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Wie mir eines Morgens zwei Spiele einfielen.

Ihr hattet ja in den letzten Wochen schon Gelegenheit, ein paar Andeutungen von mir zu genießen. Jetzt möchte ich doch mal etwas ausführlicher werden: Ein neues Spiel von mir ist im Anmarsch.

Mission Impractical

Sowas hat ja immer eine Vorgeschichte. In diesem Fall ist sie gut vier Jahre lang. Genauer gesagt beginnt sie am 7. Juni 2012 (einem Donnerstag). Da musste ich aus irgendeinem Grund erst mittags zur Arbeit und konnte also ausschlafen. Und während ich ohne Weckerunterstützung langsam wach wurde, hatte ich eine Spielidee im Kopf. Das Problem war nur, wie mir bald klar wurde, dass es ein solches Spiel schon gab. Aber als ich das merkte, kam mir plötzlich eine völlig andere Spielidee. Ein Spiel, in dem die Spieler/innen versuchen müssten, mit völlig nutzlosen Gegenständen verrückte Aufgaben zu erfüllen (in Form von erzählten Geschichten). Ich dachte dann ein bisschen weiter drüber nach, und weil ich freitags meist bei Reinhold Wittig in der Edition Perlhuhn bin, schrieb ich schnell ein paar Gegenstände und Aufträge auf (ich glaube, ich hatte so 15 Aufträge und 45 Dinge), druckte und schnitt sie aus – fertig war mein erster Prototyp. An Tag eins.

Tags darauf ging ich also zu Reinhold und sagte ihm, ich häte da was mitgebracht, wozu ich gern mal seine Meinung hätte. Zuerst saßen wir allerdings noch ein wenig herum und plauderten über dies und jenes. Ich erwartete gar nicht, den Prototypen ausprobieren zu können, weil es definitiv für drei oder mehr Leute gedacht war und in jener Zeit freitags oft nur Reinhold und ich anwesend waren. Aber plötzlich klingelte es und Reinhold Wittigs Freund D. stand vor der Tür – ein Mann von Ende Siebzig, freundlich, aber meist ziemlich ernst, nur mäßig an Spielen interessiert und meist mit der Zuschauerrolle zufrieden. Hm, dachte ich, das ist jetzt wahrscheinlich nicht der beste Tag, um Reinhold meine Spielidee zu zeigen. Ich war ein bisschen enttäuscht, aber das ganze Konzept war noch so roh und wenig durchdacht, dass ich dachte, ich könnte es ja eine Woche drauf noch mal versuchen, wenn ich mir ein bisschen klarer drüber wäre. Wir plauderten also weiter, und als es später wurde, erinnerte mich Reinhold daran, dass ich ihm doch noch was hatte zeigen wollen. Ich sagte sowas wie „nein, ich will mich nicht aufdrängen“, aber er bestand darauf. Ich erklärte also die Regeln (was nur zwei oder drei Minuten dauerte, das Konzept war wirklich einfach) und schlug vor, wir könnten es ja mal in der dienstäglichen Autorensitzung ausprobieren. Davon wollte er aber nichts hören, er wollte es spielen und überredete D. dazu, mitzumachen. Und dann passierte etwas Erstaunliches.

D. lachte.
Laut.
Mehr, als ich ihn jemals zuvor hatte lachen sehen.

Noch besser war, dass wir hinterher noch ein paar neue Aufgaben und Gegenstände sammelten und er eine Menge gute Vorschläge machte. Spätestens da wusste ich, dass ich an was Größerem dran war.

Ich ging beschwingt nach Hause – das war der beste erste Eindruck, den je ein Spiel von mir hinterlassen hatte. Am gleichen Abend schrieb ich an meinen Autorenfreund M. und erzählte ihm, dass ich ein Spiel gemacht hätte, bei dem man sinnlose Gegenstände nehmen müsste, um seltsame Aufgaben zu erfüllen und dass die anderen Spieler/innen raten müssten, was man tun wollte. Ich hängte einen ersten Regelentwurf an (eine Seite). Mein Überschwang kannte keine Grenzen… jedenfalls nicht für die nächsten elf Minuten. Dann kam seine Antwort: Klingt das nicht ein bisschen nach Cat & Chocolate?

