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Live aus Berlin: Das Spiel des Jahres 2016 wird prämiert

In wenigen Stunden ist es so weit: Um 10:20 beginnt die Live-Übertragung von der Prämierung des Spiels des Jahres 2016 in Berlin. Da ich mir vorgestern heftig den Fuß verstaucht habe, sitze ich heute mit einem dicken Verband um den Fuß zu Hause und kann mir das erstmalig in meinem Leben selbst angucken und bin schon ziemlich gespannt darauf. Zwar hat die Veranstaltung noch nicht ganz die Medienwirksamkeit wie die Oscar-Nacht, der ESC oder die Auslosung irgendwelcher Fußball-Pokalrunden, aber für mich ist es natürlich interessanter als all jene zusammen.

Nun spiele ich locker 100 für mich neue Spiele jährlich, aber trotzdem ist die Situation wieder mal so wie eigentlich jedes Jahr: Ich habe von den Nominierten kaum was vorher gespielt. Erstens liegt mein Interessenschwerpunkt doch eher auf Nischenspielen, und zweitens spiele ich wegen der Kinder meist bei uns zu Hause, was gepaart mit meinem extrem schmalen Spieleanschaffungsbudget dazu führt, dass viele heiße Neuheiten erstmal an mir vorbeigehen. Es ist also keineswegs so, dass mich die Spiele nicht interessieren würden, aber es mangelt doch an Gelegenheit. Trotzdem versuche ich, mich so gut es geht informiert zu halten.

Bei den Kinderspielen fand die Prämierung schon vor einigen Wochen statt. Von den Nominierten hatte ich zuvor nur Reiner Knizias Mmm! gekannt. Das steht auch hier herum und ich habe es mit den Kindern einige Male gespielt, es hat aber keinen wirklich bleibenden Eindruck hinterlassen und seine Nominierung hatte mich eher gewundert. Leo Colovinis Leo muss zum Friseur hatte ich mir auf der Messe in Nürnberg erklären lassen – es sah wunderschön und sehr einladend aus, aber eine Gelegenheit zum Ausprobieren hatte ich nicht. Und auf Marco Teubners Stone Age Junior hatte ich nur einen kurzen Blick geworfen, ich habe Stone Age nie gespielt und hatte die Junior-Version vielleicht etwas voreilig als die x-te Variante eines sehr bekannten Spieles abgetan (und nicht mal wahrgenommen, dass sie von einem anderen Autoren stammte). Eine Nominierung hatte ich auch hier nicht erwartet – und dann gewann es tatsächlich den begehrten Pöppel und mir wurde klar, dass es eine Menge Leute toll finden. Anschaffen werde ich es mir eher nicht, weil meine Kinder gerade die Schwelle zum Familienspiel überschreiten, aber spielen würde ich es nun natürlich doch gern mal.

Heute geht es aber nun um die in der Spieler/innenszene wesentlich heißer diskutierten beiden anderen Preise: Spiel des Jahres und Kennerspiel des Jahres.

Beim Kennerspiel ist es schon fast üblich, dass ich von den Nominierten keins vorher gespielt habe. Es ist keineswegs so, dass mich komplexe Spiele nicht reizen würden, aber mir fehlt einfach die Gelegenheit, sie zu spielen. Sowas kommt bestenfalls alle paar Monate mal vor, und das ist einfach zu selten, um dann die heißen Neuigkeiten wirklich zu überblicken. Trotzdem kann ich natürlich ein paar Sachen zur diesjährigen Auswahl sagen. In meinen Augen gibt es mit Pandemic Legacy von Matt Leacock und Rob Daviau einen Über-Favoriten, der mich selbst auch unheimlich reizt (seufz). Falls jemand von Euch das letzte Jahr in einer Einsiedelei oder sowas verbracht und noch nichts davon gehört haben sollte: Pandemic Legacy ist nach Risk Legacy das zweite (erfolgreiche) Spiel, das ein Legacy-Konzept verwendet. Das bedeutet, dass man eine Partie spielt und der Spielausgang permanent in die kommenden Spiele eingreift. Man muss Karten beschriften, bekleben oder ganz aus dem Spiel entfernen. Da gibt es dann kein Zurück, man „zerstört“ das Spiel also sozusagen beim Spielen. Im Falle von Pandemic Legacy spielt man bis dahin immerhin 12 bis 24 Partien, also mehr als die allermeisten Leute von ihren allermeisten Spielen sonst so spielen.

