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Auswärtsspiele

Kürzlich erhielt ich eine Einladung zu einer Blogparade, und da dachte ich mir, ich könnte ja einfach mal mitmachen. Das Thema lautet Die besten Reisespiele, und da ich ja leidenschaftlich spiele und durchaus auch gern reise, krame ich mal in meinen Erinnerungen.

Vorweg muss ich sagen, dass Reisen für mich in den allermeisten Fällen Bahnreisen sind. Alle paar Jahre betrete ich auch mal ein Flugzeug, aber ziemlich ungern. Meine Perspektive ist also die eines Bahnreisenden. Wäre ich Autofahrer und würde in irgendeine Ferienwohnung fahren, könnte ich ja eigentlich alles mitnehmen, was mir gerade so gefällt – für derlei Autoreisen gibt es in meinen Augen keine entscheidenden sonstigen Kriterien. Aber darüber sollen andere schreiben, das ist keine mir vertraute Reiseform.

Bahnreisen aber schon. Ein entscheidender Vorteil an Bahnreisen ist ja, dass man viel mehr Zeit hat, während der Fahrtzeit selbst etwas zu tun, man kann also während der Fahrt selbst auch schon was spielen. Die Kriterien dafür sind eigentlich banal. Leicht transportabel sollten die Spiele sein, wenig bis keinen Platz auf dem Tisch einnehmen, nicht zu laut sein, schnell ein- und auszupacken sein. Das war’s eigentlich schon. Richtig, das schreit nach Kartenspielen. Da ich Teil einer vierköpfigen Familie bin, ist Tichu eigentlich immer dabei, wenn wir alle zusammen wegfahren. Und auch sonst nehmen wir das eine oder andere Kartenspiel mit ins Handgepäck, das entscheiden wir dann kurz vor der Abreise gemeinsam.

Die besten Reisespiele sind aber für mich diejenigen, die ich gar nicht selbst mitbringe, sondern die ich auf der Reise unerwartet spiele. Warum fahre ich denn in ferne Länder? Zumindest unter anderem doch auch deshalb, um mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Idealerweise mit den Einheimischen, aber oft auch mit anderen Reisenden. Das beginnt natürlich schon im Inland. Am einfachsten ist es immer auf der Rückfahrt von der Messe in Essen. Wenn man dort im ICE einen Tisch ergattert und sich ein bisschen umsieht, wer noch mit Messezeugs unterwegs ist, kommt sehr oft eine Spielrunde zusammen und man lernt oft neue Leute kennen. Auf anderen Fahrten bin ich meistens mit Kindern unterwegs und daher ist es ein bisschen schwierig, mich einfach Leuten anzuschließen, die irgendwo im Zug was spielen, aber auf Fahrten allein habe ich das auch schon gemacht. Wenn ein Platz frei war und das Spiel einen weiteren Mitspieler zuließ, wurde das noch nie abgelehnt. Auf den letzten Fahrten mit meinen Kindern war ich hier und da im Regionalexpress unterwegs, was sich mangels Tischen nur mäßig gut für Kartenspiele eignet. Also habe ich ihnen Scharade beigebracht, was sie begeistert und stundenlang beschäftigt hat – und immer mal wieder kam es vor, dass andere Leute angefangen haben, mitzuraten oder auch mal was vorzuführen. Ideal.

Vor gut 20 Jahren bin ich mal für sechs Monate mit meiner Freundin auf dem Landweg nach Asien gefahren. Als wir eine Woche in der Transsib unterwegs waren und dabei mit zwei tatarischen Austauschstudenten im Abteil reisten, die dann mit russischen Mitreisenden ein fremdartiges Kartenspiel gespielt haben, habe ich einfach sehr lange zugeguckt, um eine vage Ahnung dafür zu bekommen, wie es funktioniert. Ich war dabei so hartnäckig, dass sie sich irgendwann erbarmten und die mir noch unklaren Elemente erklärten. Von da an hat uns das Spiel über einen großen Teil unserer Reise und auch darüber hinaus begleitet. Wir wussten nie, wie es eigentlich hieß (bei uns lief es unter „Tatarenskat“). Erst vor zwei Wochen bekam ich auf dem Spieleautorentreffen in Göttingen von einem russischen Redakteur den Hinweis auf Bura, von dem es eine Variante war.

