Schlagwort-Archive: Too Many Cinderellas

Kommissar Victor kämpft gegen die Vögel (und Aschenputtel)

Wenn man viele Spiele spielt, bleibt es leider nicht aus, dass man manchmal mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede sieht. Das muss nicht schlimm sein, wenn man die entsprechenden Spiele in größerem zeitlichem Abstand spielt. Ich habe allerdings zwei solche Spiele aus Essen mitgebracht, die ich dann beide recht bald danach gespielt habe. Die Ähnlichkeit ist für mich so stark, dass ich nicht vorhabe, beide Spiele zu behalten. Die Rede ist von Commissioner Victor: The Lost Paintings Case sowie Songbirds (auch bekannt als Birdie Fight).

Worum geht’s?

Kommissar Victor sucht einen Gemäldedieb. Es gibt 32 Verdächtige, die alle ziemlich ähnlich aussehen, sich aber jeweils in Augen, Frisur und Bart unterscheiden. Victors Untergebene (die Spieler/innen) überlegen nun, wer es wirklich gewesen sein könnte. Dazu legen sie in jeder Runde je ein Kärtchen in eine Auslage in der Mitte und können ein bereits ausliegendes an eine beliebige andere Stelle verschieben. Außerdem hat man einen Unschuldsmarker, mit dem man verhindern kann, dass ein bestimmtes Kärtchen von anderen verschoben wird. Am Ende ist die Auslage 5 x 5 Kärtchen groß und die Spieler/innen haben noch je ein Kärtchen auf der Hand. Dann wird geguckt, ob gleiche Merkmale in einer Reihe mindestens dreimal auftreten. Dafür gibt es Punkte, wenn sie mit den Merkmalen des Hauptverdächtigen auf der Hand übereinstimmen. Wer auf diese Weise die meisten Punkte sammelt, gewinnt das Spiel.

Commissioner Victor

Auch im Wald füllen die Singvögel eine Auslage von 5 x 5 Karten auf. Allerdings haben sie keine Gemälde stibitzt, sondern stecken ihr Revier ab. Die Auslage hat für jede Zeile und jede Spalte je einen Punktechip. Man legt in jeder Runde eine Vogelkarte hinein, wobei es von jeder der vier Vogelarten Karten von 1 bis 7 gibt. Wenn eine Reihe voll ist, gewinnt die Vogelart den Chip, die in der Reihe den höchsten Gesamtwert hatte – bei Gleichstand gewinnt allerdings die zweithöchste. Auch hier spielt man, bis man nur noch eine Karte in der Hand hat. Deren Wert zählt man zu den Punkten hinzu, die die entsprechende Vogelart im Spiel bekommen hat. Das sind die Gesamtpunkte für die Runde (man soll zwei Runden spielen). Im Spiel zu viert taucht noch eine Krähe auf, die in bestimmten Reihen Minuspunkte verteilen kann.

Und? Was haben diese Spiele jetzt gemeinsam?

In beiden Fällen hat man Karten in der Hand, von denen man eine als Gewinnkarte einsetzen möchte. Mit den anderen Karten versucht man, die eine Karte wertvoller zu machen. Das ist immer ein Dilemma, denn es gibt dann meistens eine perfekte Position, wo man diese letzte Karte hinlegen könnte, um richtig viele Punkte abzuräumen – aber leider hätte man sie dann ja nicht mehr auf der Hand und würde gar nicht mehr davon profitieren. Während des Spiels muss man darum immer darauf achten, ob es einen Zeitpunkt zum Richtungswechsel gibt, bei dem man sich entschließt, doch lieber eine andere Karte als Punktekarte aufzuheben als ursprünglich geplant. Dieser Mechanismus gefällt mir grundsätzlich sehr gut, er ist simpel und eingängig, aber gleichzeitig fordernd. Außerdem hat er so eine passive Interaktivität – jeder Zug, den man macht, greift unweigerlich in die Pläne der anderen Spieler/innen ein, ohne dass es wirklich konfrontativ wäre. An solchen Spielen werden wohl eher keine Beziehungen zerbrechen.