Pandemic Legacy ist in den Monaten seit seinem Erscheinen in einer solchen Geschwindigkeit auf den ersten Platz der Boardgamegeek-Rangliste hochgeschossen, dass einem Angst und Bange werden konnte. Hier ist den Machern offenbar ein wirklicher Volltreffer gelungen, und es würde mich wundern, wenn Pandemic Legacy heute nicht gewinnen würde.

Nun könnte man natürlich denken, dass die Jury ein Spiel, das man nur einmal durchspielen kann (wenn auch in Dutzenden von Stunden) nicht wirklich auf den Thron heben würde. Das allerdings zieht für mich als Argument nicht, denn mit dem sehr seltsam benamsten T.I.M.E Stories von Peggy Chassenet und Manuel Rozoy ist ein weiteres solches Spiel nominiert, wenn auch mit einem anderen Konzept. Man löst hier Fälle und erschließt sich dabei immer mehr von einer Geschichte. Zwar zerstört sich das Spiel nicht, aber irgendwann kennt man einen Fall eben komplett. Dann braucht man einen neuen, und wenn man sich den bisherigen Erfolg des Spiels ansieht, werden da auch noch eine ganze Menge auf den Markt kommen. Auch bei diesem Spiel herrscht einhellige Begeisterung. Mich selbst reizt es ebenfalls, obwohl ich es für eher unwahrscheinlich halte, dass ich das mal spielen werde, denn es ist sehr sprachabhängig und ich spiele doch in sehr vielen Fällen in gemischtsprachlichen Gruppen. Und auch wenn ich damit wahrscheinlich völlig falsch liege, kann ich nicht umhin, mich an Sherlock Holmes zu erinnern, das 1985 Spiel des Jahres wurde und das mich als Rollenspieler fürchterlich enttäuscht hat (von allen Spiel-des-Jahres-Gewinnern, die ich gespielt habe, mochte ich es am wenigsten).

Da also zwei der drei Kandidaten auf eine einmalige Spielerfahrung setzen, sieht es für mich nach einer echten Überzeugung der Jury aus, dass so etwas toll sein kann. Der dritte im Bunde, Isle of Skye von Alexander Pfister und Andreas Pelikan, zwei in letzter Zeit heiß gehandelten Autoren, wirkt für mich hier wie ein Außenseiter, obwohl auch hier die Meinungen, die ich so gehört habe, durchaus positiv sind. Man legt Plättchen und es gibt einen interessanten Bietmechanismus, das klingt durchaus nach einem Erfolgsrezept, aber eben einem eher konventionellen. Meine Prognose ist, dass es sich als Preisträger nicht wird durchsetzen können.

Auch beim Hauptpreis, dem normalen Spiel des Jahres, gibt es einen Favoriten, dennoch ist es hier in meinen Augen noch etwas spannender. Vlaada Chvátil, der Autor von Codenames, ist in den letzten Jahren immer mal wieder mit innovativen Ideen aufgefallen und so zu einem echten Publikumsliebling geworden. Bei Codenames spielen zwei Teams gegeneinander. Auf dem Tisch liegen 25 Karten mit Begriffen, und aus jedem Team muss ein/e Spieler/in dem Rest des Teams verschlüsselte Hinweise darauf geben, welche dieser Karten zum eigenen Team gehören. Die Mitspieler/innen müssen dann die Tipps entschlüsseln und auf die entsprechenden Karten zeigen. Zeigen sie allerdings auf eine Karte, die dem anderen Team gehört, helfen sie diesem, zeigen sie gar auf eine Tabu-Karte, ist das Spiel verloren, also heißt es aufpassen.

Das macht sehr viel Spaß und ziemlich süchtig (es ist der einzige Nominierte, den ich selbst schon gespielt habe, und das gleich mehrfach). Normalerweise sollte Codenames in diesem Jahr kaum eine Konkurrenz haben. Allerdings mag die Jury das anders sehen. Codenames ist durchaus anspruchsvoll und die Altersangabe „ab 14“ stellt natürlich eine Hürde dar. Zwar können auch erheblich jüngere Kinder mitspielen und tun das teilweise auch mit viel Elan (wenn auch mit teilweise durchwachsenem Erfolg), aber um das ganze Potential wirklich auskosten zu können, hilft ein großes Vokabular und etwas Lebenserfahrung doch enorm. Ein klassisches Familienspiel ist es also auf keinen Fall. Sollte das für die Jury ausschlaggebend sein und sie sich für einen anderen Kandidaten entscheiden, gibt es nächstes Jahr dann eine neue Chance, denn im Herbst erscheint Codenames Pictures, bei dem Kinder meiner Vermutung nach bessere Chancen haben, weil sie in Bildern oft andere Dinge sehen können als Erwachsene. Die Altersangabe ist dann mit „ab 10“ auch gleich ein bisschen familienfreundlicher.