Einige Wochen später saßen wir im Restaurant unseres Hotels in Lhasa, als uns drei Amerikaner/innen ansprachen. Wir kämen offenbar aus Deutschland, und ob wir Skat spielen könnten? Sie hätten das vor längerer Zeit mal gelernt, aber nicht mehr alles parat… Konnten wir, und vor allem konnten wir ihnen auch noch Doppelkopf beibringen (Tichu kannten wir damals leider noch nicht). Ich erinnere mich kaum daran, was für Kartenspielrunden ich 1994 hatte, aber solche besonderen auf Reisen bleiben doch länger im Gedächtnis und ich freue mich noch heute drüber.

Noch später auf der Reise haben wir einiges an Spielen einfach improvisiert. Legendär war unser leidlich erfolgreicher Versuch, auf Papier Empire zu spielen, ein Computerspiel, das wir zu Hause rauf und runter gespielt hatten. Das war dann allerdings ohne fremde Mitspieler/innen.

Die besten Reisespiele
Das kleine Spieleregal in einer römischen Kneipe. Zug um Zug ist nicht auf dem Bild.

2013 wollte ich wie schon in den Jahren zuvor für ein paar Tage zu einem Festival nach Bozen fahren. Da meine Familie gerade für einige Wochen im Ausland weilte, nutzte ich die Chance und nahm mir eine Woche frei, um noch einen Abstecher nach Rom anzuhängen, wo ich schon immer mal hingewollt hatte (meine Frau war vor unserer gemeinsamen Zeit schon mal in Rom gewesen und hatte nicht so große Lust auf eine weitere Reise dorthin, also war die Gelegenheit günstig). Während ich im Vorfeld anfing, Pläne zu schmieden, fiel mir auf, dass ich keine rechte Ahnung hatte, was ich in Rom (und auf der Rückfahrt in Verona) abends machen würde. Tagsüber würde ich kreuz und quer durch die Stadt laufen und mir Sehenswürdigkeiten angucken, aber abends? Ich bin jetzt nicht so der Typ, der abends allein einen trinken geht oder sowas. Also setzte ich kurzentschlossen eine einen Aufruf ins Boardgamegeek-Forum, in dem ich fragte, ob jemand in Rom oder Verona mit mir spielen würde. Für Rom ergab sich ein Kontakt mit einem sehr netten Pärchen, mit dem ich dann einen denkwürdigen Abend verbracht habe. Wir fuhren mit ihrem Auto kreuz und quer durch Rom, um ein Spielecafé zu finden, das montags geöffnet hätte. Dabei waren wir zwar nur beschränkt erfolgreich, aber in ihrer Stammkneipe gab es immerhin eine flotte Partie Zug um Zug, und zu fortgeschrittener Stunde lernte ich noch Pictionary auf Italienisch in einem Café, dessen Auswahl an Kuchen erheblich besser war als die an Spielen. Ich glaube, meinen Gastgeber/innen war es ein bisschen unangenehm, mir keine bessere Auswahl bieten zu können. Aber für mich war das völlig egal, es war einfach toll, den Abend mit anderen Spielebegeisterten zusammen zu verbringen, die ich wenige Stunden zuvor als Wildfremde an einer U-Bahn-Station in Rom getroffen hatte.

Das ist keine Speisekarte…

 

Für Verona hatte sich leider niemand auf meinen Aufruf gemeldet, aber immerhin wurde mir ein Spieleladen empfohlen. Da dieser ein wenig außerhalb lag und ich mich nach einem langen Besichtigungstag mit dem Bus dorthin durchschlagen musste, kam ich erst zehn Minuten vor Ladenschluss dort an. Leider erfuhr ich, was ich schon befürchtet hatte. In Verona gab es keine Spielecafés oder sonstigen Etablissements, und im Laden war auch nichts mehr los, sodass ich keine wildfremden Leute mehr ansprechen konnte. Immerhin lag auf dem Tresen ein Flugblatt einer Spieleinitiative aus. Auf meine Nachfrage sagte der Ladenmitarbeiter, dass das in San Giovanni Lupatoto sei (diverse Kilometer außerhalb von Verona) und ich da zwar mit dem Bus hin- aber nachts nicht mehr zurückkommen würde. Unerschrocken rief ich bei der Kontaktnummer an, die auf dem Flugblatt angegeben war, um nach einer Mitfahrgelegenheit zu fragen, und hatte gleich Glück. Der Angerufene wollte am nächsten Tag selbst hin und bot sich an, mich mitzunehmen (und dafür zu sorgen, dass mindestens eine Brettspielgruppe in der ansonsten rollenspieldominierten Umgebung anwesend wäre). Auch dieser Abend war toll. Ich kann zwar nicht Italienisch, aber es ist erstaunlich, wie gut man Regelerklärungen dann doch folgen kann (zumindest bei weniger komplexen Spielen), und wo es hakte, haben wir uns mit Englisch beholfen.

