hübsch aufgemachter Stoffbeutel, darin Karten (in völlig anderer Aufmachung und mit ein paar kleineren Regeländerungen) und ein paar Holzklötzchen zum Punkte zählen. Das war zwar nicht wesentlich teurer, aber man sah der Ausgabe halt schon an, dass sie mehr auf Verkauf getrimmt war. Für mich kam sie kaum in Frage, denn nachdem ich das Original gesehen hatte, war die Alderac-Ausgabe mit ihrer völlig konventionellen Grafik für mich einfach nicht mehr vermittelbar. Die Prinzessin hatte ja nicht mal eine Brille auf. Später fiel mir dann doch noch mal ein Exemplar dieser Ausgabe in die Hände, aber das habe ich nach einer Partie wieder weitergegeben, weil ich mich damit einfach nicht anfreunden konnte – zu bunt, zu konventionell, zu unübersichtlich, dennoch auch in der deutschen Ausgabe bei Pegasus ein Erfolg. Nicht mein Geschmack. Dafür hat Alderac dann noch mal eine „Nostalgie“-Ausgabe herausgegeben, mit der Originalgrafik, aber auch mit Zählklötzchen, damit man auf eine Punktezahl spielen kann (völlig überflüssig in meinen Augen).

Springen wir drei Jahre weiter in die Gegenwart. Love Letter hat seither einen Siegeszug um die ganze Welt angetreten (wir haben in mehr als anderthalbtausend Partien drei oder vier Exemplare zuschanden gespielt), und viele Autor/innen und Verlage haben versucht, auf den Mikrospiele-Zug aufzuspringen. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Dieses Jahr kam in Essen wieder mal was bei Alderac heraus, und das ist auf Umwegen bei mir gelandet. Das Spiel heißt Rumpelstiltskin (was der englische Name für Rumpelstilzchen ist), stammt von Nate Heiss und ist illustriert von Felicia Cano. Es kommt in einer zwar leidlich kleinen, aber dennoch völlig überdimensionierten Schachtel daher. Dafür sind zu den 20 Karten erneut ein paar Zählklötzchen beigefügt worden, die keine wesentliche Spielfunktion haben.

 

Worum geht’s? Na ratet mal – um’s Raten natürlich. Wir haben hier ein reines Zweierspiel vor uns. Es besteht aus zwei gleichen Sätzen von je zehn verschiedenen Karten. Auf jeder Karte ist ein Name und eine Kartenfunktion zu lesen. Man mischt seinen Satz, legt ihn verdeckt vor sich als Stapel hin und zieht die obersten fünf Karten auf die Hand. Zusätzlich darf man sich die unterste Karte des Stapels ansehen, denn der Name dieser Karte ist der eigene Name, den das Gegenüber erraten muss, um zu gewinnen.

Abwechselnd spielt man nun je eine Karte und führt jeweils die darauf beschriebene Funktion aus. Zusätzlich können Karten zwei Sonderfunktionen haben, nämlich entweder „Guess“ oder „Reaction“. „Guess“ bedeutet, dass man erraten kann, welche Karte beim Gegenüber unten liegt. Stimmt der Tipp, hat man das Spiel gewonnen. „Reaction“-Karten sind eben Gegenreaktionen, die man auf Aktionen des/der anderen spielen kann – sie manipulieren den eigenen Stapel (in der Regel nach einem erfolgreichen Rateversuch, um den Kopf gerade noch aus der Schlinge zu ziehen).

Ausgespielte Karten legt man in eine eigene Auslage, so dass man immer sehen kann, welche Karten schon verbraucht sind (und daher nicht mehr unter dem Stapel stecken können). So kommen die Einschläge immer näher – sind es am Anfang noch zehn Namen, von denen man einen raten kann, werden es im Lauf des Spiels immer weniger. Wenn man alle fünf Handkarten aufgebraucht hat (das passiert unterschiedlich schnell, weil zum Beispiel Reaktionskarten ja zusätzlich zum eigenen Spielzug gespielt werden können), zieht man, wenn man dran ist, die oberste Karte vom Nachziehstapel und muss diese ausspielen – das ist nicht immer ein Traumzug. Am Ende geht es dann entsprechend meist recht schnell mit dem Raten (aber es kann natürlich auch passieren, dass man mit dem ersten Blindversuch gleich einen Treffer landet und das Gegenüber keine Reaktionskarte auf der Hand hat. Glück gehabt und auf eine Revancheforderung einstellen).

Macht das Spaß? Ja, mit Einschränkungen durchaus. Ein Spiel namens Rumpelstilzchen, bei dem man einen Namen erraten muss – eigentlich eine naheliegende Idee, warum gab’s das nicht schon früher? Vielleicht musste da wirklich erstmal die Mikrospielwelle über uns hereinbrechen. Die Kartenfunktionen finde ich nicht immer superinnovativ, aber da funktioniert alles, keine Klagen. Leider habe ich aber am Gesamtprodukt doch was zu meckern. Dass der Verlag diese komischen Klötzchen beilegt und in der Regel geradezu darum bettelt, dass man doch mehrere Runden in Folge spielen soll, um eine/n Gesamtsieger/in zu küren, finde ich befremdlich und überflüssig. Warum spielt man nicht einfach so viele Partien, wie man Lust hat, und freut sich daran? Aber gut, das kann man ja einfach ignorieren. Schwieriger ist es allerdings, das Kartendesign zu ignorieren. Die Karten sind schreiend bunt und völlig unfunktional. Wilde Fonts, der Funktionstext mit Hintergrundmustern unterlegt – man muss auch nach diversen Partien jede Karte neu studieren, um sie einsetzen zu können. Ein automatisches Wiedererkennen, das den Spielfluss ja erheblich steigern könnte, hat sich bei uns überhaupt nicht eingestellt. Hier wären ein paar klarere Linien und eindeutigere Farben viel besser gewesen (etwa wie beim Love-Letter-Original, aber da hatte Alderac ja auch schon an der Grafik herumpfuschen müssen). Ich finde die Bilder von Felicia Cano gar nicht mal schlecht, aber als Spielgrafiken sind sie in meinen Augen leider unbrauchbar. Auch wenn mein Geschmack da wahrscheinlich nicht allgemeingültig ist, fürchte ich, dass das den Erfolg des Spiels mindern könnte. Ich glaube, ich hätte es noch öfter zum Einsatz gebracht, wenn es übersichtlicher gestaltet wäre.

Rumpelstiltskin
Kann wirklich jemand die 4 und die 7 unterscheiden, ohne genau hingucken zu müssen?

Noch eine Kuriosität am Rande:

Rumpelstiltskin
Machen jetzt die ersten oder die zweiten fünf Minuten Spaß?

Titel: Rumpelstiltskin
Autor: Nate Heiss
Illustrationen: Felicia Cano
Verlag: Alderac Entertainment Group (AEG), 2015 – in englischer Sprache, bisher gibt es noch keine deutsche Ausgabe.