Als die Nominierungen bekannt gegeben wurden, hatte man sich ja schon ein bisschen die Augen gerieben, weil Hans im Glück im Kinderspielsektor und Haba im Familienspielbereich nominiert waren. Das war so eine Art verkehrte Welt. Hans im Glück hat dann beim Kinderspiel auch gleich abgeräumt – vielleicht ist das ein gutes Omen für Rüdiger Dorns Karuba, das bei Haba erschienen ist? Ich hätte es im Frühjahr fast mal spielen können, es lag auf einem Tisch, an dem ich saß, aber dann wurden doch andere Sachen ausgepackt. Es ist ein Plättchenlegespiel, bei dem alle mit den gleichen Voraussetzungen Wege auslegen und Schätze einsammeln. Ich habe viel Lob für die sehr schnell erklärten Regeln und den flotten Spielverlauf gehört, allerdings scheint es nicht allzu interaktiv zu sein, daher ist es vielleicht nicht unbedingt meine Kragenweite. Aber das ist für die Jury ja kein Kriterium. 🙂

Der dritte im Bunde ist das im alten Ägypten angesiedelte Bauspiel Imhotep von Phil Walker-Harding, dem ich kaum Chancen einräume. Anders als bei den beiden anderen Nominierten gehen die Meinungen zu Imhotep doch stark auseinander. Einige lieben es, aber ich habe auch schon eine ganze Menge negative Stimmen gehört, es sei trocken und wenig beeinflussbar. Wie gesagt, ein eigenes Urteil kann ich mir nicht erlauben, aber die Konkurrenz scheint für Imhotep doch zu stark zu sein.

So, das soll es als Einstimmung gewesen sein. Was am Ende herauskommt, werden wir gleich sehen. Bisher habe ich mit meinen Prognosen so gut wie immer völlig daneben gelegen. Mal sehen, ob ich mich dieses Mal überraschen kann.

Hände hoch! Pfoten weg!

Für Spieleautor/innen ist es sehr schwierig, etwas wirklich Neues zu erfinden. Die meisten Spiele sind Weiterentwicklungen von bekannten Ideen, in mindestens einigen Aspekten. Also klebt man als Renzensent ein Label drauf: Stichspiel, Bluffspiel, erinnert an Diesundjenes, für Liebhaber/innen von Ihrwisstschon. Ab und zu wird ein innovatives Spiel selbst zum Kategorien definierenden Trendsetter, wie etwa Caylus für die Worker-Placement-Spiele, Dominion für die Deckbuilder oder Love Letter für die Mikrospiele und zuletzt Risk Legacy für die Legacy-Spiele. Aber das passiert bestenfalls alle paar Jahre mal. Ja, und dann hat man plötzlich doch ein Spiel in der Hand, das in keine Kategorie zu passen scheint und das einen an schlicht gar nichts erinnert. Man schaut einigermaßen verständnislos in die Regel und muss erstmal das Spielmaterial vor sich ausbreiten, um überhaupt zu erahnen, worum es geht. Ein solches Spiel möchte ich heute besprechen, nämlich Hand Made Wonders von Bono Light (陳小光).

Hand Made Wonders
Das Cover

Als ich das Spiel erstmals in den Händen hielt, war ich gleich begeistert von der Titelgrafik, bei der das Kolosseum aus einer Hand gebildet wird. Auch das ist eine Illustration, die aus dem Rahmen fällt, während ich Illustrationen von deutschen oder sonstigen westlichen Spielen oft wenig inspirierend finde (von Hand Made Wonders ist übrigens soeben eine polnische Neuauflage erschienen, die eine für mich völlig nichtssagende Titelgrafik ziert).

