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Wahlen? Hab ich gerade keine Zeit für…

Erinnert Ihr Euch an Junta? Dieses fiese Spiel aus den Achtzigern, wo der Präsident die Entwicklungshilfegelder einzieht, dann einen Staatshaushalt bekanntgibt („du kriegst drei Millionen, du kriegst zwei Millionen, der Rest kriegt nix. Sind alle einverstanden?“), man dann darüber abstimmt und anschließend putscht? Das findet in Form eines Würfelgemetzels statt, man zieht kleine Pappcounter über einen Stadtplan besetzt den Radiosender und den Präsidentenpalast, erschießt den Präsidenten und eine neue Runde beginnt.

Das waren noch Zeiten! Von den Leuten, die das Spiel haben und verehren, spielen es wahrscheinlich nur noch wenige. Man hat drei Jobs und sieben Kinder und dann die ganzen Verpflichtungen im Kaninchenzüchterverein… ach, wenn Junta doch nicht viele Stunden dauern würde!

Vor einigen Jahren gab es Junta: Viva el Presidente (das war aber am Ende auch nur eine Würfelorgie) und jetzt gibt es auch noch Junta: Las Cartas, ein textbasiertes Kartenspiel, das gute Bewertungen bekommen hat, aber Kartentexte sind ja nicht so mein Ding.

Fast durch Zufall wurde ich auf Tiefe Taschen von Fabian Zimmermann aufmerksam, einem Neuling in der Autor/innenszene, der das Spiel im Eigenverlag fobs herausgebracht hat. Es ergab sich dann ein Tausch unter Autoren, und mittlerweile habe ich es öfter spielen können und bin sehr begeistert. Es bietet das, was ich an Junta so liebe und reduziert es auf das Wesentliche (na ja, die lustigste Ereigniskarte der Brettspielgeschichte fehlt): Das Aufteilen der Beute und das Abstimmen darüber.

Tiefe Taschen

Jede/r Spieler/in hat zu Beginn ein bisschen Geld und einen Satz von fünf Aktionskarten, dazu zwei Bestechungsscheiben und eine Ermittlerfigur. Eine/r ist am Anfang Präsident/in und deckt so viele Scheine vom Stapel auf, wie Leute mitspielen (es gibt Werte von einer bis fünf Millionen). Dann teilt er/sie dieses Geld beliebig unter den Spieiler/innen auf (gern unter großzügiger Bevorzugung der eigenen Person).

Anschließend spielen alle verdeckt eine ihrer Aktionskarten aus. Außerdem können sie ihren Ermittler zu irgendjemandem stellen und gegebenenfalls Bestechungsgelder anbieten. Die Aktionskarten sind im Einzelnen:

– Zustimmung
– Ablehnung
– Griff in die Staatskasse (man nimmt den obersten Schein vom Stapel – das kann aber nur einer/einem pro Runde gelingen)
– Erpressung (man zieht einen Schein aus der Hand der Person, bei der der eigene Ermittler steht)
– Erpressungsabwehr (wenn jemand einen Erpressungsversuch gegen einen gestartet hat, kann man stattdessen bei ihm oder ihr einen Schein ziehen)

Tiefe Taschen

Schließlich werden die Karten der Reihe nach aufgedeckt und die Aktionen abgehandelt. Wenn es anschließend nicht mehr Ablehnung als Zustimmung gab, stecken alle ihr Geld ein. Bei Ablehnung ist der/die Präsidentin abgesetzt und das Geld wird (mit einer/einem neuen Präsident/in) unter den verbleibenden Leuten erneut aufgeteilt. Das kann sich mehrfach wiederholen, bis schließlich eine Zustimmung erfolgt ist. Dann beginnt eine neue Runde.

Ein besonderer Clou sind die Bestechungsscheiben. Diese kann man zusammen mit einem Geldschein jemandem anbieten, damit diese/r entweder zustimmt, ablehnt, nicht zustimmt oder nicht ablehnt. Wenn am Ende die aufgedeckte Karte mit der Bestechungsbedingung übereinstimmt, steckt der oder die Bestochene den Schein ein.

