Was für ein Anblick!

Neulich hatte ich ja mal erwähnt, mich in Nürnberg mit ein paar argentinischen Autor/innen treffen zu wollen. Das haben wir dann auch gemacht, und es war ein sehr schönes Treffen. Wir haben ein paar Spiele ausgetauscht, und so kam La Macarena zu mir, ein Spiel, das zur Zeit im Wettbewerb um den Premio Alfonso X steht. Ich hatte wegen der tollen Grafik schon ein Auge drauf gehabt, mir aber unter dem Spielablauf noch nichts vorstellen können. Wir hatten es in Nürnberg dann auch schon angespielt, und ich hätte durchaus gern noch weitergemacht, wenn die Zeit nicht zu knapp gewesen wäre.

La Macarena

Zu Hause wollte ich eigentlich auf die Gelegenheit warten, es mit mehr Leuten spielen zu können, aber dann brauchte ich zwischendurch mal ein Zweierspiel, und meine Frau und ich setzten uns einfach zu zweit dran. Nachdem wir die Regeln vollständig durchstiegen hatten (ich kann ja nicht so perfekt Spanisch lesen), kam es öfter mal auf den Tisch, und wir genießen es bei jeder Partie mehr.

Worum geht’s?
Die Spieler/innen versuchen, Gehilf/innen der Hexe Macarena zu werden. Dazu brauchen sie allerdings erstmal ein Amulett (bei zwei oder drei Spielenden sogar derer zwei). Um ein solches zu erlangen, sammeln sie Elemente-Chips, die sie während des Spiels ergattern oder notfalls kaufen können, wenn sie denn über Münzen verfügen.

Das Spiel wird mit zwei traditionellen 56er-Blättern gespielt, nur dass es Erde/Wind/Wasser/Feuer statt Kreuz/Pik/Herz/Karo gibt. In der Tischmitte liegen sieben Karten aus. Wer an der Reihe ist, zieht eine Karte und kann dann entweder passen oder eine oder mehrere Karten an eine der sieben Karten anlegen. Dabei gilt: entweder der gleiche Kartenwert, oder die gleiche Farbe mit einem um einen abweichenden Wert. Kettenreaktionen sind erlaubt und sinnvoll: An eine Wind 4 kann ich zum Beispiel eine Reihe von Wasser 4 – Wasser 5 – Wasser 6 – Wind 6 – Erde 6 – Erde 7 – Erde 7 anlegen. Außer der zuletzt gelegten Karte sammele ich alle gelegten ein, sie bilden meine Sammlung, mit der ich am Ende einer Runde zu punkten hoffe. Wenn ich also nur eine einzelne Karte spiele, bekomme ich dafür nichts (es ist aber erlaubt und oft nötig, wie wir gleich sehen werden). Die letzte Karte bildet die neue Anlegekarte.

Wenn ich eine Karte auf eine genau gleiche Karte spiele (wie etwa die zweite Erde 7 im Beispiel oben), darf ich einen Blockadechip an die entsprechende Kartenreihe legen. Andere Spieler/innen dürfen dann dort nicht mehr anlegen. Anschließend muss ich eine weiteren Zug ausführen, also ziehen und ablegen. Bei diesem zweiten Zug darf ich auch an von anderen blockierte Karten anlegen, und diese sogar selbst blockieren (dann lege ich meinen eigenen Blockademarker einfach dazu und der entsprechende Platz ist dann eben für zwei Leute reserviert).
Wenn ich nicht anlegen kann oder möchte, kann ich einfach passen. Dann werden allerdings alle meine aktuellen Blockadechips wieder abgeräumt. Das ist einer der Gründe, warum man manchmal einzelne Karten spielt, obwohl es dafür keine Punkte gibt.