In Details unterscheiden sich die beiden natürlich trotzdem (es sind ja keine Plagiate oder so, sondern eher parallele Entwicklungen). Bei Kommissar Victor zieht man während des Spiels Karten nach, sodass man nicht von Anfang an weiß, worauf man hinzielen sollte. Es gibt also mehr Anlässe für Taktikwechsel. während man bei Songbirds von Anfang an weiß, was man zur Verfügung hat und lediglich versucht, die Mitspieler/innen darüber ein bisschen im Unklaren zu lassen. Letzteres fühlt sich ein bisschen purer an.

Aber jetzt habe ich lange um den heißen Brei herumgeredet. Egal, wie ähnlich ich die beiden Spiele finden mag, in der Gestaltung unterscheiden sie sich massiv. Die Köpfe bei Kommissar Victor wirken uninspiriert und auf mich auch altmodisch (was ich jetzt mal nicht als Kompliment meine), das Thema komplett aufgesetzt (was soll der Titel überhaupt sagen?) und ich zumindest habe es das Spielerlebnis als sehr mechanisch empfunden, ohne an irgendeiner Stelle die Vorstellung zu haben, dass die letzte in meiner Hand irgendein Verdächtiger sein könnte. Bei Songbirds kann ich mir zumindest mit etwas Mühe vorstellen, dass da Vögel in einem Wald ihr Revier abstecken. Und wenn einem das nicht gelingt, dann kann sich das Auge zumindest an der hübschen Gestaltung erfreuen. Dass die Vögel einer Farbe alle verschieden aussehen, empfinde ich als ein großes Plus (bei Victor sehen im Gegensatz dazu die unterschiedlichen Figuren eher gleich aus).

Die Vögel einer Farbe sehen alle verschieden aus.

Bei Songbirds gibt es noch eine ziemlich seltsame Regel, nämlich die, dass man zwei Runden spielen muss, um mit den kumulierten Punkten eine/n Gewinner/in zu ermitteln. Das hat sich allerdings gar nicht bewährt, und ich würde das so auch nicht mehr gern spielen. Eine Runde reicht völlig. Die Punktechips sorgen zwar für etwas Abwechslung von Partie zu Partie, aber man hat halt kaum eine Chance, mehrere kleinere statt einer größeren Wertung für sich zu entscheiden. Da typischerweise sehr oft Spieler/innen in der Wertung nahe aneinander liegen, hat man, wenn man in der ersten Runde abgeschlagen ist, nahezu keine Hoffnung mehr auf eine Aufholjagd in der zweiten. Das kann zu Frust führen. Spielt man zu zweit, sind Unentschieden nicht so selten. Wenn ich ein Spiel zweimal hintereinander spiele, einmal gewinne und einmal verliere, ist das harmonisch. Wenn ich die beiden Partien aber zu Runden eines Gesamtspiels erkläre, das am Ende unentschieden ausgeht, finde ich es eher unbefriedigend. Dass man zwei Runden spielen soll, ist auch in den Regeln seltsam unauffällig geschrieben. Recht so, ich würde das einfach streichen.

Wenn ich nur eins der beiden Spiele behalte, dann wird es Songbirds sein (wobei ich eben jeweils nur eine Runde spielen würde) – aber auch bei diesem bin ich mir nicht sicher, denn da ist ja auch noch Too Many Cinderellas, das ich hier bereits vor knapp zwei Jahren rezensiert hatte. Auch bei diesem gibt es den gleichen Grundgedanken: Man legt Karten aus, die es einem ermöglichen sollen, mit den Karten, die man auf der Hand behält, zu gewinnen. Verglichen mit Kommissar Victor und Songbirds setzt Too Many Cinderellas sich in so ziemlich jedem Punkt durch: Es hat die coolste Gestaltung, das Thema ist am nachvollziehbarsten (und gleichzeitig am schrägsten), es ist am schnellsten gespielt und es wird dabei am meisten gelacht und geschimpft. Und schließlich braucht man sich nur mal die drei Schachteln zusammen anzusehen. Mein überfülltes Regal sagt mir, wer bleiben darf und wer gehen muss.

Drei Verlage mit unterschiedlichen Auffassungen von passenden Schachtelgrößen.

