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In Würde gealtert

Eigentlich soll das hier ja ein Blog für etwas exotischere Spiele sein, die nicht in jedem Laden herumstehen. Dass ich eine Rezension für Santiago, ein durchaus recht erfolgreiches Spiel von 2003 schreiben würde, hatte ich nicht eingeplant. Aber manchmal kommt es doch anders, als man denkt. Als ich das Spiel neulich nach einer vielleicht zehnjährigen Pause endlich mal wieder aus dem Regal holte und buchstäblich vor dem Öffnen abstauben musste, da machte das Spielen so viel Spaß, dass ich doch mal was dazu sagen möchte. Außerdem ist eine Neuauflage angekündigt, so dass es vielleicht doch einigermaßen aktuell ist.

Santiago
Amigo-Ausgabe

Santiago spielt auf der gleichnamigen Hauptinsel der Kapverden. Die Spieler/innen legen möglichst große Plantagen mit möglichst vielen Arbeitern darauf an. Aber die schönsten Plantagen nützen gar nichts, wenn es nicht gelingt, sie zu bewässern. Das ist der eigentliche Schwerpunkt des Spiels: Von einer Quelle aus müssen die Felder bewässert werden. Gelingt das nicht, trocknen sie aus und sind am Ende nichts mehr wert.

In jeder Runde werden so viele Plantagenplättchen aufgedeckt, wie es Spieler/innen gibt. Sie zeigen die fünf Produkte, die man hier anbauen kann. Reihum wird gepasst oder geboten. Dabei muss man nicht überbieten, aber es darf kein Gebot mehrfach abgegeben werden (nur passen dürfen beliebig viele Leute). Wer das höchte Gebot abgegeben hat, sucht sich ein Plättchen aus, legt es an beliebiger Stelle auf das Spielfeld und setzt so viele Arbeiterklötzchen drauf, wie auf dem Plättchen angegeben. Dann der oder die zweithöchste mit einem der verbleibenden Plättchen, und so weiter. Wer gepasst hat, darf zwar ebenfalls ein Plättchen platzieren, aber mit einem Arbeiter weniger als normal (in den meisten Fällen heißt das ganz ohne, wenn nicht auch das letzte Plättchen auf dem Tisch zwei Arbeiter erfordert – man kann aber trotzdem mit dem Plättchen eine Fläche vergrößern. Das erkläre ich gleich bei der Wertung, warum das sinnvoll sein kann).
Wer das niedrigste Gebot abgegeben hat, bekommt die Kanalaufseher-Figur. Alle anderen unterbreiten diesem nun Vorschläge für den Bau eines Kanals, der an die Quelle oder an einen Kanal aus einer früheren Runde anschließen muss. Ein Kanal ist zwei Plättchenkanten lang und kann bis zu vier Plättchen bewässern (zwei auf jeder Seite) – natürlich wird man versuchen, einen Bau vorzuschlagen, der bisher unbewässerte eigene Felder an das Bewässerungssystem anschließt. Um dem eigenen Vorschlag Nachdruck zu verleihen, bietet man dem Kanalaufseher dazu ein Bestechungsgeld an. Die anderen können eigene Vorschläge machen oder einen schon vorhandenen Vorschlag unterstützen, indem sie ebenfalls Geld zuschießen. Der Kanalaufseher kann aber frei entscheiden, welchen Vorschlag er annimmt (oder sogar ganz was Eigenes bauen, aber das ist meist so teuer, dass man normalerweise lieber die Bestechungsgelder annimmt).
Schließlich hat jede/r Spieler/in noch einen zusätzlichen Kanal, der irgendwann einmal während des Spiels gebaut werden kann – aber Achtung, pro Runde kann nur ein zusätzlicher Kanal zum Einsatz kommen (Sitzreihenfolge entscheidet). Danach verliert jedes Feld, das nicht ans Bewässerungsnetz angeschlossen ist, einen Arbeiter. Ist keiner mehr drauf, vertrocknet das Feld und scheidet sozusagen aus dem Spiel aus.
Nach einer festen Zahl von Runden endet das Spiel. Dann wird gewertet: Alle Arbeiterklötzchen, die ich auf einer Plantage liegen habe (eine Plantage ist eine Fläche von zusammenhängenden Feldern mit der gleichen Feldfrucht), werden mit der Größe der Plantage multipliziert. Deshalb ist manchmal auch ein Feld ohne Arbeiter zu verschmerzen, weil man den Multiplikator für seine anderen Arbeiter damit erhöhen kann. Hier kommt ein bisschen Rechnerei ins Spiel, da muss man gut abwägen, was ein Feld wirklich wert ist oder werden kann. Manchmal ist ein Plättchen auch gerade ohne Arbeiter wertvoll, wenn man es etwa absichtlich vertrocknen lässt, um eine größere Plantage in kleinere Einheiten zu zerteilen.
Zu fünft spielt sich Santiago am besten, allerdings sollte man auch 90 Minuten einplanen, gerade wenn es noch nicht alle gut kennen.

