Viele Spielefans sind schon ein bis mehrere Male auf der Spielemesse in Essen gewesen (bei mir sind es so ungefähr 20 Besuche gewesen). Einige von uns haben sogar die Anfänge in der Essener Volkshochschule in den Achtzigern noch miterlebt (da kann ich selbst nicht mithalten, mein erstes Mal war 1990, als ich vom Rollen- und Simulationsspielverein 252 e.V. dafür angeheuert wurde, zufällig vorbeigehenden Leuten zu erklären, was ein Rollenspiel ist. Lang, lang ist’s her). Die Spielemesse findet im Oktober statt und läutet sozusagen das Weihnachtsgeschäft ein – Spiele, die dort vorgestellt werden, nehmen am Kaufrausch noch teil. Essen ist ein sagenhaftes Ereignis: 150.000 Leute (über 4 Tage verteilt), gut 40.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, und viele Gelegenheiten zum Spielen, Ausprobieren, Schnäppchenjagen und Geheimtipps hinterherhecheln, die man sonst im Spieleladen nicht kaufen kann.
Sozusagen der Gegenpol zu Essen ist die Spielwarenmesse in Nürnberg, die jedes Jahr Ende Januar/Anfang Februar stattfindet. Wer Essen für ein Großereignis hält, muss jetzt mal kurz den Atem anhalten: Das Messegelände in Nürnberg umfasst etwa 160.000 Quadratmeter und ist bis zum Rand voll mit Neuheiten aus der Welt der Spielwaren. Allerdings sind da natürlich nicht nur Spiele, sondern auch Modelleisenbahnen, Karnevalskostüme, Teddybären, ferngesteuerte Hubschrauber, peinlicher Plastikmüll und was nicht alles vertreten. Auch Hersteller von Verpackungslösungen, Transportideen und sowas haben Stände, da findet man auch einiges Ungewöhnliche. Der „kleine“ Ausschnitt, der von den Spieleverlagen belegt wird, ist aber immer noch ziemlich imposant und mehrere Hallen groß. Anders als in Essen kann man die Spiele dort allerdings nicht kaufen und auch nur in geringem Umfang spielen. Auch die Menschenmassen fehlen (wenn man mal von dem Gedrängel in der U-Bahn nach Toresschluss absieht), denn die Spielwarenmesse ist nur für Fachpublikum geöffnet. Um eine Eintrittskarte zu bestellen, muss man also für die Presse, einen Verlag, einen Spielwarenladen oder irgendsowas arbeiten, oder sich von einem solchen einladen lassen. Ich selbst war als Mitglied der Spieleautorenzunft dort; freier Eintritt in Nürnberg ist einer der zahlreichen Vorzüge, die die Mitgliedschaft bietet. Trotz der leereren Gänge sind die Messehallen reichlich unübersichtlich, wie ich finde. Wer auf die Idee gekommen ist, ungleichmäßig sechseckige Messehallen zu bauen, bei denen man nie genau weiß, an welcher Wand man sich gerade entlangbewegt (die Standwände sind gern mal drei Meter hoch und man kann nicht darüber hinweggucken), schämt sich hoffentlich mittlerweile dafür.
Da ich nur anderthalb Tage Zeit hatte (Samstag ganztägig und Sonntag bis zum frühen Nachmittag), habe ich gar nicht erst den Versuch gemacht, mir alles anzusehen, sondern mich überwiegend auf die Hallen 10.1 und 10.2 beschränkt, die sich die Spieleverlage mit einigen anderen ausstellenden Firmen teilen. Wer wirklich alles sehen möchte, hat sogar die Gelegenheit, mit Shuttlebussen zum anderen Ende der Hallen zu fahren. Wirklich zeitsparend ist das meiner Erfahrung nach allerdings nicht, zumal ich in einem Jahr mal von betont desinteressierten Einweisern mit einem Haufen anderer Opfer zusammen nicht in den Bus geschickt wurde, der direkt zum Haupteingang fuhr, sondern in den, der den Schlenker über den völlig verstopften Parkplatz machte. Nach einer knappen Stunde oder so bin ich ausgestiegen und zu Fuß eine Viertelstunde lang zurückgelaufen, um aus dem Stau herauszukommen. Wer sich wie ich vor allem für die Spiele interessiert, kann direkt bei Halle 10 anfangen, das ist praktischerweise fast direkt am Haupteingang.
Wenn man sich nun die Verlagsstände anguckt, was kann man dann dort sehen? Große Verlage wie Ravensburger, Kosmos, Amigo und so weiter haben in ihren Ständen eine Art Parcours eingerichtet, auf dem man an allen Neuheiten vorbeigeschleust wird. An jedem Tisch steht dann jemand (oder läuft mit einer Gruppe mit) und erklärt kurz Wissenswertes zum Produkt. Die Spiele sind dabei oft noch gar nicht fertig produziert, sondern es gibt nur professionell gestaltete Prototypen zu sehen. Man bekommt dann eben eine Kurzerklärung, die Information, wann etwas auf den Markt kommen soll, zu welcher Serie es gehört, welche Zielgruppe und welche Altersstufen es ansprechen soll, ob Fernsehwerbung geplant ist und so weiter – lauter Dinge, die für mich selbst kaum relevant sind. Und während Spieleverlage in der Regel eher entspannt mit sowas umgehen, ist es zum Beispiel bei Lego strikt verboten, Fotos im Stand zu machen – dafür gibt es die Pressemappen. Zielgruppe der Messe sind eben nicht Spieler/innen (obwohl man auch also solcher spannende Gespräche anzetteln kann), sondern vor allem Händler/innen und die Presse, und diese Hintergrundinformationen gehören zum Nürnberg-Erlebnis einfach dazu. Bei kleineren Ständen, deren Belegschaft aus einer bis einer Handvoll Personen besteht, gibt es durchaus auch mal die Chance, ein kürzeres Spiel auszuprobieren oder ein längeres anzuspielen. Das ist aber nur bei einer Minderheit der Stände überhaupt möglich.