Commissioner Victor and the Lost Paintings Case
für 2 bis 4 Ermittler/innen
von Krzysztof Matusik, der das Spiel auch illustriert hat
Tailor Games, 2016

Songbirds
für 2 bis 4 Piepmätze
von
ゆお (Yuo)
Illustrationen von ことり寧子 (Kotori Neiko)
Erschienen bei Homosapiens Lab, 2017 (
Erstausgabe 2016 bei こっち屋 (Kocchiya))

Der Prinz und der/die/das Aschenputtel

Heute werfen wir mal wieder einen Blick nach Japan. Dort gibt es nämlich nicht nur Prinzessinnen, in die man hoffnungslos verliebt sein kann, sondern auch Prinzen. Einer von diesen hat gerade angekündigt, Aschenputtel heiraten zu wollen. Leider kann er sich nicht mehr so genau daran erinnern, wie diese aussah. Also lässt er einfach herumfragen, ob jemand Aschenputtel kennt. Nun wittern diverse Leute ihre Chance und versuchen, ihre Diener/innen zu Aschenputtel zu erklären. Und vor allem, zu erklären, dass es die anderen Diener/innen auf keinen Fall sein können. Wenn es nur nicht so viele Aschenputtel gäbe…

Das Ganze heißt „Too Many Cinderellas“ (im japanischen Original: シンデレラが多すぎる) und ist ein Mikrospiel von Nobutake Dogen und Nao Shimamura, das 2014 bei Taikikennai Games erschienen ist. Eine leicht aufgemotzte Version erschien dann 2015 im australischen Verlag Grail Games (diese Rezension bezieht sich auf die japanische Ausgabe) .

Too Many Cinderellas
Das Cover der japanischen Ausgabe

Das Spiel besteht aus vier Sätzen Ja/Nein-Chips, einem neutralen Nein-Chip und 18 Karten mit Kandidat/innen für den Aschenputtel-Posten. Das sind Männer und Frauen jedweden Alters und Aussehens, und sogar eine Katze mit Perücke. Jede Karte hat bestimmte Eigenschaften, nämlich eine Altersgruppe, eine Haarfarbe und ein paar sonstige Dinge wie Lieblingsgetränk/Brille/Geschlecht und so weiter. Dazu gibt es eine Nummer von 1-18, die den Rang der Karte ausweist. Je kleiner die Zahl, desto höher der Rang. Und schließlich steht eine Aussage unten auf der Karte, die festlegt, wie Aschenputtel nicht ist.
Man bekommt einen Satz Chips und vier Karten auf die Hand. Zwei davon spielt man aus, zwei behält man. Ziel ist es, dass mindestens eine dieser Karten auf die am Ende feststehende Beschreibung von Aschenputtel passt. Sollte die Beschreibung gar auf mehrere Kandidat/innen passen, heiratet der Prinz die Person auf der Karte mit dem höchsten Rang.
Wer dran ist, spielt eine Karte und sagt die Aussage laut an. Zum Beispiel: Aschenputtel ist nicht blond. Dann geht es reihum, bis jede/r zwei Karten ausgespielt hat. Schließlich wird noch eine Karte vom verdeckten Stapel aufgedeckt und dazugelegt. Dann wird geguckt, ob die entstandene Beschreibung (zum Beispiel: Trinkt keinen Wein, trägt keine Brille, ist kein Mann, hat nicht die Nummern 1-4 und hat keine braunen Haare) auf eine auf der Hand verbliebene Karte passt (das ist die Siegbedingung. Bei Gleichstand zählt der höhere Rang). Sollte überhaupt niemand mehr eine passende Karte in der Hand haben, gewinnt, wer den höchsten Gesamtrang übrig hat.
Was macht man aber nun, wenn jemand eine Karte „Aschenputtel ist nicht blond“ spielt und man drei blonde Karten übrig hat? Dafür gibt es die Ja/Nein-Chips. Nach jeder ausgespielten Karte wählt man verdeckt einen seiner Chips aus und deckt ihn dann gleichzeitig mit den anderen Leuten auf. Ist ein Nein-Chip dabei, neutralisiert dieser die gerade ausgespielte Karte. Achtung: Man hat nur ein einziges Veto – ist der Nein-Chip einmal auf einer Karte gelandet, muss man fortan allen Behauptungen über Aschenputtel zustimmen. Kommt also eine Behauptung auf den Tisch, die mir nicht in den Kram passt, muss ich abwägen, ob ich mein „Nein“ opfere oder mir meinen Chip für möglicherweise noch unpassendere Aussagen aufhebe.