Eine Runde endet, wenn entweder der Nachziehstapel leer ist oder jemand es schafft, alle Karten aus der Hand abzuspielen. Dann gibt es eine Wertung:
– Hat jemand alle Karten abgespielt, bekommt er/sie eine Münze.
– Für jeden Blockademarker, den man auf dem Tisch liegen hat, bekommt man eine Münze.
– Wer die meisten Karten gesammelt hat, bekommt eine Münze.
– Wer die meisten Handkarten übrig hat, verliert einen Elemente-Chip.
– Schließlich werden die Sammlungen verglichen, und wer am meisten Karten von einer Farbe gesammelt hat, sackt den entsprechenden Elemente-Chip ein.
Für je vier Münzen kann man sich einen Elemente-Chip kaufen, für vier verschiedene Elemente-Chips das begehrte Amulett.

Und? Sieht das gut aus?
Boah. Vom chilenischen Illustrator Alberto Montt hatte ich nie gehört, aber sein (spanischer) Webcomic hat auf Facebook mal eben über 400.000 Likes. Der Verlag hat sich da wohl einen Superstar geangelt. Ich kann gar nicht sagen, wie toll ich die Illustrationen finde, sie werten das Spiel unheimlich auf. Mit den Karten würde ich sofort auch sämtliche traditionellen Kartenspiele spielen, die ich so kenne. Einfach ein Traum, nicht nur insgesamt, sondern auch in vielen charmanten Details. Die Schachtelgrafik und der Kleinkram sind ebenfalls großartig – einzig die Blockadechips sind schlichte Farbchips. Aber was soll’s – ich habe in meinem Leben sicher über 1500 verschiedene Spiele gespielt, und das hier gehört leicht und locker zu den allerschönsten. Nach dem, was ich so mitgekriegt habe, ist anspruchsvolle Grafik ein Markenzeichen des Maldón-Verlags.

La Macarena
Man beachte, dass die Karten nicht völlig spiegelgleich sind.

Leider ist die Materialqualität nicht die, die wir aus Europa gewöhnt sind. Die Schachtel ist aus dünnem Karton und ich behandle sie besser vorsichtig. Die Karten sind in Ordnung, die Pappteile leider ebenfalls etwas wackelig und schlecht gestanzt. Wie ich hörte, ist das in Argentinien derzeit nicht besser zu kriegen, und das Wichtigste sind für mich natürlich ohnehin die Karten, der Rest nutzt sich ja nicht so schnell ab. Aber natürlich wäre es toll, das Spiel nochmal in einer stabileren Ausgabe zu sehen.

Und? Macht das Spaß?
Wenn ich bedenke, dass ich früher, wie viele andere Leute auch, stundenlang traditionelle Spiele wie Doppelkopf oder, im weiteren Sinne traditionell, Tichu gespielt habe (und letzteres noch spiele), ohne, dass es mir jemals langweilig geworden wäre, frage ich mich doch mal, warum ich das eigentlich heute nur noch so selten tue. Natürlich gibt es jede Menge frische, interessante Spiele, die auf den Markt drängen, und auch wenn ich niemals alles ausprobieren kann, was toll aussieht, zieht es mich doch immer wieder zu neuen Dingen. Da fallen dann lieb gewonnene alte Spiele unter den Tisch. Klar, manche von ihnen finde ich aus heutiger Sicht auch nicht mehr so dolle, aber andere würden mir heute noch Spaß machen, wenn sie denn mal gespielt würden. Vielleicht befriedigt Tichu aber auch einfach dieses Bedürfnis.

