Ich lerne seit ein paar Wochen mit einer App jeden Tag ein paar Minuten Japanisch. Das ist nur so zum Spaß eigentlich und ich bin noch nicht sehr weit gekommen, aber immerhin kam das Wort für „Vogel“ schon vor, es heißt „dori“. Und so kann ich tatsächlich schon den Namen eines Spiels übersetzen, das ich aus Essen mitgebracht habe, nämlich Samurai-Dori, also Samurai-Vogel. Und der Titel beschreibt dieses wunderbare Spiel genau.
Worum geht’s?
Offenbar gibt es eine jahrhundertealte japanische Tradition des Fächerwerfens (投扇興), bei der es darum geht, mit einem geworfenen Fächer kleine Ziele umzuwerfen, die auf einem Sockel stehen. Auf der japanischen Wikipedia habe ich folgende Public-Domain-Abbildung der einzelnen Wertungen gefunden – keine Ahnung wie standardisiert das ist, ich kann ja nicht wirklich Japanisch lesen. Jedenfalls werden für 54 Wurfergebnisse die Punktzahlen aufgeführt. Das Zählen allein ist offenbar schon eine hohe Kunst, vom Werfen mal ganz abgesehen.
Diese alte Tradition haben nun zwei Leute ein wenig modernisiert und das Ergebnis Samurai-Dori genannt. In Essen war es zu kriegen, und ich hatte es schon im Vorfeld als die spektakulärste Essen-Neuerscheinung bezeichnet. Das war allerdings, bevor ich es selbst gespielt hatte. Mittlerweile habe ich diverse Partien mit meiner Familie auf dem Buckel.
In der Schachtel befinden sich drei Fächer, drei große Pappwürfel und zwei Holzklötze, an denen Glocken befestigt sind (dazu gibt es noch die Regeln und eine Vorlage für einen Wertungszettel, den wir aber nie benutzt haben). Eine Partie geht über acht Runden. In jeder Runde stellt man die Würfel nach einer neuen Vorgabe auf und einen oder beide Klötze drauf. Dann setzt man sich in rund anderthalb Metern Entfernung hin, verbeugt sich und wirft die Fächer nacheinander auf die Klötzchen. Ziel ist es, die Klötzchen umzuwerfen, indem man sie mit dem Fächer trifft (und nicht, indem man die Würfel anstößt). Je nach Runde hat man zwischen einem und vier Würfen zur Verfügung. Schafft man die Runde, bekommt man einen Punkt. Wer nach allen acht Runden die meisten Punkte hat, gewinnt das Spiel. Bei Gleichstand wird die letzte Runde so oft wiederholt, bis ein/e Sieger/in feststeht. Der Fächer soll dabei so geworfen werden, dass der Holzrahmen sich im Flug nach vorn dreht und dann das Ziel trifft. Wer das nicht hinbekommt, kann theoretisch trotzdem punkten, aber fürchterlich elegant sieht es nicht aus und der Fächer gleitet auch einfach nicht so gut.
Wer sich das jetzt noch nicht bildlich vorstellen kann, kann sich ja mal dieses Video dazu angucken. Unter Umständen werdet Ihr denken, dass das irgendwie gefaket ist. Aber so spielt es sich wirklich. Zumindest wenn man ein paar Jahre übt…
Und? Macht das Spaß?
Wenn man ein neues Geschicklichkeitsspiel ausprobiert, kommt man sich ja zu Beginn ohnehin oft ziemlich unfähig vor. Bei Samurai-Dori kommt das Gefühl dazu, dass Europäer/innen das irgendwie sowieso nicht könnten. Das zeremonielle Verbeugen vor dem Werfen erscheint seltsam, und man muss es halt auf dem Fußboden spielen, das mögen vielleicht auch nicht alle. Aber wenn man sich ein bisschen darauf einlässt, lässt es einen nicht wieder los – besonders meine Tochter findet es klasse und fragt immer mal wieder danach. In meiner ersten Partie hatte ich ungefähr einen von acht möglichen Punkten, und sowas spornt mich ja enorm an. Mittlerweile habe ich das Gefühl, den Fächer ein wenig steuern zu können, obwohl mich die Formulierung der Tiebreaker-Regel, dass man Runde 8 solange wiederholt, bis jemand sie nicht schafft, doch etwas zum Schmunzeln bringt. Es kommt nach wie vor selten genug vor, dass das überhaupt jemand schafft (man hat dafür nämlich nur einen Wurf). Trotzdem ist es manchmal etwas frustrierend, wenn jemand mit ein paar Punkten Vorsprung führt, und man nicht das Gefühl hat, da jemals wieder drankommen zu können (obwohl Aufholjagden natürlich möglich sind – aber da man immer nur einen Punkt kriegt, egal wie viele Würfe man braucht, sind sie eher selten).
Muss ich noch dazusagen, dass das Spiel sagenhaft schön ist? Es ist schon eine reine Freude, das Material in die Hände zu nehmen es aufzubauen und damit zu spielen. Wahrscheinlich werden sich einige gar nicht trauen, die Fächer wirklich zu werfen, aus Angst, ihr wunderschönes Spiel zu beschädigen. Aber bei uns hält noch alles super, obwohl unsere Kinder manchmal ein wenig ungestüm geworfen haben. Das Design ist von einem der Autoren selbst entworfen worden und wirkt auf mich exotisch und stimmig, obwohl ich von japanischem Design natürlich keinen blassen Schimmer habe.
Zu Beginn dachten wir übrigens, dass wir das ja ideal im Flur spielen könnten, wo es Platz für eine längere Flugbahn gibt. Aber es zeigte sich dann schnell, dass ein offener Raum wesentlich besser geeignet ist, besonders am Anfang, wenn man noch ein bisschen ungenauer wirft. Ich sollte mir vielleicht bei Gelegenheit mal ein japanisches Gartenhaus bauen, um das Ganze im richtigen Ambiente spielen zu können. Bis dahin tut es auch das abgenutzte Laminat in meinem Wohnzimmer.
Gesamteindruck: 9/10
Samurai-Dori
für beliebig viele Leute
von kamado und nettaigyo
Illustriert von nettaigyo
Erschienen bei Kikacool, 2017