Erstes ungewöhnliches Spielelement sind Armbänder in drei Farben. Je nach Zahl der Spielenden werden diese verteilt, und man macht sich an jedes Handgelenk eins (die beiden haben immer verschiedene Farben). Dann gibt es Bauwerkkarten, die auf der Rückseite mit II, III, IV oder V markiert sind. Sie werden nach Nummern getrennt gemischt und von jeder Zahl wird eine aufgedeckt.

Spielmaterial
Spielmaterial

Auf Kommando streckt nun jede/r einen beliebigen Arm vor, zählt durch, wie viele Armbänder mit der gleichen Farbe zu sehen sind und bildet mit deren Spieler/innen ein Team, das das Gebäude auf der Karte mit der entsprechenden Nummer mit den ausgestreckten Händen nachbilden muss. Wer damit fertig ist, ruft „Stop!“ Ist das Gebäude korrekt errichtet, bekommen die beteiligten Spieler/innen jeweils eine Belohnungskarte für den rechten oder linken Arm, je nachdem, welchen sie benutzt haben. Wer zuerst drei Links- und drei Rechts-Karten gesammelt hat, gewinnt das Spiel.

Sollte man allein in einem Team sein, muss man eine spezielle Mission erfüllen. Dafür muss man ein Symbol auf der aktuellen Karte mit der II suchen, dann solange Karten aus einer speziellen Auslage umdrehen, bis man die Karten mit dem entsprechenden Symbol gefunden hat, und schließlich mit einer Hand die entsprechende Haltung einnehmen.

Einige der Bauwerkkarten
Einige der Bauwerkkarten

Und? Macht das Spaß?

Auf alle Fälle. Das Spiel ist laut, hektisch und chaotisch. Auf Kommando schießen lauter Hände nach vorn, und während einige Spieler/innen noch verzweifelt nachzählen und versuchen, ihr Team und ihre Aufgabe zu finden, sind andere schon dabei, irgendwelche Bauwerke zu formen und gleichzeitig ihre Teammitglieder zu instruieren, was sie machen sollen. Man ist eigentlich ständig damit beschäftigt, lauter Dinge gleichzeitig zu machen, und eine verbale Koordination ist schwierig. Da hält jemand eine flache Hand über den Tisch, ich halte meine Hand in irgendeinem Winkel daran, um weiterzubauen und stelle fest, dass der/diejenige im Glauben, im anderen Team zu sein und etwas ganz anderes bauen zu müssen, die Hand wieder wegzieht, mich womöglich noch schief anguckt und wir nun gemeinsam versuchen, herauszufinden, was gerade Sache ist. Inzwischen macht das das andere Team natürlich auch, und es gibt ein wildes Durcheinander mit viel Gelächter.

Während es in den ersten Runden noch ziemlich zufällig ist, wie die Teams aussehen, gibt es gegen Ende des Spiels erste Hinweise, weil jemandem eben noch eine bestimmte Karte fehlt und man sich einigermaßen drauf verlassen kann, dass er oder sie die entsprechende Hand wählt. Um das wirklich zu verfolgen und zu nutzen, geht das Spiel aber eigentlich viel zu schnell voran, und so wird daraus einfach eine zusätzliche Sache, die man im Auge zu behalten versucht. Ich selbst habe dabei eine ganze Menge Pläne verhunzt, und kann nicht behaupten, dass ich ein besonders guter Spieler bei Hand Made Wonders wäre. Vielleicht lösen meine bescheidenen Fähigkeiten einfach immer mehr Herumdenken aus, was manchmal alles noch schlimmer macht. Trotzdem hatte ich viel zu lachen und wäre jederzeit wieder bei einer Partie dabei.

Doch bei aller Innovation: Ob ich das in einigen Jahren noch regelmäßig spielen werde, weiß ich nicht. Es ist durchaus ein anstrengendes Spiel, trotz des hohen Spaßfaktors. Ich kann es daher vor allem denen empfehlen, die etwas wirklich radikal Neues kennen lernen möchten und nicht davor zurückschrecken, mal ein bisschen die Sau rauszulassen.

Gesamteindruck: 7/10

Hand Made Wonders (手造奇觀) (Link zum BGG-Eintrag)
für 4 bis 8 Spieler/innen – am besten viele!
von Bono Light (陳小光)
Illustrationen: Yun Long
Auf Chinesisch erschienen bei TwoPlus Games, 2014 auf Polnisch bei Portal Games unter dem Namen Rączki Złączki. Englische Regeln gibt’s im Netz.