Versetzen wir uns doch mal einen Moment lang in das Jahr 1982. Die Auszeichnung „Spiel des Jahres“ ist noch jung und ihre heutige weltweite Bedeutung noch nicht annähernd abzusehen, es gibt kein Internet, in dem man sich mal eben schnell über Spiele-Neuerscheinungen informieren kann, (dafür muss man schon die Spielbox, die seit Oktober 1981 erscheint, oder die noch etwas ältere Pöppel-Revue abonnieren), die erste Spielemesse in der Volkshochschule Essen liegt noch ein Jahr in der Zukunft und Spiele seiner Lieblingsautorinnen und -Autoren kann man auch noch nicht recht suchen, denn Spieleautor/innen werden nur in seltenen Ausnahmefällen auf der Schachtel genannt.
In dieser heute fast unwirklich klingenden Zeit hatte Reinhold Wittig, der auch den Begriff „Spieleautor“ geprägt hatte, die Idee, damals aktive Spieleautor/innen zu einem Treffen einzuladen. Natürlich hatten sich auch vorher schon welche getroffen, aber eben eher in kleineren Runden. Nun sollte es in größerem Rahmen stattfinden, und zwar in Wittigs Heimatstadt Göttingen. Und so versammelte sich im Januar 1983 eine Schar von Autorinnen und Autoren im Künstlerhaus in Göttingen, um ihre neuen Ideen vorzustellen, miteinander zu fachsimpeln und überhaupt ihre Rolle ein wenig sichtbarer zu machen – das Göttinger Spieleautorentreffen war vermutlich das erste seiner Art auf der Welt, und es ist meines Wissens bis heute auch das weltweit größte. Dieses Jahr am 4. und 5. Juni findet es zum 35. Mal statt (zu Beginn gab es teilweise zwei in einem Jahr), und zwar schon längst nicht mehr im dafür viel zu kleinen Künstlerhaus, sondern in der Göttinger Stadthalle. Seit einigen Jahren bin ich als Mitveranstalter dabei.
Und was passiert heutzutage so auf dem Autorentreffen? Wer sich als Autor/in anmeldet, bekommt einen der rund 150 Tische und kann dort Prototypen präsentieren. Vertreter/innen nahezu aller größeren und vieler kleinerer deutscher (und mit steigender Tendenz auch internationaler) Verlage wandern von Tisch zu Tisch und suchen nach Spielen, die ins eigene Portfolio passen könnten. Es ist also sozusagen umgekehrt wie in Essen oder Nürnberg, wo Verlage ihre Stände haben und dort Termine mit Autor/innen machen. Noch ein Unterschied: Auf den großen Messen haben die großen Verlage oft die imposantesten Stände. In Göttingen haben alle Autor/innen einen gleich großen Tisch, egal ob sie ihre allerersten Stehversuche machen oder Spiel-des-Jahres-Preisträger/innen sind. Und da man nicht permanent im Verlagsgespräch ist, hat man zwischendurch Zeit, auch andere Autor/innen kennen zu lernen, gegenseitig Ideen zu begutachten und neue Impulse zu kriegen.
Auf dem Treffen werden auch mehrere Preise verliehen. Einmal der sogenannte Inno-Spatz der Stadt Göttingen, mit dem besondere Innovationen oder Verdienste für das Spielen belohnt werden. Auch die Preisträger des traditionsreichen Hippodice-Autorenwettbewerbs werden hier ausgezeichnet. Und schließlich vergibt die Jury Spiel des Jahres einen Förderpreis für unveröffentlichte Spieleautor/innen in Form eines Stipendiums für vier Praktika in der Spieleszene.
Am Sonntag ist das Treffen für die interessierte Öffentlichkeit von 10 bis 14 Uhr geöffnet. Zwar können nicht alle Autor/innen beide Tage anwesend sein, aber es sind immer noch viele Leute da, und man kann sich mal ansehen, wie ein Spiel im Rohstadium aussieht, und es natürlich auch mal anspielen. Wer sich darauf einlässt, kann auch an einer Spieleverlosung teilnehmen, die dieses Jahr von Amigo gesponsert wird. Und wer weiß, vielleicht seid Ihr auf diesem Wege unter den ersten, die eine neue Spieleperle kennen lernen, die im nächsten Jahr oder so ganz groß rauskommt? Niemand weiß, wie viele Spiele in Göttingen schon den Weg in einen Verlag gefunden haben, aber es sind viele Hundert. Vor einigen Jahren gab es mal eine Umfrage unter den in jenem Jahr angemeldeten Leuten, und dabei kam eine ganz imposante Liste heraus. Ich selbst hatte auch das Glück, mich da eintragen zu können, und wenn alles gut geht, kann ich demnächst ein zweites Spiel hinzufügen. 😉
Wer also am 5. Juni noch nichts vorhat und in nicht allzu großer Entfernung von Göttingen wohnt, sollte sich ruhig mal auf den Weg machen. Der Eintritt in die Stadthalle ist kostenlos.
35. Spieleautorentreffen in Göttingen
Für angemeldete Gäste (mit Eintritt) am 4. Juni von 9 bis 19 Uhr
für alle am 5. Juni von 10 bis 14 Uhr – Eintritt frei