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Ich brauche ein Herz!

Zu den gemeinhin weniger beachteten Herkunftsländern für Spiele gehört Singapur. Es scheint dort eine leidlich rege Spieleszene zu geben, wenn ich das aus den diversen bei Boardgamegeek aktiven Usern schließen darf. Auch in Essen bin ich über die Jahre gelegentlich mal Leuten aus Singapur über den Weg gelaufen. Dieses Jahr gab es den ersten Kontakt zu einem Verlag von dort, als mir Play Nation Studio ein Rezensionsexemplar anbot, das ich gern angenommen habe: Dream Catchers.

Dream Catchers

Worum geht’s?

Die Spieler/innen sind Traumfänger/innen und versuchen gemeinsam, einem unschuldigen Kind eine ruhige Nacht zu verschaffen. Dazu müssen sie genügend süße Träume einsammeln, Alpträume abwehren und dafür sorgen, dass sich nie mehr als zwei Monster unter dem Bett befinden.
Auf dem Tisch liegt ein Spielplan, der ein schlafendes Kind im Bett zeigt. Darüber befindet sich eine Traumsphäre mit neun Auslageplätzen, auf denen jeweils entweder ein süßer Traum oder ein Alptraum liegt. Die Traumkarten haben jeweils ein oder zwei Symbole.

Die Spieler/innen haben offen vier Karten vor sich liegen, auf denen je eins der sechs verschiedenen Symbole abgebildet ist. Wer dran ist, hat zwei Aktionen und darf mit jeder Aktion entweder eine Karte mit jemand anderem tauschen oder einen Traum einfangen, indem er oder sie Karten mit den entsprechenden Symbolen einfängt. Ist es ein Alptraum, passiert zunächst nichts, ist es ein süßer Traum, wandert ein Marker auf einer Leiste um ein Feld Richtung Spielziel.

Ein paar Karten. Das Mädchen in der Mitte braucht wohl ein Herz.

Nach den zwei Aktionen füllt man seine Kartenauslage wieder auf 4 Karten aus und es kommt die Nachtphase. Zunächst wird ein Zeitmarker um ein Feld Richtung Niederlage verschoben. Landet er dabei auf einem Monsterfeld, kriecht ein Monster unter das Bett. Die Monster können ebenfalls mit einer Aktion bekämpft werden, wenn man die Symbole hat, die auf ihnen abgebildet sind und ein Würfelwurf Erfolg hat.

Monster!

Anschließend werden die freien Felder in der Traumsphäre wieder aufgefüllt. Bei süßen Träumen passiert nichts, tauchen aber Alpträume auf, die neben anderen Alpträumen mit den gleichen Symbolen liegen, werden die entsprechenden Karten abgelegt und der Alptraummarker wandert auf seiner Leiste so viele Felder vor, wie Alpträume abgelegt wurden. Passiert das nicht direkt beim Einsetzen eines Alptraums in die Traumsphäre, springt der Alptraum nochmal an eine andere Stelle und es kann dort ebenfalls passieren.
Dann beginnt wieder die Phase, in der der/die nächste Spieler/in aktiv ist, und so weiter,. Ein paar Feinheiten habe ich ausgespart, aber das sind die Regeln im Großen und Ganzen. Es geht also darum, die passenden Karten in die Finger der richtigen Leute zu bekommen, damit man das Kind vor einer schrecklichen Nacht bewahren kann.
Die Gruppe verliert, wenn der Tag anbricht, bevor genügend süße Träume zusammengekommen sind, wenn zu viele Alpträume aufgetreten sind oder wenn drei Monster unter dem Bett hocken. Gewinnen kann man nur, wenn man genügend süße Träume einsammelt.

Dream Catchers verlangt zunächst einmal Steherqualitäten. Es ist nämlich, gerade wenn man es zum ersten Mal spielt, richtig schwer zu gewinnen, selbst auf dem einfachsten Level. Als sich schon fast der erste Frust einzustellen drohte, gelang es uns endlich, mal eine Partie zu gewinnen (und auch hier war es knapp, wir wären noch im gleichen Spielzug von Monstern überrannt worden). Und das war alles die leichteste Schwierigkeitsstufe…
Wer sich davon nicht abschrecken lässt, erhält ein durchaus interessantes kooperatives Spiel, das mit ein bisschen Erfahrung auch recht schnell zu spielen ist. Aber auch dann ist der Glücksfaktor noch erheblich. In einer Partie haben wir aufgrund von Kettenreaktionen in zwei Zügen nahezu die komplette Alptraumleiste verloren, und dann wird es eben sehr schwierig, die Niederlage noch aufzuhalten. Durch die drei Niederlagenbedingungen kämpft man irgendwann an allen drei Fronten gleichzeitig, das kann dann schon schweißtreibend sein. Auch die Monster sind ein Glücksfaktor ersten Ranges. Die stärkeren Monster sind insbesondere bei vier Spieler/innen schwer zu knacken, weil man die benötigten Karten meist bei einer/m Spieler/in versammelt. Wenn der oder die dann beim Würfeln scheitert, dauert es halt vier Spielzüge, bis der oder die es erneut versuchen kann, und das ist unter Umständen dann schon zu spät. Es gibt also immer mal wieder Partien, die einem gehörig um die Ohren fliegen, und man hat dann fast das Gefühl, man wäre völlig machtlos.
Aufgefallen ist mir, dass das Einsammeln der süßen Träume, das ja das Spielziel ist, vielen Spieler/innen in meinem Umfeld erstmal intuitiv schwer zu vermitteln war. Immer gab es den Drang, zuerst mal ein paar Alpträume unschädlich zu machen. Aber das machen die eben zum Teil auch selbst, zwar auf Kosten von Alptraumpunkten, aber dafür eben auch, ohne dass man dafür Karten einsetzen muss. Die Balance zwischen dem Einsammeln von Alpträumen und süßen Träumen zu halten, ist ein sehr wichtiger Schlüssel zum Erfolg, aber selbst wenn man das gut im Griff zu haben meint, kann man das Spiel manchmal schnell verlieren.

