Schon auf der Spielemesse 2014 hatte ich mir Secret Moon von Seiji Kanai gekauft, ein Mikrospiel, das die inhaltliche Fortsetzung von Love Letter sein sollte. Leider war ich nie dazu gekommen, es auszuprobieren, meist, weil die ideale Spieler/innenzahl von 6 oder 7 Personen nicht zustandekam, wenn ich es gerade dabei hatte. Unterdessen erhielt das Spiel eher mäßige Bewertungen im Netz und schien für viele Leute die hohen Erwartungen nicht zu erfüllen. Vor ein paar Wochen war es dann aber endlich so weit, wir waren zu sechst und in der passenden Stimmung, also haben wir es ausprobiert. Und dann gleich nochmal gespielt. Und nochmal. Und nochmal. Insgesamt waren es 13 Partien, es ging bis tief in die Nacht, und es war mir fast unangenehm, als erster schlapp zu machen und damit die Spielrunde zu sprengen. Warum nur? Das will ich Euch zu erklären versuchen.
In Love Letter ging es ja darum, der Prinzessin diskret einen Liebesbrief zu schicken. Secret Moon setzt an der Stelle an, wo die Prinzessin diesen Brief bekommen hat und nun ein nächtliches Treffen mit ihrem Verehrer im Schlosspark vereinbart. Leider hat der machthungrige Minister bereits andere Hochzeitspläne für die Prinzessin und versucht, das Treffen zu verhindern. Unterstützt wird er dabei von seinen Wachen. Schließlich ist da noch die Priesterin, die treue Helferin der Prinzessin, die sich als Wache ausgibt und ein bisschen Verwirrung stiften kann. Wir haben also zwei Interessengruppen: Auf der einen Seite steht die Prinzessin gemeinsam mit ihrem Verehrer (dem „Wanderer“) und der Priesterin, auf der anderen Seite der Minister mit seinen vier Wachen. Gewonnen und verloren wird gemeinsam als Team. Das Prinzessinnteam gewinnt, wenn der Minister gefangen genommen wird oder es nach drei Runden noch kein Ergebnis gibt. Das Ministerteam gewinnt, wenn die Prinzessin gefangen genommen wird oder sowohl die Prinzessin als auch der Wanderer aufgedeckt werden.¹
Das Spiel besteht aus zwei Sätzen zu je acht Karten. Auf dem einen Kartensatz befinden sich die Figuren, auf dem anderen Zahlen von eins bis acht. Zu Beginn des Spiels teilt man die Figurenkarten aus und guckt sich seine an. Überzählige Karten kommen verdeckt in die Tischmitte. Prinzessin und Wanderer dürfen sich dann kennen lernen, indem alle die Augen schließen und nur die beiden die Augen öffnen. Allerdings kann es eben vorkommen, dass man allein die Augen offen hat, weil die andere Karte verdeckt auf dem Tisch liegt. Bei sechs Spieler/innen liegen eventuell sogar Prinzessin und Wanderer verdeckt in der Mitte – aber das weiß dann eben erstmal niemand, weil ja niemand die Augen geöffnet hat.
Nun werden die Zahlenkarten ausgeteilt. Sie stellen das Zufallselement im Spiel dar und geben die Zugreihenfolge vor. Wer die Eins hat, zieht zuerst, und so weiter bis zur Acht. Allerdings werden auch hier wieder die überzähligen Karten verdeckt beiseite gelegt, so dass man aus der eigenen Zahlenkarte nur ungefähr abschätzen kann, wann man an der Reihe sein wird.
Wer dran ist, hat folgende Möglichkeiten:
– sich selbst oder eine andere Person schützen (diese Person kann dann in der aktuellen Runde nicht mehr Ziel von anderen Aktionen werden. Diese Aktion darf man in der letzten Runde allerdings nicht ausführen).
– eine beliebige Personenkarte ansehen (auch eine aus der Mitte)
– jemanden fragen: „Wer ist da?“ Wachen (und natürlich auch die Priesterin) antworten „Ich bin’s nur“, der Minister antwortet „Ich bin doch der Minister, du Narr!“, und Prinzessin und Wanderer schweigen.
– jemanden verdächtigen: „Du bist XY“. Stimmt das, wird die Karte des/der Verdächtigten aufgedeckt, stimmt es nicht, die Karte des Verdächtigers/der Verdächtigerin. Aufgedeckte Wachen werden automatisch gefangen genommen.
– jemanden gefangen nehmen, was bedeutet, dass man eine bereits aufgedeckte Karte auf die Seite dreht und damit aus dem Spiel nimmt. Achtung: Wachen können diese Aktion nicht ausführen.
– jemanden stören: Man zwingt jemanden, seine Zahlenkarte abzuwerfen und beraubt ihn oder sie damit der Aktion für die laufende Runde. Allerdings wird man für diese Aktion selbst augenblicklich gefangen genommen, ist also aus dem Spiel.
Auch wer gefangen genommen wird, kann übrigens weiterhin gewinnen. Insbesondere die Wachen opfern sich gern mal im Dienste der gemeinsamen Sache.