Tiefe Taschen

So bereichert man sich weiter, bis die Karte „Staatsbankrott“ im Stapel auftaucht (die auf originelle Weise in den Stapel eingesteckt wird). Dann wird abgerechnet – wer das meiste Geld hat, gewinnt.

Und? Macht das Spaß?

Aber hallo. Tiefe Taschen ist dreckig, fies und gemein – Interaktion pur. In jeder Runde geht es direkt zur Sache – niemand ist außen vor. Das gefällt mir richtig gut. Wer es erstmals spielt, ist meist noch eher vorsichtig, dann kann es passieren, dass ein/e Präsident/in richtig lange im Amt bleibt. Das allein sichert diesem oder dieser noch nicht den Sieg, zumindest solange das Geld einigermaßen gleichmäßig verteilt wird und durch Erpressungen Geld über den Tisch wandert. Irgendwann kommt man als Präsident/in aber auch mal auf den Gedanken, den gesamten Staatshaushalt für sich zu beanspruchen. Erstaunlicherweise kommt man auch damit manchmal durch, denn bei den Abstimmungen heißt ein Unentschieden, dass der Vorschlag durchkommt. Nun ist aber eine Gegenstimme eine Aktion, bei der nicht unmittelbar Geld herumkommt, und oft sucht man sich eher andere Einnahmequellen. Mit anderen Worten: Ständig sind Wahlen, und kaum jemand geht hin (weil alle mit für sie wichtigeren Dingen beschäftigt sind, nämlich sich die Taschen vollzustopfen). Das ähnelt der realen Politik auf erschreckende Weise.

Die Bestechungen effektiv einzusetzen ist gar nicht so einfach und kommt zu Beginn auch eher selten vor. Bald erkennt man allerdings, dass ihr Sinn oft gar nicht unbedingt sein muss, jemanden auf die eigene Seite zu ziehen, sondern Unsicherheit bei den anderen Spieler/innen zu verbreiten. Lohnt sich eine Gegenstimme, wenn die ultrareiche Präsidentin schon jemanden für eine Ja-Stimme bezahlt? Auch wenn derjenige beteuert, sich davon nicht beeinflussen lassen zu wollen? Oder ist das doch der richtige Moment, alle Politik fahren zu lassen und herzhaft in die Staatskasse zu greifen? Ähnliches gilt für den Einsatz der Ermittlerfiguren, die oft mehr als Drohung als zum wirklichen Erpressen gedacht sind.

Heraus kommt dabei ein sehr involvierendes Spiel, bei dem man allem und jeder misstraut und sich mit den anderen lauernd umkreist. Das ist manchmal geradezu anstrengend, macht aber großen Spaß. Es bringt halt die Stärken des Junta-Konzepts zurück und das in einer halben bis ganzen Stunde. Klasse.

Auch die Materialqualität ist sehr gelungen, was bei einem Kleinverlag ja nicht automatisch passiert. Holzsteine, stabile Karten und ein passender Karton. Die Illustrationen kann ich ebenfalls loben, denn sie sind auch in größeren Runden gut zu erkennen, selbst wenn man wie ich nicht die schärfsten Augen hat.

Tiefe Taschen
Was soll schon schiefgehen, wenn man es mit der International Bank of Trustworthy People zu tun hat?

Am Ende werden sich an Tiefe Taschen die Geister scheiden. Für manche mag es zu konfrontativ sein – wer leicht eingeschnappt ist, wenn ihm oder ihr das Geld aus der Tasche gezogen wird, ist hier fehl am Platze. Andere mögen sich am durchaus reellen Glücksfaktor stören – ob ich jemandem eine oder fünf Millionen aus der Tasche ziehe, macht einen ziemlich großen Unterschied aus. Für mich ist es aber eins der Highlights der Essen-Saison.

Gesamteindruck: 9/10

Tiefe Taschen
für 4 bis 8 Fieslinge
von Fabian Zimmermann
Illustrationen von Christian Opperer
Fobs Games, 2016