Was „Black Lives Matter“ mit der Spieleszene zu tun hat

Es ist gerade mal etwas mehr als einen Monat her, dass George Floyd bei einem extrem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis getötet wurde. Nun ist das leider kein Einzelfall; jedes Jahr sterben in den USA rund 1000 Menschen bei Polizeieinsätzen (etwa hundert mal so viele wie in Deutschland, bei vierfacher Bevölkerung). Entsprechend ist das Thema in Deutschland schon wieder etwas unter Fleischfabriken, Wirecard und Philip Amthor begraben worden. In den USA scheint die Lage aber ein bisschen anders zu sein. Dort hat dieser Fall mehr ausgelöst als vergleichbare frühere. Das mag an dem Video liegen, das kursiert (ich gucke mir sowas nicht an, das halte ich nicht aus), aber warum auch immer, es hat etwas angestoßen, das weit in die Spieleszene hineinreicht (sonst würde ich hier auch nicht darüber schreiben). Meine Kontakte in die USA kommen zu einem erheblichen Teil durch Spielefreundschaften zustande, und ich bewege mich auch auf Boardgamegeek und in diversen englischsprachigen (meist amerikanischen) Facebookgruppen. Dort gibt es zum Teil beachtliche Verschiebungen, die hierzulande vielleicht weniger wahrgenommen wurden, die ihre Wellen über kurz oder lang aber auch hier schlagen werden.

Die Situation in den USA

Ich kann auf keinen Fall für mich in Anspruch nehmen, hier alles aufzulisten, was passiert ist. Daher nur ein paar Beispiele. Vom 18. bis zum 20. Juni hätte eigentlich die Origins Game Fair stattfinden sollen, eine der beiden größten Spieleveranstaltungen in den USA. Wegen der Corona-Krise war Origins zu einer Digitalveranstaltung umgebaut worden, während die Präsenzveranstaltung auf den Herbst verlegt worden war. Nachdem die GAMA (Game Manufacturers Association) auf die Aufforderung, sich zu Black Lives Matter zu bekennen, ausweichend reagiert hatte, hatten zuerst People of Color, dann auch weiße Unterstützer*innen ihre Teilnahme abgesagt. Da damit das Programm des Events in sich zusammenfiel, sagte die GAMA das Ganze ab, allerdings zunächst, ohne den Auszug ihrer Stars zu erwähnen, was wiederum Kritik nach sich zog. Am Ende stand ein Scherbenhaufen und die Absage auch des Treffens im Herbst. Ob und wie Origins sich davon erholt, ist völlig offen. Die GAMA hat mittlerweile um Entschuldigung gebeten, was als positiver Schritt gewertet werden dürfte, auch wenn es da offenbar weiterhin Gesprächsbedarf gibt.

Die Internetseiten und -gruppen haben unterschiedliche Wege eingeschlagen. Boardgamegeek hat ein eindeutiges Statement für mehr Diversität abgegeben, die Aufnahme von Candice Harris ins Team bekannt gemacht und unter anderem angekündigt, die berüchtigte Rubrik „Religion, Sex and Politics“ (eine unmoderierte Sektion der Seite) zu schließen. Siehe dazu aber auch diesen Aufruf. Der Bekenntnisthread musste heftig moderiert werden, weil es da natürlich zu verbalen Auseinandersetzungen kam. Klare Sache: Es gibt Leute, die der Seite deshalb den Rücken kehren werden.
Gegenteilige Partei ergriff Consimworld (CSW), eine schon ziemlich alte Seite, die sich vor allem an Wargamer richtet. Hier wurden Leute, die sich zu Black Lives Matter bekannten, ausgeschlossen. Weitere werden von selber gehen.
Einen Auszug, der dem bei Origins ähnelt, gab es bei Everything Boardgames, einer Seite, auf der viele Leute über Spiele schreiben. Gleich siebzehn Autor*innen, die dort regelmäßig Beiträge geliefert haben, haben ihren Rückzug angekündigt, was vom Chef der Seite, der ein Bekenntnis zu Menschenrechten für Politik hält, die nichts mit Spielen zu tun hat, nicht bedauert zu werden scheint.
In anderen Gruppen auf Facebook versammeln sich nun Rassist*innen, um ihr Recht auf freie Meinungsäußerung zu zelebrieren. So etwas verlinke ich nicht, das ist kaum zu ertragen.
Das sind nur ein paar Beispiele dafür, was sich im Moment in den USA abspielt – die Spaltung der Gesellschaft ist auch in der Spieleszene deutlich sichtbar geworden.