Eine typische Partie Secret Moon läuft etwa so ab: In der ersten Runde tappt man ziemlich im Dunkeln, guckt sich eine fremde Karte an oder fragt jemanden. Man beobachtet, was die anderen machen und versucht, daraus Schlüsse zu ziehen. In der zweiten Runde versucht man, seine Informationen zu verifizieren. Sehr oft weiß man am Ende der zweiten Runde genug und ist bereit, in der dritten Runde loszuschlagen. Dann kommt es auf die Zugreihenfolge an – ist man früh genug dran, kann das den Sieg bedeuten. Aber natürlich kommt es auch vor, dass man danebengelegen hat und versehentlich das eigene Team in Schwierigkeiten bringt. Gute Teamarbeit ist also wichtig.
Nach den ersten Partien waren wir ziemlich überzeugt, dass das Prinzessinnenteam eigentlich keine Chance hätte. Als wir aber weitere Partien gespielt hatten, änderte sich das, und mittlerweile kommt mir das Spiel erstaunlich ausgewogen vor. Das will bei dem deutlich asymmetrischen Spielaufbau schon etwas heißen, das Spiel ist sehr gut ausbalanciert.
Zusätzlich zu den Karten sind übrigens auch noch Marker im Spiel, mit denen man anzeigen kann, wer wessen Karte bereits gesehen hat und von ob bereits bekannt ist, zu welchem Team jemand gehört. Durch das Weglassen dieser Marker kann man den Schwierigkeitsgrad um ein Stück erhöhen.
Wie so viele Spiele, die letztlich aus dem Mafia-/Werwolf-Genre stammen, lebt auch Secret Moon von der Ungewissheit, ob man das Richtige tut und davon, dass man es gelegentlich nicht tut. Hier ist besonders die Rolle der Priesterin interessant. Wenn eine vermeintliche Wache etwas tut, was dem eigenen Team schadet, liegt es dann an mangelnden Informationen oder daran, dass es sich gar nicht um eine Wache handelt, sondern um die Priesterin? Das ist kurzer, intensiver Nervenkitzel.
Was im Vergleich mit anderen Spielen des Genres fehlt, ist das intensive Zulabern anderer. Bei Secret Moon schweigt man sich im Wesentlichen an, abgesehen vom Befragen von im Garten herumschleichenen zwielichtigen Gestalten. Ich spiele Deduktionsspiele mit viel Gelaber eigentlich nicht so sehr gern, weil mir in aller Regel niemand irgendwas glaubt (liegt wahrscheinlich daran, dass ich meist derjenige bin, der die Spiele mitbringt und deshalb irgendwie automatisch besonders verdächtig bin), daher kommt mir Secret Moon ziemlich entgegen, da kann ich nämlich an den ganzen Spekulationen in Ruhe teilnehmen, ohne automatisch spätestens in der zweiten Runde auszuscheiden.
Secret Moon hat also alles, was mir an einem Spiel gefällt: Kurze Spieldauer (eine Partie dauert vielleicht eine Viertelstunde), keine Auszeiten, da man jederzeit beobachten muss, was die anderen tun, und eine hohe Spannung. Dass es nicht bei allen gleich gut ankommt, liegt wahrscheinlich vor allem daran, dass die Zahlenkarten einen erheblichen Zufallsfaktor ins Spiel bringen. In den meisten Partien entscheidet die Reihenfolge in der letzten Runde über den Sieg – sobald alle Informationen klar sind, gewinnt das Team, das kleinere Zahlenkarten gezogen hat. Daran kann man sich natürlich stören, aber für uns war das nicht weiter tragisch. Man kann es sich etwa so vorstellen, wie wenn man etwa in einem Spiel am Ende einen Kampf gegen irgendwen ausfechten soll, alles dafür getan hat, die Wahrscheinlichkeiten zu den eigenen Gunsten zu manipulieren, aber letztlich doch ein Würfelwurf darüber entscheidet, ob das genug war. Immerhin bleibt die Spannung ja noch erhalten, wenn man die Karten zieht und zwar vielleicht sieht, dass man nicht die Eins hat, aber nicht sicher ist, ob noch jemand vor einem dran ist (es werden ja nicht alle Karten verteilt) und wenn ja, wer. Das ist schon eine Menge Nervenkitzel für so ein kurzes Spiel.
Wer sich also von einem erheblichen, aber gut verpackten Glücksfaktor nicht abschrecken lässt, wer öfter mal sechs oder sieben Leute beisammen hat, denen das ebenso geht, und wer allgemein Spaß an Deduktionsspielen hat, ist mit Secret Moon sehr gut beraten.
Gesamteindruck: 8/10
Secret Moon
von Seiji Kanai
für fünf bis acht (am besten sechs oder sieben) Personen
Illustrationen: Noboru Sugiura
Verlag: Kanai Factory, 2014
¹ Für diejenigen, die Love Letter nicht im Original kennen: Der Minister ist dort die Karte mit der 7 (die keine anderen wichtigen Leute neben sich ertragen kann), die Priesterin die Nummer 4 (die jemanden schützen kann). Und die Prinzessin trägt eine Brille.