Santiago-Plantagen
Das rote Feld unten rechts hat weder Arbeiter noch Anschluss an das Bewässerungssystem, wird also voraussichtlich diese Runde zu Wüste (wie das Feld unten links). Damit lässt sich die rote Plantage nicht mehr nach rechts erweitern und Weiß fällt zurück.

Ja und nun? Macht das Spaß?

Ich habe früher regelmäßig solche sogenannten Eurogames gespielt, aber seit ich Kinder habe, bin ich dazu nur noch selten gekommen. Sie dauerten oft länger, als ich ohne Unterbrechung zur Verfügung hatte, und ich habe meine Zuneigung zu kurzen, knackigen Spielen zum Lachen stärker entdeckt. Und so sind einige Spiele, die ich eigentlich sehr gut finde, buchstäblich eingestaubt. Außerdem hat sich die letzte Generation dieser Spiele ein bisschen in die Richtung extrakomplex ohne Extraspielspaß entwickelt. Oft sind diese Spiele, die sich früher dadurch auszeichneten, mit knappen Regeln viel Interaktion und eine herausfordernde Spieltiefe zu erzeugen, zu Regelmonstren geworden (wenn die Leute sich nicht gleich Spielen zugewandt haben, wo auf jeder einzelnen Karte eine andere Regel draufsteht). Diese Entwicklung hat mir nichts weiter gesagt, Spielen wie Burgen von Burgund, 7 Wonders oder Troyes begegne ich bestenfalls mit einem Achselzucken, und ich hatte schon gedacht, dass sich hauptsächlich mein Geschmack von so etwas wegentwickelt hatte. Fast war ich versucht, die leicht abschätzige Betitelung „cube pusher“ (Klötzchenschubser/innen) für die Liebhaber/innen solcher Spiele in meinen aktiven Wortschatz aufzunehmen.

Aber wenn ich dann eine der seltenen Gelegenheiten habe, mal ein Spiel wie Santiago auf den Tisch zu bekommen, stellt sich das plötzlich wieder ganz anders dar. Die Regeln sind zwar mittellang (ein Heftchen, kein Faltblatt), aber nach ungefähr einer Spielrunde liegen sie im Blut und es gibt kaum Bedarf, später nochmal Dinge nachzugucken. Aus diesem also leicht zu erlernenden Spielsystem entsteht ein hochspannendes Spiel, das außerordentlich interaktiv ist und nicht an Gemeinheiten geizt (bei jeder Aktion geht es darum, sich gegen die anderen durchzusetzen und sich in die besten Positionen zu rangeln). Natürlich ist es ein Stück weit abstrakt, mit Klötzchen als Arbeitern, schnurgeraden Kanälen und so weiter, aber dennoch entsteht mehr Atmosphäre als in manchen anderen Euro-Spielen. Man kann die Felder manchmal fast trocknen hören…

Bin es also vielleicht gar nicht ich, der sich verändert hat? Sind es doch einfach nur die modernen Euro-Spiele, die mir nicht mehr so gefallen? Oder ist Santiago einfach nur ein richtig gutes Spiel? Ich glaube dann doch an Letzteres.

Wie oben erwähnt, ist seit letztem Jahr eine Neuauflage des polnischen Verlags Trefl angekündigt. Deren polnische Ausgabe ist wohl auch schon auf dem Markt, ob die englisch/deutsche Version auch schon raus ist, konnte ich noch nicht herausfinden. Da heißt es also, die Augen offenzuhalten.
Gesamteindruck: 9/10

Santiago
von Claudia Hely und Roman Pelek
für drei bis fünf Leute
Illustrationen von Oliver Freudenreich
erschienen bei Amigo, 2003 (demnächst wohl auch bei Trefl)