Oh nein. Meine Idee gab es schon, und sie war leidlich erfolgreich gewesen… Meine Träume lagen in Trümmern. Aber wieder nicht allzu lange – ich las dann mal was über Cat & Chocolate und stellte erleichtert fest, dass die Sbeiden Konzepte gar nicht sooo viel gemeinsam hatten, trotz der ähnlichen Prämisse. Ein paar Monate später habe ich mir das Spiel auch mal zugelegt und ausprobiert, und ich wurde darin bestätigt, dass es ziemlich anders war als meins. Um ihm nicht zu nahe zu kommen, habe ich später auch jeden Vorschlag, ein Abstimmungssystem einzuführen, abgebügelt (obwohl das gelegentlich von Testspieler/innen vorgeschlagen wurde).

In den nächsten Wochen hatte ich zum Glück öfter Gelegenheit, meinen Prototypen auszuprobieren, mit verschiedener Anzahl an Spieler/innen und verschiedenen Zielgruppen. Die Reaktionen waren super, und die Liste der Aufgaben und Gegenstände wuchs immer weiter. Schon bei der fünften Partie fügte ich ein Risiko-Element hinzu (den Stop-Chip, mit dem man den/die Spieler/in unterbrechen kann, der/die sich gerade Gegenstände aussucht, wenn man meint, schon Bescheid zu wissen). Damit wollte ich alle während des Spiels beteiligt halten, um Leerlauf zu vermeiden. Das war dann auch schon die letzte größere Änderung, danach konzentrierte ich mich auf das Ausbalancieren der Gegenstände und Aufgaben. Ich hatte nämlich festgestellt, dass völlig unterschiedliche Dinge typischerweise auf ähnliche Weise eingesetzt wurden (alles, was lang und stock-artig war, wurde als langer Stock benutzt, egal, ob es ein Besen oder eine Angel war). Also wollte ich eine gute Auswahl an Aufgaben und Gegenständen erreichen, und das braucht natürlich eine Menge Tests. Viel Zeit hatte ich dafür gar nicht, denn Reinhold hatte schon einem Verlag von dem Spiel erzählt, und der wollte gern mal den Prototypen sehen. Ich also schnell einen losgeschickt, dann warten, Absage kriegen, nochmal woanders probieren, warten, etc. Da kamen durchaus sehr schöne Absagen von Verlagen, aber eben leider Absagen. Zwischendurch testeten wir natürlich weiter, es gab diverse Überlegungen, aber das Spiel änderte sich wenig. Ein Hauptthema war das Wertungssystem, da gab es gelegentlich den Wunsch, besonders gelungene Geschichten mit Extra-Punkten zu belohnen. Allerdings stellte sich letztlich heraus, dass die Leute, die das Spiel wegen der schönen Geschichten lieben, sich sowieso nicht so viel aus den Punkten machen, während die Punktefetischist/innen die Geschichten eher nebenbei mitnehmen. Beide können aber gut zusammen spielen, das schadet nicht. Also blieb ich beim ursprünglichen System und fügte nur eine Regelvariante hinzu.

Die Antwort des einen Verlages machte mir unterdessen Hoffnung und ich war damit sehr zufrieden, aber leider erfuhr ich dann (mittlerweile war die Messe 2014 in Nürnberg), dass es doch nicht klappen würde – der Verlag sah sich außerstande es 2014 oder 2015 hinzukriegen, und empfahl mir, es doch nochmal woanders zu probieren. Dabei sie gaben mir den Tipp, es doch mal bei diesem Franzosen am Stand gegenüber zu versuchen, das sei doch ganz sein Ding.

So traf ich auf F., den Besitzer eines kleinen französischen Verlages, der sich auf Spiele zum Sprechen und Lachen spezialisiert hatte. Er bat mich, etwas später nochmal zu kommen (er wartete gerade auf jemanden), und wir verabredeten eine Zeit. Jetzt musste ich noch jemanden finden, der mir helfen würde, das Spiel vorzustellen, denn die einfachste Art, das zu tun, ist es, einfach draufloszuspielen. Ich hatte schon jemanden im Kopf, aber dieser Jemand musste dann kurzfristig abreisen, und ein anderer Autor kam spontan mit. Darüber war ich so erleichtert und dankbar, dass ich vergaß, ihm mitzuteilen, dass das ein Vorstellungsgespräch und kein Spieltest sein würde. Wir fingen an zu spielen, und der andere Autor machte diverse Änderungsvorschläge, was nicht das war, was ich in dem Moment brauchen konnte… aber ich kriegte trotzdem eine ziemlich begeisterte Reaktion von F. Wir blieben nach der Mess ein Kontakt und ich versprach ihm schließlich die französischen Rechte. Den Kontakt mit F. genieße ich nach wie vor sehr, wir tauschen uns manchmal sehr ausgiebig auf Skype aus und einmal kam er sogar spontan in Göttingen vorbei. Aber es kamen auch immer wieder Änderungswünsche, denn er wollte im Wesentlichen ein Spiel haben, das man direkt aus der Schachtel heraus spielen könnte. Ich war ein bisschen skeptisch, ob das gehen könnte, aber er brachte immer interessante wieder Ideen ein, so dass sich das Spiel langsam veränderte.