Aber was geht uns das hier in Europa an?

Und warum sollten sich Spielemacher*innen und Spielemedienschaffende überhaupt positionieren? Ist es nicht das Schöne am Spielen, dass es Brücken baut, dass man mit Leuten gemeinsam Spaß haben kann, mit denen man sich in einer politischen Diskussion sofort an die Gurgel gehen würde?

Ja und Nein.

Natürlich ist die Vorstellung, dass Spielen Grenzen und Abneigungen überwindet, ganz wunderbar. Und manchmal funktioniert das auch tatsächlich. Aber leider ist das nur ein Teil der Wahrheit. Es greift zu kurz, sich einfach hinzustellen und zu sagen: „Wir grenzen niemanden aus – jeder und jede ist in unserer Spielegruppe willkommen! Wer dann nicht will, hat eben einfach kein Interesse.“ Warum Leute sich unwillkommen fühlen, wird dabei leider nämlich oft ignoriert. Wirklich aggressives, übergriffiges oder einfach nur mieses Verhalten (das es leider auch noch zu oft gibt) ist nur die Spitze des Eisbergs. Und so kann man sich leicht vorgaukeln, dass eigentlich alles in Ordnung sei.
Aber wenn Leute das Gefühl bekommen, nicht dazuzugehören, geht das tiefer. Da sind oft nicht mal finstere Absichten am Werk, aber es ist eben so, dass die Spieleszene in Europa wie in Nordamerika von weißen Männern dominiert wird. Das führt dann dazu, dass auf Fotos von Spielegruppen weiße Männer zu sehen sind, dass auf dem Cover von Spieleschachteln weiße Männer zu sehen sind, und viele, die sich nicht als weiße Männer verstehen, sich fragen, was sie in solch einer Szene sollen. Klar, manche überwinden das (was den Eindruck verstärken mag, dass alles in Ordnung sei), aber viele eben auch nicht. Sie gucken sich das an und fühlen sich nicht angesprochen (gar nicht unbedingt bewusst). Das heißt nicht, dass sie keine Lust auf Spiele haben, sondern dass sie keine Lust auf die Spieleszene haben, wie sie ist. Wer sich seit Ewigkeiten in der gleichen kleinen Spielegruppe trifft und sich nicht für öffentliche Spieletreffs interessiert, mag sich fragen, warum das wichtig sein soll – wer sich in der Spieleöffentlichkeit nicht wohl fühlt, kann ja eine eigene Spielegruppe mit Gleichgesinnten gründen. Das finde ich aber erstens grundsätzlich schade (und es widerspricht auch dem obigen Gedanken, dass Spielen verbinden sollte), und zweitens löste es nicht das Problem, dass viele Spiele, die veröffentlicht werden, bestimmte Zielgruppen abschrecken. Wenn wir sagen, dass wir keine politischen Diskussionen in unseren Spielegruppen und -foren haben wollen, nehmen wir in Kauf, dass die Politik sich dann weiterhin zum Nachteil anderer auswirkt.

Nun ist es leicht, ein Bekenntnis zu Diversität abzugeben, und das haben auch viele Verlage und Spielemedienschaffende schon getan. Gut so, das kann ein kleiner Beitrag dazu sein, dass sich mehr Leute willkommen fühlen. Aber dabei sollten wir nicht stehen bleiben. Ich würde mir wünschen, dass auch Verlage sich anstrengen, mehr Diversität in ihre Belegschaft zu bringen. Das braucht allemal Zeit, es kann ja nicht das Ziel sein, jetzt Leute zu feuern und durch andere zu ersetzen. Aber perspektivisch sollte man die Diversität im Auge haben. Boardgamegeek beispielsweise hat sich dazu mittlerweile verpflichtet. Auch sonst gibt es in der Spieleszene schon Projekte, die über bloße Stellungnahmen hinausgehen. Ich hatte hier vor ein paar Jahren über die erfolgreiche Gruppe Lady Lúdica aus Brasilien berichtet, die mir nach wie vor sehr am Herzen liegt. Allerdings hat Jennifer Schlickbernd, eine der prominentesten schwarzen Spieleautorinnen, in meinen Augen zu Recht darauf hingewiesen, dass wir die Überwindung von Rassismus nicht allein den Diskriminierten überlassen sollten. Hier sind alle gefragt. Denn hier gilt das Gleiche wie bei den Spielegruppen – es reicht nicht, zu sagen, wenn Autor*innen aus Minderheiten gute Spiele machen, dann werden sie auch veröffentlicht. Das blendet nämlich aus, dass sie das Gefühl bekommen, Spieleentwicklung wäre gar nichts für sie.

