Ein Spiel über das Leben

Als Kind war ich mal mit meiner Kleinfamilie in Schweden. Wir hatten ein Häuschen im Wald gemietet, und ich erinnere mich noch dran, dass es drei Kilometer von der nächsten Behausung entfernt war. Das war für mich als Stadtkind eine unheimlich beeindruckende Sache. Gibt es solche Orte in Deutschland überhaupt?
Rund 40 Jahre später sitze ich fast sprachlos vor meinem Computer und schaue mir ein Satellitenbild des Ortes Ivujivik an. Da gibt es zwar diverse Häuser an einem Fleck (2011 wohnten dort 370 Menschen), aber jenseits davon kommt erstmal lange Zeit gar nichts. Der nächste Ort ist Luftlinie mehr als 100 Kilometer entfernt (und auch nicht viel größer), und Luftlinie ist wörtlich zu nehmen, denn zu keinem der Orte führt eine Straße.

Bild mit freundlicher Genehmigung von Thomassie Mangiok

Einer dieser 370 Menschen aus Ivujivik ist Thomassie Mangiok, der gerade eine bisher noch nicht genug beachtete Kickstarter-Kampagne für sein Spiel Nunami am Laufen hat. Eigenen Angaben zufolge handelt es sich dabei um das erste moderne Spiel der Inuit überhaupt. Mangiok war so nett, mir ein paar Fragen zu beantworten. Ich zitiere mal:

Star Trek is a TV show that I watched while growing up, different species work together towards a common goal and it resonated with my perspective. Inuit believed that we could turn into animals and animals into humans, we were basically the same. Living with others in respect has always been important to be, games that require me to take over everything are against my values. But I have to admit that Lifestyle has very quickly evolved here; our spiritual beliefs, diet, language, culture, houses, practices and so on needed to adapt to what our country expected of us.

(…)

Nunami is my first boardgame design, I have made mobile applications but nothing as complicated as Nunami. I had the general gameplay in my head for a while but it was around mid 2017 that I decided to make the time to finish the pieces. I made a few things for the game in 2016 but it was more of a hobby than a clear mission to be done asap, then I was able to play the game in early 2018 with my family and friends. I have been wanting a game that reflects my values, I pieced them together one at a time to form a game.

(„Eine Fernsehserie, die ich in meiner Jugend gesehen habe, ist Star Trek. Verschiedene Spezies arbeiten für ein gemeinsames Ziel zusammen, und das war im Einklang mit meiner Perspektive. Inuit glaubten, dass wir uns in Tiere verwandeln konnten und Tiere sich in Menschen, wir waren im Prinzip dasselbe. Mit anderen respektvoll zusammenzuleben war mir immer wichtig; Spiele, die von mir verlangen, alles an mich zu reißen, verstoßen gegen meine Werte. Aber ich muss zugeben, dass der Lebensstil sich hier sehr schnell entwickelt hat, unsere spirituellen Vorstellungen, Ernährung, Sprache, Kultur, Häuser, Bräuche und so weiter mussten sich an das anpassen, was unser Land von uns erwartete.
(…)
Nunami ist das erste Brettspiel, das ich entwickelt habe. Ich habe Apps gemacht, aber nichts, was so kompliziert ist wie Nunami. Ich hatte den allgemeinen Spielablauf schon seit einer Weile im Kopf, aber erst ungefähr Mitte 2017 habe ich beschlossen, mir die Zeit zu nehmen, das Spielmaterial fertigzustellen. Ich hatte 2016 ein paar Sachen für das Spiel gemacht, aber es war mehr ein Hobby als eine klare Mission, die ich schnellstmöglich fertigstellen wollte. Anfang 2018 konnte ich dann das Spiel mit meiner Familie und Freunden spielen. Ich wollte ein Spiel, das meine Werte widerspiegelt. Ich habe sie nach und nach zusammengefügt, um ein Spiel daraus zu machen.“)1

Was ist dabei jetzt für ein Spiel herausgekommen?

Nunami ist ein Geländemanagement-Spiel, in dem die Spieler*innen entweder die Rolle der Menschen oder der Natur übernehmen. Es besteht aus sechs großen Hexfeldern, die wiederum in je sechs Dreiecke unterteilt sind. In diese spielt man dreieckige Karten hinein und versucht, Mehrheiten in der eigenen Farbe zu erreichen, dabei aber die Balance zwischen den beiden Farben aufrechtzuerhalten. Auf den Karten sind nämlich positive oder negative Zahlen drauf, und wenn die Summe über 7 oder unter -7 liegt, wird ein Teil der Karten abgeräumt. Beide Spieler*innen spielen dabei vom gleichen Deck, legen also durchaus auch mal Karten aus, die der anderen Seite Vorteile verschaffen. Wer dann zuerst eine bestimmte Zahl von Punkten erreicht hat, gewinnt das Spiel.

Die schwarzen und weißen Hexfelder repräsentieren den Lebensraum der Inuit. Sie können zur Spielvorbereitung beliebig ausgelegt werden. Da das Ausspielen einer Karte auch Auswirkungen auf die benachbarten Kärtchen auf anderen Hexfeldern hat, verläuft jedes Spiel entsprechend unterschiedlich.

Mein erster Eindruck von den Bildern war der einer gewissen Fummeligkeit wegen der unhandlichen Dreieckskarten. Aber dann habe ich mir die Videos zur Kampagne angesehen und mir wurde erst klar, wie riesig die Teile sind. Da Nunami auch noch wetterfest sein soll, kann man es damit problemlos auch draußen spielen. Ob Deutsche mit dicken Handschuhen an das im Schnee so elegant hinkriegen, wie die beiden Inuit im Video, darf ich vorsichtig anzweifeln, aber für das, was wir hier Winter nennen, bleibt dann ja immer noch der Wohnzimmertisch.

Ich habe Nunami nicht selbst gespielt, aber wer mein Blog kennt, weiß, dass mein Herz immer aufgeht, wenn ich neue Ansätze bei Spielen sehe – neue Mechanismen, neue Verlagskonzepte, neue kulturelle Einflüsse und wer weiß, was noch alles kommt. Die Welt der Spiele ist unheimlich vielfältig, aber meist sehen wir nur einen sehr kleinen Ausschnitt davon. Wer über diesen Tellerrand hinausblicken möchte, darf sich die Kampagne gern mal genauer anschauen. Danke schön!

Link zur Kampagne

P.S.: Im Kickstarter-Video stand am Ende der Name des Autors auf Inuktitut. Das ist die Sprache der Inuit, für die es eine eigene Silbenschrift gibt. Da mich verschiedene Schriftsysteme schon seit Langem faszinieren, habe ich sie mir bei Wikipedia mal ein bisschen genauer angesehen. Nunami schreibt man so:
NunamiWer genau hinsieht, findet das im Logo des Spiels wieder (siehe Foto oben).

 

 

1 Übersetzung von mir.

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