Allerdings war F. nur an den französischen Rechten interessiert, und das war zwar schön für mich, aber für andere Sprachen wollte ich auch gern was in der Hand haben, insbesondere für Deutsch und Englisch. Beim Göttinger Spieleautorentreffen zeigte ich das Spiel dann noch einigen anderen Verlagen. Das waren recht interessante Gespräche, ich erinnere mich da an zwei Redakteure (vom gleichen Verlag), die sich an meinem Tisch zusagen über die richtige Art stritten, mit so einem Spiel umzugehen. Und dann gab es noch die Chance, es K. von Vennerød zu zeigen. Diesmal achtete ich darauf, dass die Person, die mich begleitete, gut eingeweiht war (und das Spiel auch kannte). Ich tat also das, was ich bei diesen Vorstellungsgesprächen immer gemacht hatte, ich erklärte die Idee und fing mit einer Beispielrunde an. Ich zog eine Aufgabe, wählte ein paar Gegenstände aus, dann machte mein Begleiter einen Rateversuch und erzählte eine schöne Geschichte dazu, und es war alles gut. Aber dann war K. an der Reihe. Er murmelte sowas wie „Ich glaube, Du willst das da machen.“ Keine Geschichte. Stille. Dann: „Tut mir leid, aber ich hasse solche Spiele.“

Hier kommt ein kurzer Überblick über die Gedanken, die mir in den nächsen anderthalb Sekunden durch den Kopf schwirrten: Oh, super. Das läuft ja mehr so mittel. Muss die erste wirklich negative Reaktion gerade jetzt kommen? Ist das Spiel vielleicht doch Mist, und die über 100 Tester/innen wollten nur höflich zu mir sein? Wie versinkt man nochmal am effektivsten im Boden?

Dann sagte er aber weiter: „Weißt Du, ich mag lieber heftige Strategiespiele, die drei oder vier Stunden dauern. Ich kann Partyspiele einfach nicht ab. Aber ich glaube, dein Spiel ist gut. Ich muss mich nur mal mit meinen Partnern besprechen, ich kann das nicht selbst entscheiden. Können wir uns in Essen nochmal treffen?“

Ich spul gleich mal vor bis nach Essen im Oktober 2014. Ich konnte nur kurz auf der Messe sein, aber immerhin mit meiner Göttergattin zusammen (eine seltene Gelegenheit). Wir trafen uns mit K. in einer Cafeteria, und er hatte ein paar andere Norweger mitgebracht. Also spielten wir ihm was vor, während er zuguckte. Es gab das übliche schallende Gelächter und die Spieler wollten gleich nochmal. Hinterher bedankte er sich und sagte, er würde noch eine Woche brauchen, um sich zu entscheiden. Das dauerte dann aber nur noch drei Tage, und ich hatte meine Zusage in der Tasche. Ich war natürlich begeistert.

Vom Jahr 2015 war ich weniger begeistert, ich war schwer krank, verbrachte diverse Monate im Krankenhaus und konnte nicht immer klar denken. Aber wir blieben in Kontakt, arbeiteten einen Vertrag aus und fingen an, uns über ein paar Details Gedanken zu machen. Ich verstand bald, dass es bis Essen 2015 nichts mehr werden würde, und im Nachhinein bin ich darüber gar nicht so unglücklich, denn für die Messe war ich noch nicht fit genug (obwohl es aufwärts ging). Andererseits trug die Aussicht, das veröffentlichte Spiel in den Händen halten zu können, durchaus zu meinem Überlebenswillen bei.