In Bozen schließlich gibt es Dinx, einen wirklich beeindruckenden Spieleverein. Ich habe eine Menge sehr nette Leute getroffen, und diesmal ging es Deutsch/Italienisch/Englisch durcheinander und wiederum hatten wir einen Haufen Spaß. Wer in der Gegend ist, sollte ruhig versuchen, da mal Kontakt aufzunehmen. es lohnt sich. Mehr zu meiner Italienreise auf Englisch hier.

Ein paar Wochen nach meiner Rückkehr hatte ich dann die Gelegenheit, mich sozusagen zu revanchieren. Das Spieleautorentreffen stand an, und meine Wohnung war immer noch leer. Als ich hörte, dass einige der auswärtigen Besucher/innen bis Montag in Göttingen sein würden, lud ich sie zum Abendessen mit anschließendem Spielen ein. Ich kann mich nicht mehr an alle Namen der Anwesenden erinnern, aber zumindest kamen sie aus Schweden, Irland, Litauen, Deutschland und vielleicht auch noch anderswo her. Wir spielten Prototypen und andere Spiele aus unserer Sammlung. Noch so eine Erinnerung, die hängen geblieben ist.

Tja. Was will ich mit den ganzen Geschichten jetzt sagen? Wenn ich eine Reise mache, dann will ich mit den Einheimischen in Kontakt kommen. Es gibt nur wenige bessere Möglichkeiten dazu, als gemeinsam zu spielen. Sprachdifferenzen und die ganzen sonstigen Unterschiede verschwimmen, und man fühlt sich immer willkommen. Ich kann das gar nicht intensiv genug empfehlen – wenn Ihr mal irgendwohin fahrt, wo Ihr Zeit übrig habt, sucht im Netz Kontakt zu ein paar Spieler/innen und verabredet Euch mit ihnen. Dann braucht Ihr auch kaum noch selbst Spiele mitzubringen. Die besten Reisespiele sind also solche, bei denen man mit neuen Leuten in Kontakt kommen kann. Dagegen verblasst für mich jedes andere Kriterium Spielen verbindet schließlich über Grenzen hinweg, und das ist ja auch ein bisschen das Motto dieses Blogs.

 

Gesamteindruck: 10/10 – fast egal, was man spielt.

Die Cabo-Bande

In Essen hatte ich spontan ein gebrauchtes Exemplar von Cabo erstanden, einem kleinen Kartenspiel, das einigermaßen gute Bewertungen im Netz vorweisen konnte und in mein Beuteschema zu fallen schien. Trotz der in meinen Augen weniger schönen Aufmachung schien es mir die paar Euro wert zu sein. Und tatsächlich, mir macht es Spaß. Leider wird das hier trotzdem keine ganz normale Rezension werden. Doch zunächst zum Spiel selbst:

Cabo

Es gibt jeweils vier Karten mit den Zahlen 1 bis 12, dazu zweimal die 0 und zweimal die 13. Von diesen erhält man jeweils 4 und legt sie ungesehen verdeckt vor sich hin. Zwei davon darf man sich anschließend ansehen. Wer dran ist, zieht eine Karte vom Stapel, sieht sie sich an und kann sie entweder ablegen oder gegen eine der vier eigenen Karten austauschen. Die ausgetauschte Karte wirft man dann offen ab. Die Karten von 7 bis 12 haben noch Sonderfunktionen, die man statt der anderen Funktionen ausführen kann – eine eigene Karte ansehen, eine fremde Karte ansehen oder eine eigene Karte gegen eine von jemand anders austauschen. Ziel des Spiels ist es, eine möglichst niedrige Gesamtpunktzahl vor sich liegen zu haben. Achtung: Wer mehrere Karten mit dem gleichen Wert hat, kann diese gemenisam gegen eine neue eintauschen. Also: Karte angucken, ansagen, dass man mehrere gleiche vor sich liegen hat, die alle aufdecken und die neue Karte dafür hinlegen. Dann hat man weniger Karten also vorher, was natürlich gut ist.

Wer meint, am wenigsten Punkte zu haben, sagt anstelle eines anderen Zuges „Cabo“. Dann sind alle anderen noch einmal dran, anschließend wird aufgedeckt. Wer die wenigsten Punkte vor sich liegen hat, bekommt 0, alle anderen die Summe ihrer Karten. Wenn jemand 100 Punkte überschreitet, gewinnt, wer am wenigsten hat.
Drei Besonderheiten gibt es noch: Wer beide Dreizehnen und zwei Zwölfen hat, bekommt 0 und alle anderen 50. Ich war nie auch nur in der Nähe davon, sowas zu beobachten. Wer genau 100 Punkte erreicht, wird auf 50 zurückgesetzt. Das ist selten, aber ich habe es tatsächlich einmal erlebt.

