Eric Martin, ein von mir besonders geschätzter Spielejournalist, prägte 2015 in seinem Bericht über seinen Besuch auf dem Tokyo Games Market den Begriff „sexy games“, und dabei bezog er sich explizit auf Spiele des vierköpfigen japanischen Autor*innenkollektivs team SAIEN. Leider hat sich der Begriff nicht auf breiter Front durchgesetzt, aber ich gehöre immerhin zu den Leuten, die ihn noch hier und da benutzen. Gemeint sind Spiele, die einen durch ihr Spielmaterial einfach magisch anziehen, auch wenn man noch gar nicht weiß, worum es dabei geht. Das mag jede*r ein bisschen anders interpretieren, aber viele SAIEN-Spiele gehören allemal dazu. So auch Katteni Shiyagare, eigentlich ein Mikrospiel, das aus nur zehn Elementen besteht. Da das aber zehn massive Holzklötze sind, ist der Holzkasten, in dem es geliefert wird, nicht mehr unter Mikrospielen einzuordnen. Im Herzen ist es trotzdem eins.
Worum geht‘s?
Katteni Shiyagare besteht aus zehn Spielsteinen, die jeweils beidseitig mit einem von fünf Farbsymbolen bedruckt sind. Dabei gibt es jede Kombination von zwei Farben genau einmal, also hat zum Beispiel je einer der roten Steine auf der Rückseite Grün, Weiß, Schwarz und Blau.
Die Steine werden gemischt und so zwischen den beiden Spieler*innen aufgestellt, dass jede*r nur eine Seite der Steine sehen kann. Wer dran ist, wählt einen der Steine und stellt ihn aufrecht hin. Der oder die andere Spieler*in darf diesen Stein nun so kippen, dass eine der beiden Seiten oben liegt. Dann muss der Stein am Spielfeldrand in eine Pyramide gelegt werden, bei der unten vier Steine liegen, darüber drei und so weiter. In eine höhere Ebene darf ein Stein nur dann gelegt werden, wenn er die gleiche Farbe hat wie einer der beiden, die er jeweils halb verdeckt. Wenn es gelingt, die Pyramide bis zum obersten Stein zu bauen, gewinnt man gemeinsam, sonst verliert man. Hinweise dürfen dabei nicht gegeben werden.
Und? Macht das Spaß?
Zu Beginn fühlt sich alles etwas zufällig an. Wenn mein*e Partner*in einen Stein aufstellt, kippe ich ihn von mir weg, wenn ich meine Farbe für nützlich halte, und zu mir hin, wenn ich das nicht tue. Aber welche Steine stelle ich selbst auf? Die, die ich für wichtig halte (in der Hoffnung, dass mein*e Partner*in sie zu sich hinkippt)? Oder die, die ich nicht zu brauchen glaube, in der gegenteiligen Hoffnung? Meist spielt man dann etwas aneinander vorbei, und in den ersten Partien haben wir dann auch meistens verloren. Aber das hat uns angespornt, und mit der Zeit wurden wir erfolgreicher. Wenn zu Beginn alle Steine einer Farbe vor mir zu sehen sind, werde ich die erst mal nicht anfassen, sondern darauf hoffen, dass sie nach und nach von meinem Gegenüber aufgestellt werden, damit ich sie im richtigen Moment einbauen kann (da kann ich dann ja überschauen, dass keiner der Steine weggekippt wurde). Wenn ich keinen Stein einer Farbe sehe, weiß ich eben, dass mein*e Partner*in das ebenso versucht. Sieht niemand eine komplette Farbe, dann versuchen wir, den fehlenden Stein aufzudecken. Das ist alles noch keine Garantie für einen Sieg, aber mittlerweile schaffen wir es in knapp der Hälfte unserer Partien. Besonders befriedigend ist es, wenn der letzte Stein derjenige ist, der in beiden Ausrichtungen gepasst hätte – oft fühlen wir das schon vor dem Aufdecken.
Eine Partie Katteni Shiyagare dauert um die fünf Minuten (aber bei einer Partie bleibt es selten). Wer gerne über tiefgreifende Strategien nachgrübelt, ist hier nicht gut aufgehoben. Wer aber gern ein flottes kooperatives Zweierspiel spielen möchte, bei dem man lernen kann, sich in die Situation des Gegenübers einzudenken, wird das Spiel mögen.
Ein Alphaspieler*innenproblem gibt es auch nicht, weil man ja keine Hinweise geben darf und unterschiedliche Informationen hat. Nach ein paar Dutzend Partien mit meiner Tochter ist mir allerdings dann aufgefallen, dass es mit Neulingen, die das Spiel noch nicht so überblicken, auch wieder sehr schwierig wird. Aber das macht ja auch einen Reiz aus, es wiederum mit neuen Leuten zu schaffen.
Der Minimalismus ist für mich ein Plus, ich kann ja Tisch-Orgien nicht recht ausstehen. Auch die am Anfang vermutete Ähnlichkeit mit Hanabi fühlt sich weniger stark an als erwartet. Meine Tochter und ich holen das Spiel jedenfalls weiterhin sehr gern zwischendurch raus und zocken ein paar Partien. Und ich werde es auch weiterhin hier und da anderen Leuten zeigen, wenn sich wieder mehr Gelegenheit dazu bietet.
Mit der Veröffentlichung hat Saien übrigens noch eine Erweiterung herausgebracht, bei der eine sechste Farbe (und damit eine fünfte Pyramidenebene) eingeführt wird. Das würde ich liebend gern mal ausprobieren, aber ob ich da jemals drankomme? Da würde sonst nur ein Eigenbau helfen, aber ob das dann noch sexy ist…
Katteni Shiyagare (勝手にしやがれ, laut Google Translate heißt das „Egoist“)
für 2 Leute
von team SAIEN, 2015
Nach den Fotos zu urteilen, zeigen die Holzteile teils recht auffällige Maserungen.
Da steht zu befürchten, dass selbst Spieler, die viel lieber „korrekt“ spielen würden, mit der Zeit gar nicht anders können als zu wissen, was auf manchen Rückseiten ist.
Interessanter Einwand. Ist mir bisher nicht mal aufgefallen.
Na dann hoffe ich, dass ich dir damit nicht das Spiel verdorben habe…
Ach nein, ich glaube, da kann ich weiterhin drüber wegsehen.
Wir sind mittlerweile bei knapp 50 Partien angekommen, und ich kann immer noch keinen Stein an der Maserung erkennen. Ich glaube, da müsste ich mich wirklich drauf konzentrieren, um mir das Spiel zu verderben.
Das freut mich! 🙂
Ich bin bei diesem Thema sensibilisiert (traumatisiert?), seit ich vor Jahren mal einen Mitspieler hatte, der seine Sieg-Quote mit allen, also auch solchen Mitteln zu steigern versuchte.