Und? Macht das Spaß?

Alpträume…
… und süße Träume. Seht mal den Traum oben rechts an, da befreit ein mutiges Mädchen einen unschuldigen Prinzen aus den Klauen eines Monsters. Vorbildlich.

Was also hebt Dream Catchers aus den ja mittlerweile diversen kooperativen Spielen heraus? Zuallererst muss man auf alle Fälle die Illustrationen von Ping Ting Sim herausstellen. Die sind sowas von spektakulär, dass ich vor Staunen den Mund kaum zukriege. Sie sensationell zu nennen, ist wirklich noch untertrieben. Ob man den Stil nun mag oder nicht, man kann gar nicht umhin, sich in die Bilder hineinzuvertiefen. Nicht jedes erschließt sich leicht, wir hatten schon einige Diskussionen über die Intentionen. Aber sie sind in ihrer Art einmalig. Klar, einiges ist für einen europäischen Geschmack vielleicht auch gewöhnungsbedürftig (die Charakterkarten zum Beispiel sagen mir auch wenig), aber dass die Bilder mutig sind und eine ganz eigene Note haben, kann sicherlich niemand abstreiten. Die Rolle der Herzen (Karten mit Herzen sind im Spiel besonders knapp bemessen und fehlen an allen Ecken und Enden) sticht heraus, und das zeigt sich auch in den Illustrationen. Zeigt mir mal irgendjemanden sonst, der „Mädchen gibt Junge ein Herz“ so malen würde.

Wahre Liebe.

Es sind auch nicht nur die Bilder allein, sondern auch ihr Einsatz im Spiel. In der Traumsphäre huschen die Träume wild umher durcheinander und vermischen sich sozusagen miteinander. Ist das nicht in vielen Nächten wirklich so? Und es ist wiederum gut in die Spielmechanik eingebunden, denn auch wenn die Alpträume sehr schlecht auszurechnen sind, gibt es doch immer wieder Situationen, in denen man bestimmte Träume lieber einfängt als andere, um die Gefahr von sich zusammenrottenden Alpträumen zu minimieren.
Leider gibt es auch ein paar Dinge zu meckern. Die Schachtel ist zwar stabil und am Material ist auch nicht wirklich was auszusetzen, aber erstens passen die Regeln nicht so richtig in die Schachtel und zweitens enthält sie das vielleicht schlechteste Plastik-Insert, das ich bisher gesehen habe – man muss die Karten geradezu hinein- beziehungsweise herausprokeln, was doch etwas irritiert. Wenn man sie einmal draußen hat, stört das den Spielspaß aber nicht mehr, und wer will, kann das Insert ja auch wegschmeißen. Das Regelheft sieht auf den ersten Blick massiv aus, enthält aber nicht so sehr viel Text, man hangelt sich vor allem an den Bildern herum. Hier wäre eine bessere Organisation wünschenswert, denn wenn man mal etwas nachschlagen will, blättert man doch oft das ganze Heft nochmal durch. Einige Regeln sind auch etwas unklar formuliert oder aus Informationen auf verschiedenen Seiten zusammengesucht. Für dem Kickstarter-Launch, der für Januar geplant ist, soll wohl nochmal ein neues Regelheft kommen – und dann hat man mit Dream Catchers ein ungewöhnliches, forderndes Spiel in sensationeller Gestaltung vor sich, das eine nähere Beschäftigung allemal lohnt. Die Vorstellung, dass ein deutscher Verlag ein Spiel für Erwachsene machen würde, in dem es darum geht, ein kleines Kind vor Alpträumen zu schützen, ist wohl abenteuerlich. Darum sind es gerade Spiele wie Dream Catchers, für die es sich lohnt, mal über den Tellerrand zu blicken.

Gesamteindruck: 7/10

Dream Catchers
für 2 bis 4 Traumfänger/innen
von Gabriel Leow
Grandiose Illustrationen von Ping Ting Sim
Play Nation Studio, 2017