Und? Macht das Spaß?
Ja. Es ist ein wenig Bluff, ein wenig Berechnung, ein wenig Nervenkitzel und ein wenig lockeres Vorsichhinspielen. Ansonsten braucht man ein hervorragendes Gedächtnis, um nicht den Überblick zu verlieren, besonders bei vielen Spieler/innen. Ein bisschen erinnert es mich an Khmer/Elements, aber es hat einen erheblich größeren Glücksfaktor und ist nicht nur für 2 Leute. Die Grafik finde ich arg unfunktional (und auch nicht besonders hübsch), aber da gibt es sicher viele Leute, die auf sowas stehen.

Cabo
Manche mögen das hübsch finden – ich kann die Zahlen schwer erkennen.

Ist das alles, was Du zu dem Spiel zu sagen hast?
Nein. Zunächst mal fiel mir natürlich auf, dass die beiden Autorinnen nirgends genannt wurden (das ist auf einer neueren Ausgabe bei Smiling Monster Games anders). Sowas ist mir immer unsympathisch, aber da es sich bei Eventide um einen Selbstverlag zu handeln schien, war es trotzdem ein bisschen schwer, das zu kritisieren (ansonsten kann sowas bei mir schon mal zur Abwertung führen). Als ich die Namen dann für die Rezension nachschlagen wollte, stieß ich auf die Information, dass es sich bei Cabo um eine Weiterentwicklung eines traditionellen Kartenspiels handle. Auch das wäre für mich noch kein Problem gewesen, so ist es auch mit meinem Lieblingsspiel Tichu, und es gibt noch viele andere solche Fälle. Wenn man das gut macht, habe ich damit keine Probleme. Allerdings las ich dann ein bisschen weiter und musste feststellen, dass es bereits mehrere andere Neubearbeitungen dieses Spielkonzepts gibt, unter anderem Rat-a-Tat Cat von Ann und Monty Stambler, in Deutschland besser bekannt unter dem Titel Biberbande, erschienen 2002 bei Amigo. Das war mir schon öfter empfohlen worden und ich hatte immer gedacht, das müsste ich mal spielen, aber dazu war es nie gekommen. Auch soweit ist es natürlich noch normal, aber es scheint nun so zu sein, dass einige der Veränderungen direkt von Biberbande übernommen wurden. Die Unterschiede im Einzelnen (für diejenigen, die Biberbande kennen):

– Sonderkarten haben auch Zahlen, das heißt es entfällt das Nachziehen, wenn man am Ende Sonderkarten vor sich liegen hat. Das ist in meinen Augen eine Verbesserung, denn statt eines Zufallselements kommt ein leidlich planbares ins Spiel.
– Neu ist auch die Sonderaktion „Spy“, sie ersetzt das doppelte Ziehen.
– Innovativ neu ist in meinen Augen nur, dass man mehrere gleiche Karten gegen eine neue austauschen kann, das hat mir auch sehr gut gefallen.
– Und dann ist da noch ein bisschen Kleinkram, wie etwa das Zurücksetzen der Punkte auf 50, wenn man auf genau 100 kommt.

Der Kern ist aber das Spiel Biberbande, und das macht mir doch ein wenig Bauchschmerzen. Es ist für mich etwas anderes, sich bei einem traditionellen Kartenspiel zu bedienen und etwas hinzuzufügen oder wegzunehmen oder was auch immer. Es gibt von diesem speziellen Kartenspiel („Golf“) diverse Bearbeitungen, und da hätte man ohne Weiteres eine weitere hinzufügen können. Aber wenn ich Mechanismen von anderen Autor/innen direkt übernehme und im absolut gleichen Kontext verwende, dann fände ich zumindest einen Hinweis in der Anleitung angemessen. Mir ist nicht bekannt, dass sich Ann und Monty Stambler oder Amigo hierüber sonderlich aufgeregt haben (Spielmechanismen kann man eben nicht schützen lassen), aber in meinen Augen ist eine Grenze überschritten. So ist der Genuss des Spiels für mich getrübt.

Ohne Wertung.

Cabo
von Mandy Henning und Melissa Limes
für 2 bis 5 Leute
Illustrationen: Adam Peele
Eventide Games, 2010/Smiling Monster Games, 2016