Was soll das Ganze dann? Warum sollte man nach Nürnberg fahren? Wer keine beruflichen Temrine dort hat, kann natürlich versuchen, einen Überblick über die anstehenden Neuerscheinungen zu bekommen, und außerdem eine Menge interessante Leute treffen. Entweder begibt man sich dazu an ihren jeweiligen Stand und spricht sie an, oder man verabredet sich im Vorfeld mit ihnen, oder man hängt gelegentlich im von der Spieleautorenzunft eingerichteten Spielecafé herum, einer Art Ruhe-Oase im Messetreiben. Für solche Gespräche ist Nürnberg besser geeignet als Essen, weil der Hintergrundlärm fehlt. Als Spieleautor hatte ich diesmal keine neuen Prototypen mitgebracht, sondern hatte nur einen Verlagstermin, bei dem es um eine anstehende Neuerscheinung ging – ich konnte mir Beispielarbeiten des Grafikers angucken, habe erfahren, dass das Spiel bis zur Essener Messe im Oktober fertig sein sollte und ein paar weitere Details besprochen. Klar, das hätte man auch per Mail machen können, aber der direkte Kontakt ist doch sehr wertvoll, und kaum jemand kann ja quer durch die Welt oder auch nur durch Deutschland reisen, um in den einzelnen Verlagen persönlich vorstellig zu werden. Nürnberg ist daher ein ideales Pflaster für solche Gespräche, weil fast alle Verlage für einige Tage unter einem Dach vertreten sind.
Übrigens lasse ich es mir dann doch nicht nehmen, jedes Mal zwei Stände aufzusuchen, die nichts mit Spielen zu tun haben, nämlich Lego und Playmobil. Das sind einfach Kindheitsnachwirkungen. Die Führung durch den Playmobilstand ist normalerweise sehr nett, allerdings hatte ich dieses Jahr etwas Pech, weil selbst beim dritten Anlauf alles belegt war und ich mich einer schon losgelaufenen Gruppe anschließen musste. Diese war aber schon so groß, dass ich kaum etwas von den Erklärungen hören konnte. Dafür konnte ich dann die Neuheiten (überwiegend in Vitrinen) bestaunen, mich an einigen technischen Innovationen erfreuen (Flammen mit Saugnäpfen, die man an verschiedene Modelle anpappen und dann mit dem Feuerwehrschlauch wieder runterspritzen kann! Cool!) und feststellen, dass Playmobil zwar technisch innovativ, aber ansonsten gemütlich altmodisch geblieben ist – es gibt so gut wie keine Lizenzprodukte von Filmen oder sowas, brav werden Jungen- und Mädchenserien voneinander getrennt und die Welt ist insgesamt noch in Ordnung. Ich freue mich auf das nächste Mal.
Lego hingegen hatte diesmal in meinen Augen kaum spektakuläre Neuheiten zu bieten. Soundsoviel neue Star-Wars-Fahrzeuge („auch für die Fans der klassischen Filme“, wurde da erklärt, während wir vor irgendsonem Ding aus Episode I-III standen), Superheldenlizenzen, eine neue Reihe mit Kämpfen von guten Rittern gegen böse Monster, nichts, was mich vom Hocker gerissen hätte. Dafür scheint sich Lego die in letzter Zeit ja zum Teil beißende Kritik an seiner Geschlechtereinteilung ein bisschen zu Herzen genommen zu haben – da findet sich doch tatsächlich ein Vater mit Baby im Kinderwagen (in der gleichen Packung wie der erste Rollstuhlfahrer im Firmenportfolio) oder eine mutige Prinzessin, die in irgendso einem Kampfvehikel den Kreaturen des Bösen entgegen tritt. Und die Lego Friends sind auch nicht mehr ausschließlich damit beschäftigt, Pferde zu dressieren und Muffins zu backen, sondern sind jetzt zum Beispiel auch astronomisch tätig. Bin durchaus gespannt, wie viel Erfolg diese zaghaften Versuche haben. Und die Führung war gegenüber dem vorletzten Jahr (2015 konnte ich leider nicht zur Messe) deutlich besser organisiert, man war durch Kopfhörer mit der Erklärerin verbunden und konnte auch mal einen Seitenblick wagen, ohne etwas zu verpassen. Das war früher doch ein ziemlicher Viehtrieb geworfen, das fühlte sich diesmal viel besser an.
Lego hat wahrscheinlich den größten Messestand überhaupt. Ich habe spaßeshalber mal nachgefragt: An den sechs Tagen der Messe waren insgesamt – festhalten – 520 Mitarbeiter/innen vor Ort (380 am Spitzentag). Die größten Stände in Essen bieten vielleicht gut ein Zehntel davon auf, was zeigt, wie klein Spieleverlage im Vergleich zu Spielzeugriesen immer noch sind.
Insgesamt ist die Messe in meinen Augen dann attraktiv, wenn man entweder Konkretes dort zu tun hat oder man ohnehin in der Nähe wohnt und keinen allzu großen Aufwand betreiben muss, um mal hinzufahren. Schön ist es zum Beispiel, eine überschaubare Anzahl von Terminen zu vereinbaren und viel Zeit dazwischen frei zu lassen, damit man Zeit hat, sich einfach irgendwo festzuquatschen oder mit irgendwas zu spielen – dann kann die Messe ein tolles Erlebnis sein.