Irgendwo an dieser Stelle setzt La Macarena ein. Im Herzen ist es ein sehr traditionelles Kartenspiel, mit Karten von 2 bis As und recht eingängigen Ablegeregeln. Aber es ist eben trotzdem behutsam modernisiert, und diese Symbiose finde ich sehr gelungen. Wichtig ist für mich, dass es Raum für verschiedene Strategien gibt. Man kann versuchen, viele Karten auf der Hand zu sammeln, um dann mit langen Ablageketten viel einzusammeln. Oder man versucht, die Runde früh zu beenden, indem man auch weniger optimierte Kartenkombinationen ablegt. Durch das Blockieren einiger Ablagemöglichkeiten kann man die anderen unter Druck setzen, aber man muss natürlich auch in der Lage sein, das dann durchzuhalten und nicht schnell wieder passen zu müssen. Das geht oft auf Kosten vieler Punkte, weil ich unter Umständen lange Ketten aufteile, um einzelne Karten davon spielen zu können. Den richtigen Zeitpunkt für den Angriff zu finden, ist hierbei das Wichtigste. Und das will natürlich erstmal gelernt sein. Ab der zweiten Runde ändert sich die Vorgehensweise außerdem deshalb, weil man bestimmte Elemente-Chips schon hat und sich auf die anderen zu konzentrieren versucht. Gleichzeitig wird es wichtiger, auf die Zahl der Handkarten zu achten, damit man keine Chips wieder verliert. Oder man versucht, kurz vor dem Ende mit einer Serie von Blockaden möglichst viele Blockadechips auf den Tisch zu bekommen, um sich fehlende Chips mit Münzen erkaufen zu können. Auf alle Fälle steckt in diesem Spiel sehr viel drin, das erkundet werden muss. Ich habe jedenfalls noch lange nicht genug davon.

La Macarena

Also ein Spiel mit vielen Möglichkeiten bei gleichzeitig einfachen und eingängigen Regeln in spektakulärem Gewand. Ich bin begeistert. Leider, leider gibt es aber am Anfang doch eine gewisse Hürde zu überwinden, denn das Spiel dauert für meine Verhältnisse sehr lange (wenngleich es mit steigender Erfahrung natürlich auch kürzer wird). Eine einzelne Runde kann locker 20 bis 30 Minuten dauern, und man braucht halt diverse Runden, bis jemand am Ziel ist. Vielleicht liegt es auch ein bisschen an mir, dass ich oft nicht so viel Zeit auf einmal habe, da mögen andere anders drauf sein. Aber seltsamerweise hat es uns gar nicht so sehr gestört, dass wir keine der ersten vier Partien zu Ende spielen konnten (bei der fünften haben wir uns fast ein bisschen gewundert, als ich plötzlich gewonnen hatte). Der Weg war also ganz klar das Ziel. Wir haben uns dann einfach drauf geeinigt, am Anfang doppelt so viele Karten zu verteilen wie eigentlich vorgesehen, um die Startphase, in der man eh überwiegend Karten zieht, ein bisschen abzukürzen (hängt aber auch von der Zahl der Spielenden ab – ich werde es wahrscheinlich weiterhin öfter zu zweit und zu dritt spielen, denn zu viert haben wir ja auch Tichu). Auch haben wir am Anfang schon mal einen Elemente-Chip pro Person ausgeteilt, damit die erste Runde schon mal die taktische Tiefe der zweiten hat und es flotter vorangeht. Normalerweise würde ich wahrscheinlich einfach vorschlagen, die Zahl der Karten insgesamt ein bisschen zu verringern, wenn man das Spiel ein bisschen zugänglicher machen wollte. Aber es ist nun mal ein traditioneller Kartensatz, und es wäre ein Sakrileg, einige dieser Kunstwerke zu entfernen. La Macarena ist so, wie es ist, und das ist gut, auch wenn die lange Spieldauer eventuell interessierte europäische Verlage abschrecken könnte. Da ich inzwischen weiß, was ich an diesem Spiel habe, führt die hohe Spieldauer (die wir ja ohnehin ein bisschen verkürzt haben) nicht mehr zur Abwertung. Ein wunderbares Spiel.

Gesamteindruck: 9/10

La Macarena
für 2 bis 5 Leute
vom Autor/innenkollektiv Maldón.
Wunderbar illustriert von Alberto Montt
Erschienen bei Maldón, 2016

La Macarena
Ich steh ja auf schöne Details – es sind ein paar Ersatzkarten dabei. Das sind nicht etwa Blanko-Karten, sondern man kann einfach den entsprechenden Kartenwert und die Farbe einkreisen. Sowas habe ich auch noch nicht gesehen.

2 Gedanken zu „Was für ein Anblick!

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