Was noch fehlte, war ein Name. Bis dahin hatte ich den Arbeitstitel „Unmöglich!?“ benutzt, aber der kam nicht so richtig an, also versuchten wir, etwas Besseres zu finden. Wir schickten diverse Ideen hin und her, fanden aber nichts, was wirklich zündete. Da musste ich an Kathleen denken, die mir in so einer Situation schonmal geholfen hatte. Kathleen ist Lehrerin in St. Louis und unterrichtet dort unter anderem Spielentwicklung. Sie zeigt gelegentlich die Entwürfe ihrer Schüler/innen bei boardgamegeek (zuletzt hier), das ist lohnende Lektüre. Ich habe sie nie getroffen, aber ich war immer sehr beeindruckt von ihrer Arbeit gewesen. Also schrieb ich sie einfach mal an und sie versprach mir, mal eine Brainstorming-Sitzung in ihren Kursen abzuhalten. Ein paar Tage später saß ich zu Hause am Rechner und guckte mir live an, wie sie die Ideen ihrer Schüler/innen in ein Dokument eintrug. Das ging ungefähr so schnell, wie ich lesen konnte, das waren buchstäblich Hunderte von Ideen, einige schräg, andere gut, einige unverständlich oder sprachlich zu spezifisch. Ich markierte gleichzeitig alles, was mir auf Anhieb gefiel und schrieb ein paar Kommentare als Rückmeldung dazu, während das Dokument immer länger wurde. Das war eine fantastische Erfahrung, so hatte ich das Internet vorher nie benutzt.

Aber als wir fertig waren, standen oben über der Liste noch ein Vorschlag von Kathleen selbst, nämlich „Mission Impractical“. Je länger ich das anstarrte, desto besser gefiel es mir, und am Ende einigten wir uns drauf. Danke, Kathleen!

Mission Impractical - Schachtelentwürfe

Dieses Jahr traf ich dann K. im Februar in Nürnberg wieder, und jetzt nahm das Projekt endlich Fahrt auf. K. zeigte mir einige Arbeiten von Gjermund Bohne, den er als Grafiker im Auge hatte. Sah gut aus, fand ich. Essen 2016 wurde als Veröffentlichungsdatum angepeilt und ich hatte wieder etwas, worauf ich mich freuen konnte. K. gab mir auch eine Hausaufgabe, ich sollte mir mal über ein Motiv für das Titelbild Gedanken machen. Das machte ich dann auch gleich und schickte ein paar Vorschläge hin. Bald danach bekam ich von Gjermund eine Auswahl von Entwürfen zugeschickt, zum Teil meine Motivvorschläge, zum Teil seine Ideen.

Nummer 4 sah super aus, aber 2 und 10 waren noch näher am Spiel dran. Keine leichte Entscheidung, aber am Ende entschieden wir uns für die 2, nicht zuletzt, weil K. eine Hochkantschachtel haben wollte. Wir besprachen dann noch ein paar Änderungen, und Gjermund machte wirklich was Tolles draus, finde ich. Was meint Ihr? Hab’s gleich mal selbst ausprobiert, aber ganz bis zum Mars bin ich nicht gekommen.

Dreirad und Schwimmflügel

Jetzt ging es noch um Details. Spielmaterial, Regel-Layout, kleine Änderungen hier und da, Klappentext für die Schachtel und so weiter. Ich war an allen wesentlichen Schritten beteiligt, was ich als sehr angenehm empfunden habe. Manche Autor/innen mögen finden, dass das die Sache des Verlages ist, aber ich war es gewohnt, meist eher übergangen zu werden und keine Ahnung zu haben, was gerade mit meinen Ideen passiert, also habe ich es genossen, mittendrin zu sein.

Jetzt ist das Spiel in Produktion und ich drücke alle Daumen, dass es bis zur Messe in Essen in einem Monat fertig ist. Wer schon mal schnuppern will, kann sich die Regeln hier durchlesen. Wie schnell es mit der französischen Ausgabe voran geht, weiß ich noch nicht, aber ich bin auch daruaf natürlich gespannt. Man braucht einfach Geduld – umso mehr kann man sich hinterher freuen, wenn es gut geworden ist.

Also, wer zwischen dem 13. und 16. Oktober in Essen auf der Messe ist, soll gern mal an Stand 3-L116 vorbeikommen (bevorzugt am Wochenende, da bin ich dann selber auch da).