Manchmal beeindrucken mich Spieleautor*innen durch spektakuläre, ungewöhnliche Einfälle. In anderen Fällen aber auch mal dadurch, dass sie Altbekanntes miteinander kombinieren oder mit kleinen Variationen bekannte Ideen weiter ausreizen, als das bisher der Fall war. Auch das ist ein tolles Talent. Ein solches Spiel, das Bekanntes neu kombiniert und das Ergebnis mit einer schönen Neuerung variiert, ist KUAN, das ich in diesem Jahr für Japon Brand ins Deutsche übersetzt habe. Viel Arbeit war das nicht, denn die Regeln sind geradezu spektakulär kurz.
Worum geht’s?
KUAN ist ein abstraktes Spiel für zwei Personen, das auf einem 5 x 5 Felder großen Spielfeld gespielt wird. Zu Beginn hat man je 5 blaue und 5 rote Steine. Man gewinnt entweder, indem im eigenen Zug eine Reihe von 5 gleichfarbigen Steinen entsteht, oder dadurch, dass das Gegenüber keinen Stein mehr hat, um einen Zug zu machen. Kombiniert wird der alte „X in einer Reihe“-Mechanismus mit einem Reversi-Konzept. Wenn man einen Stein legt und dieser Stein gemeinsam mit einem gleichfarbigen Stein Steine der anderen Farbe einschließt, nimmt man sich die eingeschlossenen Steine heraus und das Gegenüber muss die entstandenen Lücke in der einschließenden Farbe auffüllen. Kann er oder sie das nicht, hat man ebenfalls gewonnen.
Mehr Regeln gibt es nicht – der Rest des kurzen Regelblattes zeigt Beispielbilder und ein paar Klarstellungen.
Und? Macht das Spaß?
Für Leute, die kurze abstrakte Zweierspiele mögen, ist KUAN ein ziemlicher Kracher. Mit den sehr simplen Regeln und dem kleinen Spielfeld geht der Einstieg unheimlich schnell. Da beide mit den gleichen Farben spielen (was die für mich ungewöhnliche Neuerung ist), kann man sich nicht von Anfang an eine gute Stellung aufbauen oder sowas – die könnte das Gegenüber ja ebenfalls nutzen. Das Einschließen findet erstaunlich selten statt, das Spiel lebt eher von der Drohung, dass es stattfinden könnte und dem Wunsch, dies zu vermeiden. Zu Beginn spielen die Farben noch eine recht geringe Rolle. Aber im weiteren Spielverlauf versucht man oft, das Gegenüber zu zwingen, eine bestimmte Farbe blank zu spielen. Wenn einem das gelingt, ist der Sieg nicht mehr weit.
Ich würde KUAN als Überlebensspiel bezeichnen. Es geht im Spiel stark darum, Fehler zu vermeiden und sich nicht in aussichtslose Situationen zu manövrieren. Und wenn es doch passiert, dann vielleicht noch den Kopf aus der Schlinge zu ziehen und die einem gestellte Falle selbst auszunutzen.
Eine Partie KUAN ist in vielleicht zehn Minuten gespielt, und meist bleibt es nicht bei einer. Neulich zeigte ich es mal zu Beginn einer Gartenparty (als noch nicht viel los war), einem der ersten Gäste. Später sah ich immer mal wieder neue Konstellationen von Leuten dran sitzen und sich daran versuchen. Dadurch, dass die Einstiegshürde unheimlich gering ist und dass KUAN auch überhaupt nicht kompliziert aussieht, hat das Spiel einen hohen Aufforderungscharakter, dem sich nur wenige entziehen können. Von den sieben Japon-Brand-Spielen, die ich in diesem Jahr ausprobieren konnte, ist KUAN der eindeutige Höhepunkt.
KUAN
für zwei Spieler*innen
von Hajime Watanabe (渡辺 創)
Gestaltung: Kotaro Kawa (川孝太郎)
KUA, 2017 (im Programm von Japon Brand auf der Essener Spielemesse 2018)
Nach ein paar Versuchspartien scheint mir, dass bei beiderseits defensivem Spiel (prioritäre Vermeidung von Vorlagen für Zangen) es durchaus passieren kann, dass eine Partie erst nach Platzierung des letzten Steins entschieden wird, und zwar zuungunsten des Startspielers, der ja nun nichts mehr zum Setzen hat.
Bedeutet das nicht einen deutlichen Startspielernachteil, und wäre es deshalb nicht fairer, einen solchen Spielausgang als Remis zu werten?
Vielleicht wäre es das. Allerdings ist das bei Partien, in denen ich mitgespielt habe, nie vorgekommen, daher fällt es mir schwer, das abzuschätzen. Das kommt doch wahrscheinlich vor allem dann vor, wenn alle roten an einer und alle blauen Steine an der anderen Seite massiert werden und eine Mittelbahn frei bleibt? Dann hätte der*die Startspieler*in ein Interesse daran, es nicht dazu kommen zu lassen. Oder übersehe ich was?
Genau – der Startspieler muss sich irgendwann im Verlauf der Partie „etwas einfallen lassen“, während der Nachziehende auch einfach nur dumpf destruktiv agieren kann (was natürlich viel einfacher ist). Eine solche Asymmetrie erscheint mir a priori unerwünscht…
Noch eine Frage zu diesem Spiel: Nach der deutschen Regel tritt der „Zangenfall“ nur ein, wenn man einen der in die Zange nehmenden Steine gespielt hat.
In der englischen (Original-?)Regel ist das aber ganz anders formuliert. Hier ist vom Herbeiführen einer Spielsituation mit einem oder mehreren in die Zange genommenen Steinen die Rede („If a play results in that one or more tiles are „pinced“ in between two tiles of the other colour …..“). Man kann also auch den in die Zange geratenen Stein (oder einen davon) selbst gespielt haben; das Wichtige ist die Situation, nicht wie sie entstand.
Frage: Bist du sicher, dass die Interpretation in der deutschen Regel korrekt ist? Hast du das mit dem Verlag geklärt?
Ich denke, dass keine der beiden Spielweisen unmittelbar unsinnig ist, würde aber doch gern wissen, wie es vom Autor gemeint war, bevor ich mich noch mal näher mit „Kuan“ beschäftige (wozu ich durchaus Lust habe).
Ja, das hatte ich abgeklärt. Die Regeln, aus denen ich übersetze, erfordern öfter mal Nachfragen. Gerade wegen dieser Frage gingen diverse Mails hin und her.
Großartig, vielen Dank!
Ist ja auch intuitiver so. „Kuan“ wird ab sofort wieder gespielt, jetzt wo ich endlich weiß wie es genau funktioniert… 😉