Dass Frauen in Spieleillustrationen unterrepräsentiert sind, ist oft (aber vielleicht noch nicht oft genug) diskutiert worden. Das gilt aber auch für People of Color, und da scheint mir die Diskussion in Deutschland noch nicht so stark angekommen zu sein. Hierzulande ist die Zusammensetzung der Bevölkerung zwar anders als in den USA, aber die Gräben zwischen Menschen verschiedener Abstammung existieren auch hier.

Was können wir jetzt also tun?

Der allererste Schritt ist sicherlich, sich des Problems überhaupt erstmal bewusst zu werden. Die Foren sind voll von Beiträgen weißer Männer à la: „Rassismus oder Sexismus gibt es doch in der Spieleszene kaum. Mir ist jedenfalls nie sowas aufgefallen.“ Genau das ist aber das Problem – wenn man nicht selbst betroffen ist, fällt es deutlich leichter, über solche Probleme hinwegzusehen. Das muss gar nicht böse gemeint sein. Aber hier hilft es allemal, zuzuhören und sich und andere zu hinterfragen. Einen guten Startpunkt finde ich diesen Artikel, der zeigt, wie man mit echten Kleinigkeiten viel bewirken kann. Auch wer das dort eingeforderte positive Verhalten ohnehin selbstverständlich findet, sollte nicht entrüstet sein (dieser Artikel ist schließlich kein Angriff auf alles und jede*n), sondern trotzdem einfach einen Moment darüber nachdenken.

Zweitens können wir uns dafür interessieren, wer die Spiele gemacht hat, die wir spielen. Vielleicht wird uns dann klar, wie einseitig die Verhältnisse sind. Wer will, kann auch gezielt nach Spielen suchen, die nicht von weißen Männern stammen. Elizabeth Hargrave, die Autorin von Flügelschlag, unterhält zum Beispielauf ihrer Webseite eine Übersicht von aktuell aktiven Spieleautorinnen und nichtbinären Autor*innen. Auf Boardgamegeek gibt es eine Liste schwarzer Autor*innen und Illustrator*innen. Ergänzungen zu beiden Listen sind willkommen. Wessen Spiele kennt Ihr?
Ergänzung, 25.6.2020: Die Facebook-Kommentare zu diesem Abschnitt haben mich etwas überrascht. Zur Klarstellung: Ich rufe hier nicht dazu auf, beliebig schlechte Spiele zu kaufen, nur weil sie von schwarzen Autor*innen stammen. Oder fordere gar einen Boykott weißer Autor*innen (ja, den Vorwurf gab es allen Ernstes). Gemeint ist er so: Wer will (!), kann (!) sich diese Listen mal angucken. Vielleicht sind ja Spiele oder Autor*innen drauf, die Euch interessieren, und von denen Ihr auf anderem Wege noch nichts gehört hättet? Oder Euch fällt auf, dass jemand fehlt, und Ihr könnt ihn oder sie ergänzen? Mehr nicht. 

