Als ich mich vor zwei Jahren auf der Messe in Essen bei einem gut vernetzten Freund aus Singapur nach der Spieleszene in Indien erkundigte, bekam ich eine Anekdote über Varun Devanathan, einen indisch-singapurischen Spieleautor, zu hören. Dieser hatte versucht, auf den Comiccons in Delhi und Hyderabad sein Spiel Legend of Vyas zu verkaufen und als Gimmick coole T-Shirts und Taschen dazu drucken lassen. Am Ende hatte er dann alle seine T-Shirts und Taschen verkauft, aber kaum Spiele. Das war 2016. Doch mittlerweile hat sich einiges getan, darum möchte ich Euch hier einen der ersten modernen Spieleverlage in Indien vorstellen, nämlich DICE Toy Labs 1 aus dem südindischen Bangalore. Phalgun Polepalli, der den Verlag gemeinsam mit seiner Frau Shwetha Badarinath führt, hat kürzlich in einem sehr interessanten Podcast mit Boardgamedesignlab darüber berichtet, wie man in Indien (und vielleicht auch anderswo?) einen Verlag gründet. Ich habe ihm noch ein paar weitere Fragen geschickt, die er mir netterweise beantwortet hat. Trotzdem kann ich den Podcast sehr empfehlen, denn der Enthusiasmus, mit dem er da erzählt, lässt sich hier schlecht wiedergeben.

Wie also geht man vor, wenn man in einem Land mit mehr als einer Milliarde Menschen lebt und dort das Spielen populär machen möchte, das bislang nur als Kinderbeschäftigung verstanden wird? In dem Billigausgaben von klassischen Spielen wie Schach oder Pachisi für umgerechnet einen Euro erhältlich sind und man dann Menschen davon überzeugen möchte, dass es sich lohnen könnte, 15 Euro für ein neues Spiel auszugeben?
Polepalli erwähnt, dass junge Inder*innen durch zum Beispiel Netflix einer Menge Elemente westlicher Kultur ausgesetzt sind, zu der sie eigentlich gar keine Beziehung haben. Wenn sie in Fernsehserien immer wieder von Dungeons & Dragons hören, von den Siedlern von Catan oder Ähnlichem, dann werden sie irgendwann neugierig, was eigentlich dahinterstecken könnte.
Polepalli und Badarinath fingen dann tatsächlich ganz am Anfang an. Sie bauten eine Community in sozialen Medien auf, die bis heute auf rund 35,000 Leute angewachsen ist. Immer wieder versuchten sie dort zu ergründen, was die Leute reizen könnte und stellten fest, dass es wichtig sei, in Spielen einheimische Themen zu präsentieren (ähnlich, wie es etwa auch K.C. Ogbuagu in Nigeria macht), denn zu vielen der Themen, die in europäischen Spielen verarbeitet werden, haben die Menschen in Indien keinen Bezug. Der Erstling des Verlags (fast zwei Jahre nach dem Start der Community) wurde dann ein selbstentwickeltes Spiel namens Yudhbhoomi, bei dem man Armeen gegeneinander ins Feld führt. Es existiert in drei unterschiedlich komplexen Varianten. Nachdem Yudhbhoomi recht erfolgreich war, folgte Chariots of Chandragupta, ein Wagenrennen, das zur Zeit des legendären Maurya-Kaisers Chandragupta angesiedelt ist. Mit diesem Spiel hatten die beiden offenbar ein gutes Näschen bewiesen, denn die Rennstrecke lässt sich variabel zusammenpuzzeln – und wie Polepalli im Podcast erklärt, lieben die Menschen in Indien Puzzle. So bauten dann viele Leute erstmal eine extra-lange Strecke aus allen Streckensegmenten auf, was eigentlich gar nicht vorgesehen war. Aber das hat die Leute fasziniert.
In diesen Tagen erscheint das dritte Spiel bei DICE Toy Labs, nämlich Indus. Wie hierzulande vielleicht nicht alle Leute wissen, entstand im Industal (heute in Indien und Pakistan gelegen) eine der frühesten städtischen Kulturen der Menschheit, vielleicht die erste, in der so etwas wie Stadtplanung betrieben wurde. Das bietet sich natürlich als Thema für ein Spiel an. Indus ist nun auch das erste Spiel eines externen Autors. Amit Ghadge gehört zu den wenigen Inder*innen, die bereits in der Spieleszene Fuß gefasst hatten, nämlich als Illustrator. Sein Erstling als Autor ist ein Flip-and-Write-Spiel über den Aufbau einer Stadt. Die Spieler*innen ziehen dabei entweder Karten, mit denen sie Gebäude oder Gelände in bestimmten Formen auf ihren Plan einzeichnen können; oder Ressourcen, mit denen sie später ebenfalls bauen können. Eine Besonderheit ist, dass diese Karten beliebig unter den Spieler*innen gehandelt werden können, was ich in einem Spiel dieses Genres noch nicht kannte.
Angekündigt ist von Polepalli und Badarinath noch My Bot Bytes, ein Spiel über das Programmieren. Auch dafür ist Indien ja bekannt. Außerdem soll ein Kinderspiel namens Seas the Day erscheinen, von Franz Dias, also wiederum einem externen Autor. Weitere Spiele sind in Vorbereitung. Ein beachtliches Programm, wenn man bedenkt, wie jung der Verlag noch ist.
Apropos jung: Die Hauptzielgruppe für die Spiele sind die 18- bis 24-jährigen, was nicht nur eine Investition in die Zukunft, sondern in Indien auch ohnehin schon ein riesiger Markt ist. Wie Polepalli berichtet, ist für diesen Markt Geschlechtergleichheit wichtig, sodass die Charaktere in jedem Spiel zur Hälfte weiblich und zur Hälfte männlich sind. Dass Indien in dieser Frage einmal ein Vorbild für europäische Verlage sein würde, hätte ich mir nach den Erfahrungen auf meiner Indienreise 1994/1995 niemals träumen lassen. Toll!
DICE Toy Labs produziert komplett in Indien (auch zu diesem Punkt lohnt sich der Podcast), und der Verkauf findet vorrangig online statt, da es sowas wie spezielle Spieleläden in Indien noch kaum gibt (als eine der Online-Ausnahmen nannte mir Polepalli Boredgamecompany.com – unter diesem Link findet Ihr noch eine ganze Menge weitere indische Spiele). Ich schätze aber, dass es zumindest in den größeren Städten nur eine Frage der Zeit ist, bis auch echte Läden eröffnen, denn das Konzept, Spiele zu produzieren, die „cool und indisch“ sind, scheint aufzugehen.
Und Varun Devanathan? Hat er aufgegeben und ist T-Shirt-Verkäufer geworden? Nein, ganz im Gegenteil. Er betreibt mittlerweile ein erfolgreiches Spielecafé in Chennai und plant ein weiteres. Ende gut, alles gut!
1 Das ist eine Abkürzung für „Design Intelligent Complete and Engaging Toys and Games“
Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung durch Phalgun Polepalli.
P.S.: Dieser Tage ist mit Who are the Legends? von Rajkumar Nancharla auch ein indisches Kickstarter-Spiel am Start. Wer mal reingucken möchte, findet es hier. Es läuft zwar offiziell als US-Projekt, das hat aber vor allem organisatorische Gründe, entwickelt wurde es in Indien.