Aschenputtel hat keine schwarzen Haare, nicht die Nummer 1 bis 4, keine Brille und ist kein Mann. Die Katze sagt nichts.

Too Many Cinderellas ist eigentlich ein typischer Vertreter des Genres der Mikrospiele. Achtzehn Karten und ein paar Pappchips, zehn Minuten Spieldauer. Das ganze kommt in einer Schachtel daher, die halb so groß ist wie eine typische deutsche Kartenspielschachtel für Bohnanza oder Coloretto oder sowas. Sowas finde ich normalerweise toll, weil es wenig Platz im Regal wegnimmt, aber natürlich nur, wenn das Spiel auch Spaß macht und einen hohen Wiederspielreiz hat. Auf Too Many Cinderellas trifft das allemal zu. Meist haben wir es gleich mehrmals hintereinander gespielt und holen es auch weiterhin immer wieder raus. Die Altersangabe „ab zehn“ ist auch eher locker zu sehen, unsere spielgewohnte Sechsjährige hatte es nach ein paar Runden problemlos raus (auch wenn sie bisher nur selten gewinnt), trotz der wenigen englischen Wörter, die auf den Karten stehen (das beschränkt sich auch auf die Altersstufen Young, Teen, Adult und Senior sowie das Wort „Not“). Familientauglich ist es also auch.
Too Many Cinderellas erinnert mich an ein sehr schönes älteres Spiel von Stefan Dorra, nämlich Njet, ein Stichspiel, bei dem man einen Teil der Spielregeln zu Beginn des Spiels gemeinsam festlegt, indem man einzelne Nein-Chips auf bestimmte Spielregeln legt. Am Ende ist aus jeder Spielregelkategorie nur noch eine Möglichkeit offen, und mit dieser Mischung spielt man dann das eigentliche Stichspiel. Too Many Cinderellas macht letztlich etwas ganz Ähnliches, nur ganz ohne das anschließende Stichspiel. Nachdem man die Regeln festgelegt hat, ist das Spiel vorbei und man sieht, wer gewonnen hat. Das ist eine sehr konsequente Idee, finde ich. Während die Karten auf dem Tisch landen, versucht man, die beste (oder eigentlich: am wenigsten schlechte) Situation für sich selbst zu hinzubiegen. Dabei gibt es immer wieder überraschende Momente, und der richtige Einsatz des einzigen Nein-Chips sorgt halt für Nervenkitzel.

Die englischen Regeln sind gerade noch so lesbar (da gibt es zum Glück im Netz längst bessere Versionen), die Illustrationen von Hinami Tsukuda sind vielleicht auch nicht jedermanns Sache, obwohl sie allemal originell sind (eigentlich finde ich vor allem die Farbgebung ein bisschen anstrengend). Mir würde das Spiel wahrscheinlich weniger gefallen, wenn es jetzt so eine klassische Märchengrafik hätte. Und auch sonst ist es schön anti-konventionell: Aschenputtel kann ein alter Mann sein, eine Biertrinkerin oder eben gar eine Katze. Die Katze hat zwar bei uns noch nie gewonnen (und es gibt ein bisschen eine Extra-Motivation, eines Tages mal mit der Katze zu gewinnen), aber mir gefällt dieser Humor einfach.
Die Grail-Games-Ausgabe hat das Ganze nur ein wenig entschärft, Bier und Wein sind verschwunden und durch irgendwelche harmloseren Sachen ersetzt worden und das Kartenlayout ist ein bisschen verändert, während die Illustrationen gleich geblieben sind.

Too Many Cinderellas ist für zwei bis vier Personen und macht uns zu dritt oder viert am meisten Spaß. Ich weiß nicht, ob es Leute gibt, die alle Karten auswendig kennen und dadurch einen Vorteil haben, aber ein solcher Vorteil wäre vermutlich ohnehin recht gering. Also Daumen hoch.

Too Many Cinderellas
für 2 (besser 3) bis 4 Personen ab 10 Jahren (eigentlich aber schon früher)
Autoren: Nobutake Dogen und Nao Shimamura
Illustration: Hinami Tsukuda
Verlag: Taikikennai Games/Grail Games