Eric Martin, ein von mir besonders geschätzter Spielejournalist, prägte 2015 in seinem Bericht über seinen Besuch auf dem Tokyo Games Market den Begriff „sexy games“, und dabei bezog er sich explizit auf Spiele des vierköpfigen japanischen Autor*innenkollektivs team SAIEN. Leider hat sich der Begriff nicht auf breiter Front durchgesetzt, aber ich gehöre immerhin zu den Leuten, die ihn noch hier und da benutzen. Gemeint sind Spiele, die einen durch ihr Spielmaterial einfach magisch anziehen, auch wenn man noch gar nicht weiß, worum es dabei geht. Das mag jede*r ein bisschen anders interpretieren, aber viele SAIEN-Spiele gehören allemal dazu. So auch Katteni Shiyagare, eigentlich ein Mikrospiel, das aus nur zehn Elementen besteht. Da das aber zehn massive Holzklötze sind, ist der Holzkasten, in dem es geliefert wird, nicht mehr unter Mikrospielen einzuordnen. Im Herzen ist es trotzdem eins.
Und wieder werfe ich einen Blick auf ein japanisches Mikrospiel, das es mir sehr angetan hat, und zwar auf ein seltsames Zweipersonenspiel mit dem seltsamen Namen Khmer, das ich schon seit ein paar Jahren besitze, das aber unverständlicherweise hierzulande kaum groß Verbreitung gefunden hat.
Khmer stammt vom team SAIEN, einem japanischen Autoren- und Verlagskollektiv, das regelmäßig bei den Tokyo Games Days anzutreffen zu sein scheint (nein, da war ich leider auch noch nie) und dort seltsam anzuschauende Spiele vorstellt, für die Eric Martin mal die Kategorie „Sexy games“ vorgeschlagen hat.
Khmer selbst allerdings kommt in einer schmucklosen packpapierbraunen Schachtel daher. Es besteht aus 16 monströs dicken Karten, die sich super anfühlen, die aber eher wie eine Designstudie als wie Spielkarten aussehen. Sie haben die Werte 1-5 (je zweimal) und 6 (sechsmal). Dazu gibt’s noch Regeln (auf Japanisch. Deutsche und englische Regeln gibt es auf boardgamegeek). Was es in der Schachtel nicht gibt, ist Luft, das ist passgenau verpackt.
Vier Karten werden aussortiert, die restlichen 12 verteilt. Nun hat man also sechs Karten auf der Hand und damit, wenn man dran ist, folgende Möglichkeiten:
– Eine Karte offen in die Tischmitte legen, gegebenenfalls auf bereits dort liegende oben drauf (aber so, dass man die unteren noch sehen kann)
– Die oberste Karte aus der Mitte vor sich hinziehen
– Eine 6 abwerfen (aus dem Spiel)
– Aufgeben
– Klopfen und behaupten, dass man die Runde gewonnen hat.
Um zu gewinnen, darf die Summe der Handkartenwerte und der vor einem liegenden Kartenwerte nicht größer sein als die Summe der in der Tischmitte ausliegenden Kartenwerte UND muss größer als die entsprechende Summe des Gegenspielers oder der Gegenspielerin (falls diese/r nicht ohnehin das Limit gesprengt hat und damit automatisch verliert).
Für eine gewonnene Runde bekommt man zwei Punkte, wenn der oder die Gegner/in aufgibt, einen Punkt. Wer zuerst sechs Punkte gesammelt hat, gewinnt das Spiel.
Eigentlich ist das also eine ganz wilde Rechnerei mit einem Schuss Bluff (das Rechnen dürfte aber auch Mathe-Muffel nicht überfordern, die Summen liegen meist zwischen zwölf und achtzehn Punkten). Es ist gar nicht so leicht zu beschreiben, warum das trotzdem so viel Nervenkitzel bereitet. Taktisch versucht man natürlich, sich möglichst viele Optionen offenzuhalten, um auf die Aktionen des Gegenübers flexibel reagieren zu können. Dabei sollte man im Auge behalten, welche Karten noch im Spiel sein könnten (vier sind ja ungesehen aus dem Spiel, daher weiß man es nicht ganz genau). Außerdem sollte man einschätzen lernen, wann man in einer Runde chancenlos ist und gegebenenfalls rechtzeitig aufgeben, um der Gegenseite nur einen Punkt zukommen zu lassen statt der sonst unausweichlichen zwei. Also zermartert man sich bei jedem Spielzug ziemlich den Kopf, aber angesichts der überschaubar vielen Aktionsmöglichkeiten (man hat ja auch nur wenige Karten auf der Hand) zieht sich das Spiel dennoch kaum in die Länge.
Ich glaube, dass mir an Khmer besonders gefällt, dass es in seinem Spielgefühl keinem anderen Spiel ähnelt, das ich je gespielt habe. Es ist einfach ganz eigen. Ein bisschen muss man an so einer abstrakten Grübelei natürlich Spaß haben, aber wenn man das hat, ist Khmer wirklich eine tolle Ergänzung jeder Spielesammlung, weil es einfach seine ganz eigene Nische füllt. Und reisetauglich ist es ob seiner geringen Größe auch noch, zumal es auch kaum Platz auf dem Tisch braucht.
Dass Khmer keinen ausländischen Verlag gefunden hat, könnte einfach daran liegen, dass es gar nicht so einfach ist, ein Spiel zu vermarkten, dass aus nur 16 Zahlenkarten besteht. Love Letter, was ja ebenfalls aus 16 Karten besteht, hat in seiner internationalen Ausgabe ja auch noch Wertungsmarker und so’n Schnickedöns dazugekriegt, um es überhaupt zu einem einträglichen Preis anbieten zu können. Das könnte man bei Khmer natürlich auch machen, und die Grafik überarbeiten. Aber bisher hat niemand angebissen.
Warum das Spiel übrigens Khmer heißt, ist mir ein Rätsel. Es hat nichts weiter mit Kambodscha zu tun. Würde gern mal wissen, wie der Namen für japanische Ohren klingt.
Gesamteindruck: 8/10
Khmer
vom team SAIEN
Illustration: Wohl ebenso
Verlag: Saien, 2010
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EDIT: Khmer erscheint bald auf Deutsch, als Elements bei Pegasus. Näheres hier.
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