Für die Party der Spieleautorenzunft in Nürnberg hatte Arve D. Fühler ein kleines Spielchen ausgeheckt. Man bekam eine Kette aus acht bunten Büroklammern und eine Regelkarte. Dann konnte man andere Leute mit einer Büroklammerkette zum Schnick-Schnack-Schnuck herausfordern und im Erfolgsfall die eigene Regelkarte einsetzen, um ihnen eine bis mehrere Klammern abzunehmen. Danach musste man die Karten tauschen, sodass sich die Regeln ständig änderten. Irgendwann wurden dann die Leute mit den längsten Ketten nach vorne gerufen und durften sich einen Spielepreis aussuchen. Es gab sehr schöne Sachen, aber mit meinem sechsten Platz hatte ich mir keine großen Hoffnungen gemacht. Und dann stand da tatsächlich noch die neue deutsche Ausgabe von Mein Traumhaus, die auf der Messe von Pegasus präsentiert wurde. Das hatte ich schon eine Weile auf dem Schirm gehabt, und so griff ich beherzt zu.
Zu Hause angekommen, musste ich es eigentlich nur irgendwo hinlegen, da war die Neugier meiner Kinder (7 und 10) schon geweckt, und so kam es auch bald zum Einsatz.
Jede/r Spieler/in hat vor sich ein Haustableau mit 12 freien Flächen für die einzelnen Zimmer. Im Laufe des Spiels erhält man 12 Zimmerkarten und versucht sie so in das Haus einzubauen, dass es am Ende möglichst viele Punkte dafür gibt. Dabei gibt es eigentlich fast nur eine Bauregel zu beachten: In obere Stockwerke darf man nur ein Zimmer legen, wenn direkt darunter auch schon ein Zimmer liegt.
In der Mitte des Tisches liegt eine Spieltafel, auf die in jeder Runde Karten gelegt werden, jeweils zwei zusammen. Wer dran ist, nimmt sich eins der Paare, die immer aus einer Zimmerkarte und einer Sonderkarte bestehen. Das Zimmer legt man ins Haus – sollte das mal nicht möglich sein, muss man die Karte verdeckt anlegen und damit sozusagen einen Bauplatz blockieren. Spezialkarten sind entweder besondere Gegenstände wie ein Whirlpool, ein Kellerregal oder ein Vogelhäuschen (dafür gibt es am Ende Sonderpunkte, sofern man sie überhaupt in ein passendes Zimmer legen konnte), Hilfskarten mit Sonderfunktionen (mit denen man zum Beispiel Karten austauschen kann oder die Spielreihenfolge manipulieren) oder Dachkarten, von denen man am Ende vier Stück braucht, am allerbesten in einer Farbe (was nicht ganz leicht ist).
Vorne auf der Spieltafel liegt ein Zimmer mit der Startkarte zusammen. Wenn man sich dieses Pärchen nimmt, darf man in der nächsten Runde beginnen, was ein nicht zu unterschätzender Vorteil ist.
Wenn alle Karten verbraucht sind, sind auch alle Häuser mit Räumen gefüllt, und dann geht es an die Wertung. Größere Zimmer bringen besonders viele Punkte (ein Wohnzimmer aus drei Karten ist zum Beispiel satte neun Punkte wert, besteht es nur aus zwei Karten, gibt es nur vier), andere Karten sollten in einer bestimmten Position sein, und schließlich gibt es noch Bonuspunkte, wenn in beiden Obergeschossen Badezimmer sind und das Haus zumindest ein Bad, eine Küche und ein Schlafzimmer enhält.
Und? Macht das Spaß?
Eigentlich passt das Spiel gar nicht recht in mein Beuteschema. Es dürfte jetzt problemlos in Deutschland zu bekommen sein, ist in seiner englischen Version schon recht bekannt geworden, hat eine für meinen Haushalt viel zu große Schachtel, enthält Karten mit Text drauf und man muss am Ende Siegpunkte zählen. Dass es mich dennoch gereizt hatte, lag wohl so ziemlich ausschließlich am Thema des Ganzen. Ein Haus einrichten? Das ist allemal kein ausgelutschtes Motiv. Also musste es eine Chance bekommen.
Wenn man, so wie wir, ohne große Voranalysen in das Spiel einsteigt und drauf los baut, will man natürlich alle diese schönen und viele Punkte einbringenden großen Zimmer in seinem Haus unterbringen. Irgendwann im Spielverlauf stellt man dann fest, dass der Platz doch irgendwie begrenzt ist und man nicht alles bauen kann, was man gerne bauen würde. Dazu kommt natürlich, dass die anderen sowieso immer das nehmen, was man selbst gerade braucht, und so gibt es den üblichen Spagat zwischen den verschiedenen Prioritäten. Die Bestimmung des Startspielers oder der Startspielerin ist gut gelöst, denn wer sich das entsprechende Pärchen nimmt, bekommt zwar eine potentiell Punkte einbringende Karte weniger, kann dafür aber in der folgenden Runde auf eine attraktive Auswahl hoffen. Im Spiel zu zweit oder dritt, wo es potentiell auch für die hinten Sitzenden noch einiges zur Auswahl gibt, gilt die clevere Regel, dass der oder die Startspieler/in zusätzlich zur eigenen Auswahl ein Pärchen abwerfen kann. Damit wird der Druck auf die anderen erhöht, sich selbst in die Pole Position zu bringen. Dieser Mechanismus zum Ausbalancieren gefällt mir prima, obwohl wir ihn im Spiel mit Kindern jeweils weggelassen haben – zusätzlichen Frust zu schaffen, ist da ja nicht nötig.
Überhaupt finde ich die Regeln gut ausgewogen. Viele Sachen erklären sich entweder von selbst (man kann nur dann ein Zimmer bauen, wenn im Stockwerk darunter schon Wände stehen) oder sind so eingängig, dass man sie sich schon beim ersten Spielen problemlos merken kann. Einzig die Regel, dass man Räume mit Bonusplättchen nicht erweitern kann, fühlt sich für mich nicht intuitiv an; es scheint, als wäre das nur eingefügt, um eine Kartenfähigkeit (die genau das erlaubt) einzufügen. Und warum man sich die eingesammelten Dächer während des Spiels nicht mehr ansehen kann, verstehe ich auch nicht recht. Aber das lässt sich verschmerzen. Immerhin braucht man sich die Sonderkarten nicht alle einzuprägen, es reicht, wenn man sie sich durchliest, sobald sie aufgedeckt werden.
Also ein recht interaktives, aber nicht aggressives Spiel mit leicht zu lernenden Regeln und ausreichend Spielspaß… sowas kann man schon mal spielen, auch wenn die Spielmechanik jetzt nicht über-innovativ ist. Entscheidend für den Erfolg dieses Spiels dürfte aber etwas ganz anderes sein, und zwar die Grafik. Während die leeren Häusertableaus noch unspektakulär wirken, füllen sie sich zunehmend mit Leben. Die Zimmerkarten sind nämlich die Wucht in Tüten. Während ich als Erwachsener mich schon an einzelnen Details freuen kann, entbrannte bei den Kindern geradezu Streit darüber, welches Kinderzimmer oder welche Küche nun am schönsten sei, es gab andauernd Tauschangebote (was im Spiel nicht vorgesehen ist, aber es ging auch immer nur um zum Beispiel Wohnzimmerkarte gegen Wohnzimmerkarte, die sich nun mal nur durch die Grafik unterscheiden), und wenn sich jemand anders das allerschönste Zimmer griff, saß der Schock manchmal tief. Wahrscheinlich könnte man ein Erweiterungsset für dieses Spiel herausbringen, das lediglich aus weiteren Karten mit den absolut gleichen Funktionen wie bisher, aber mit neuen Bildern besteht. Das könnte man dann als Quengelware an der Supermarktkasse hinstellen – Eltern hätten keine Chance gegen die großen Kinderaugen, die einen Kauf verlangen würden. Wer meint, dass ich jetzt übertreibe, soll das Spiel bitte mal mit Kindern in dem Alter von meinen ausprobieren. Denen dabei zuzugucken, wie sie im Spiel förmlich versinken, macht fast ebenso viel Spaß wie das Spielen selbst.
Als wir die erste Partie beendet hatten, wurde es dann ernsthaft dramatisch – beide Kinder wollten unbedingt mal von Regeln ungestört ihr persönliches Traumhaus bauen. Genügend gleichwertige Karten hätte es dafür problemlos gegeben, aber es ging nur noch um die Bilder. Am Ende mussten wir die beiden Streithähne trennen, das Spiel einpacken und ihnen dann später separat die Gelegenheit geben, sich da auszutoben. So eine Wirkung haben bisher wenige Spiele bei uns ausgelöst. Nach einigen weiteren Partien hat die Zivilisation wieder Einzug gehalten, aber noch immer sieht man, wie sehr die Bilder die Fantasie der Kinder beflügeln. Dass am Ende gar in den Regeln steht, man solle sich doch die Zeit nehmen, auch die Häuser der anderen zu bewundern, ist kein leeres Blabla, sondern trägt tatsächlich zum Spielspaß bei.
Ich bin also beeindruckt von Klemens Kalickis Erstlingswerk, muss aber einen mindestens ebenso großen Anteil am Spielreiz Illustrator Bartłomiej Kordowski zuschreiben. In dieser Ausgabe ist es ein wunderbares Familienspiel und ich kann sogar über die einzelnen Sonderkarten hinwegsehen, die für meinen Geschmack ein wenig unübersichtlich sind. Jedenfalls würde ich mich geradezu wundern, wenn Mein Traumhaus von der Jury Spiel des Jahres nicht mindestens mit einer Empfehlung bedacht würde (nicht, dass meine Trefferquote bei derlei Prognosen sonderlich hoch wäre).
Gesamteindruck: 8/10
Mein Traumhaus
von Klemens Kalicki
für 2 bis 4 Häuslebauer/innen
Illustrationen von Bartłomiej Kordowski
Pegasus-Spiele, 2017 (zuerst erschienen als Domek bei REBEL.pl, 2016)