Drittens können wir bei der Auswahl der Spiele, die wir kaufen und spielen, auf das Thema achten. Das gilt ganz besonders bei historischen Spielen und Spielen, die in einer aus europäischer Sicht ungewohnten Umgebung angesiedelt sind. Obwohl es Leute gibt, die das Thema Kolonialismus im Spiel seit Jahrzehnten in die Öffentlichkeit bringen1, kommen immer noch Kickstarter wie dieser auf den Markt – wer bitte kann die windelweiche Distanzierung des Autors vom Grauen, das mit der Gründung der Stadt Buenos Aires verbunden war, ernst nehmen, wenn dann das Titelbild die spanische Conquista derart abfeiert? Das ist ja quasi ein Schachtel gewordenes Reiterstandbild. Apropos Standbild: In Belgien gibt es Proteste gegen die Denkmäler für den zehnmillionenfachen Mörder Leopold II. Aber noch auf der Spiel 2019 wurde er als Promo-Karte für das Spiel Bruxelles 1897 verwendet. Die Argumente, die dann für solche Absurditäten vorgebracht werden, sind, dass solche Spiele doch nur die historische Wahrheit abbilden würden. Das ignoriert, dass man sich eben zum Beispiel bei Trinidad in die Rolle der spanischen Familien versetzt, die sich in Südamerika eingenistet haben, und nicht in die Rolle derjenigen, die darunter leiden mussten. Bei der Leopold-Karte ist das Argument nicht nur faktisch falsch (sie bildet eben nur einen massiv geschönten Teil der Wahrheit ab und blendet die Gräueltaten aus), sondern es schließt aktiv Leute aus. Würden die Macher auf die Idee kommen, Bruxelles 1897 im Kongo zu verkaufen? Wahrscheinlich nicht, sie ziehen es vermutlich gar nicht in Betracht, dass es auch dort Leute geben könnte, die gerne spielen (Hinweis: Doch, gibt es). Aber was ist mit Kongoles*innen in Europa, die zum Beispiel hier zu einem Spieletreffen gehen und dann mit so einem Spiel konfrontiert werden? Seltsam, warum kommen die denn nicht wieder? Wir waren doch echt nett zu ihnen?

Die Verantwortung für die Themen haben wir alle – Autor*innen, Verlage, die ein bisschen Sensibilität bei der Themenauswahl walten lassen sollten, aber auch Spieler*innen und Medienschaffende, die auf abschreckende Beispiele hinweisen können. Zeigen wir, dass wir es besser können, und zeigen wir, dass wir Besseres erwarten. Ich will mir dabei gar nicht anmaßen, zu entscheiden, welche Spiele noch ok sind und welche nicht mehr. Für manche sind die Siedler von Catan schon zu kolonialistisch (hieß in der Ur-Version übrigens Kolonisation2) – mir ist das abstrakt genug, dass ich dabei keine Bauchschmerzen kriege. Andere haben kein Problem mit Secret Hitler. Es geht mir also nicht darum, allgemeingültige Regeln dafür aufzustellen, was man darf oder nicht darf. Aber setzen wir uns mit dem auseinander, was wir spielen, tun wir Einwände nicht mit „ist nur ein Spiel, da ist alles erlaubt“ ab, sondern lassen wir sie uns ernsthaft durch den Kopf gehen, insbesondere, wenn sie von marginalisierten Gruppen kommen, die in den Spielen vorkommen und oft hart falsch oder erniedrigend (oder beides) dargestellt werden. Überlegen wir beim Kauf eines Spiels doch zumindest, ob wir Leute kennen (nicht nur in unserem Spieleumfeld), denen es aus nachvollziehbaren Gründen unangenehm sein könnte, mitzuspielen. Niemand kann alle Spiele spielen, die jedes Jahr erscheinen, nicht einmal alle guten. Also können wir bei der Auswahl dazu beitragen, dass der Schwerpunkt sich ein bisschen verschiebt, hin zu besseren Themen (und übrigens auch besser recherchierten – je weiter entfernt von der Heimat ein Spiel angesiedelt ist, desto egaler scheint zuweilen die thematische Genauigkeit zu sein). Dabei sollten wir nicht aus den Augen verlieren, dass der Markt heutzutage viel internationaler ist als vor 20 Jahren oder so. Wer heute in Deutschland ein Spiel veröffentlicht, möchte das im Idealfall auch international verkaufen. Wenn der amerikanische Markt dann wegfällt, weil ein deutscher Verlag die dortige Entwicklung verschlafen hat, ist das auch wirtschaftlich keine gute Idee. Und ich schätze die Lage so ein, dass es zumindest in den USA jetzt mehr Leute gibt als früher, die auf gute Themen achten.

Viertens sollten wir das Ganze nicht so sehr als eine Einschränkung begreifen. Im Gegenteil: Ich erhoffe mir, dass sich durch größere Diversität mittelfristig eine größere Auswahl ergibt, die dann wirklich für alle etwas bietet. Das allein sollte uns Belohnung genug sein.

1 Reinhold Wittig zum Beispiel hatte schon 2003 und 2013 Ausstellungen zum Thema Kolonialismus in Spielen organisiert und auf der 6. Deutschen Spieleautorentagung 2011 einen Workshop dazu angeboten, siehe Spiele entwickeln 2011, Pro BUSINESS GmbH, Berlin 2011

2 Klaus Teuber: Mein Weg nach CATAN, LangenMüller, Stuttgart, 2020

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert