Globale Politik und lokale Bilder

Während einer Überlandtour von Indien nach Deutschland habe ich Anfang 1995 auch den Iran durchquert. Von den vielen Ländern, die ich bereist habe, gehörte der Iran dabei sicher zu denjenigen, die mich am meisten überrascht haben. Überrascht nicht nur, weil er sich so enorm von dem Bild unterschied, das man zu dieser Zeit gemeinhin in Deutschland hatte (und vielleicht heute noch hat), sondern auch von dem Iran, das in unserem damals knapp zwei Jahre alten Reiseführer beschrieben war. Vor allem aber, weil ich beim Übergang aus Pakistan nach Iran so ein ganz klein wenig das Gefühl hatte, von Asien nach Europa zu kommen (sicher mehr als später irgendwo in Istanbul).
Im Iran fiel es uns damals im Großen und Ganzen leicht, mit fremden Leuten in Kontakt zu kommen (auch deshalb, weil recht viele Leute gut Deutsch konnten). Aber es waren natürlich Zufallsbegegnungen. Wie gern hätte ich damals schon die Gelegenheit gehabt, einfach in ein Spielecafé zu gehen und mit den Einheimischen zu spielen! Im unwahrscheinlichen Fall, dass ich in meinem Leben noch einmal in den Iran reisen kann, werde ich das aber ganz sicher nachholen wollen, denn mittlerweile sind solche Cafés offenbar einigermaßen verbreitet.

Wie ich darauf komme? Das liegt an Bruno Faidutti und Alireza Lolagar. Bruno Faidutti dürfte hier den meisten ein Begriff sein, eventuell wegen seines Blogs, zumindest aber für seine Spiele, und davon sicherlich zuallererst für Ohne Furcht und Adel (international als Citadels bekannt). Vor einigen Wochen hatte Faidutti angekündigt, dass dieses legendäre Spiel nun im Iran mit neuer Grafik aufgelegt würde.

Neue Grafik? Was war denn das Problem mit der alten? Nun, die Rechte an den bekannten Grafiken liegen in den USA, und durch die Wirtschaftssanktionen gegen den Iran sind sie für eine iranische Ausgabe nicht zugänglich. Also hat der iranische Verlag, Hoopa Games, aus der Not eine Tugend gemacht und eine neue Grafik für den persischen Markt in Auftrag gegeben (der Illustrator heißt Hassan Nozadian). Und wie man aus den Reaktionen im Netz so ablesen kann, gibt es eine Reihe von Leuten, die diese viel schöner finden als das Original und nun scharf auf diese Ausgabe sind, darunter auch Leute in den USA, aber… siehe oben. Schon seltsam, wie sich die große Politik auf die Spieleszene auswirken kann. In Deutschland (und darüber hinaus) kann man das Spiel über Nicegameshop bestellen, man braucht dann nur (wenn man des Persischen nicht mächtig ist) eine Übersetzung der paar Kartentexte. Ich denke aber, dass die meisten Fans, die sich so eine Ausgabe besorgen, das Spiel ohnehin sehr gut kennen dürften.

Auf der Messe in Essen hatte ich die Gelegenheit, Alireza Lolagar, den iranischen Verleger von „Dej“ (so heißt die Ausgabe) kennenzulernen; und er hatte mir vorher auch netterweise schon ein paar Fragen per Mail beantwortet. Und da kam schon ein bisschen Wehmut darüber auf, dass meine Iran-Reise schon fast 24 Jahre her ist.

Sein Verlag Hoopa Games (der auch Houpaa Games geschrieben wird) besteht seit 2011 und hat seitdem rund 15 Spiele auf den Markt gebracht. Damit ist er eigenen Angaben zufolge der führende iranische Spieleverlag. Auch wenn solche Zahlen natürlich im Vergleich mit deutschen Verlagen nicht besonders beeindruckend aussehen, habe ich schon gestaunt, als ich hörte, dass Dej eine Startauflage von 8000 Stück hat. Das ist ja schon mal ne Hausnummer. Der Plan, auch in die arabische Welt zu expandieren, klingt da nicht unrealistisch, zumal ich von dort bislang auch nur von wenigen Verlagen gehört habe.

Im Iran gibt es offenbar die interessante Situation, dass die Leute sich in der Öffentlichkeit treffen, um Importspiele zu spielen, die für die meisten Leute angesichts der schwachen iranischen Währung arg teuer sind. Die einheimischen Spiele dagegen kommen auch zu Hause mehr zum Einsatz. Wie Lolagar weiter schrieb, gibt es mittlerweile immerhin rund 10 Neuerscheinungen im Jahr, außerdem sind inzwischen mehr als 200 Importtitel erhältlich. Die einheimischen Titel sind oft eng an erfolgreiche ausländische Titel angelehnt (womit sie sogar werben – wie weit sie sich wirklich von den Originalen unterscheiden, kann ich nicht beurteilen). Dej nimmt hier als eine wirklich lokalisierte Lizenzversion vielleicht eine Vorreiterrolle ein, und natürlich bleibt zu hoffen, dass in naher Zukunft auch wirklich eigenständige iranische Spiele von sich reden machen. Lolagar hofft eigener Aussage nach darauf, im nächsten Jahr mit einem ganzen Stand nach Essen zurückzukommen. Ich bin gespannt.

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