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Von der Unmöglichkeit, Spiele neutral zu bewerten

Ist es eigentlich anmaßend, wenn ich es mir als Spieleautor herausnehme, anderer Leute Spiele zu bewerten?

Nehmen wir mal die größte Webseite über (analoge) Spiele, Boardgamegeek.com. Dort gebe ich (mit wenigen Ausnahmen) zu allen Spielen, die ich so spiele, einen kurzen Kommentar und eine Bewertung zwischen einem und zehn Sternen ab. Diese Bewertung hilft dann zusammen mit einer manchmal mehr, manchmal weniger großen Anzahl anderer Bewertungen und einer Menge Dummy-Bewertungen, das Spiel in das derzeit rund 12500 Spiele umfassende Gesamtranking einzusortieren (weitere rund 70000 Spiele haben noch nicht die nötigen 30 Bewertungen, um in der Rangliste aufzutauchen).

Manche Autor/innen bewerten auch ihre eigenen Spiele. Ich tue das nicht, weil ich es irgendwie unfein finde, rege mich aber andererseits nicht sonderlich darüber auf, weil die eine oder andere Ausreißer-Stimme in der Gesamtwertung kaum einen Einfluss hat. Nervig ist allenfalls, wenn ein Spiel, das einen Monat alt ist, 30 Bewertungen von 30 neu angelegten Accounts hat, aber sowas fällt erstens total auf, und zweitens kaum ins Gewicht, weil der Ranglistenalgorithmus sowas einigermaßen einfängt. Meistens schreiben die Autor/innen in der Kommentarspalte auch dazu, dass sie nicht neutral sind. Also alles in Ordnung, obwohl ich es eben selbst nicht machen würde.

Aber mittlerweile kenne ich so viele Autor/innen und Verlagsleute, dass ich alle naselang Spiele von ihnen spiele. Mit einigen bin ich eng befreundet, für andere habe ich schon gearbeitet, viele andere mag ich aus allen möglichen Gründen. Kann ich nun deren Spiele neutral bewerten? Ich bilde mir das zwar ein, aber wer weiß das schon wirklich? Wenn ich ein Spiel mit einem anderen Autoren tausche, bewerte ich dann unwillkürlich sein Spiel besser, weil ich im Gegenteil ebenfalls eine schlechte Bewertung befürchte? Die ganzen unterschwelligen Einflüsse kann ich doch gar nicht mehr beurteilen. Und nun rezensiere ich in diesem Blog auch noch Spiele.

Ich schreibe zwar manchmal, wie ich an ein Spiel herangekommen bin, und ob es eine Verbindung zu dessen Macher/innen gibt. Aber angesichts der vielfältigen Verbindungen innerhalb der Spieleszene ist nicht mal das so einfach. Nehmen wir mal an, ich spiele ein Spiel eines deutschen Verlages, es gefällt mir nicht und ich bewerte es schlecht. Nun ist das gleiche Spiel aber zufällig auch bei einem ausländischen Verlag erschienen, von dem ich gelegentlich Regelübersetzungsaufträge bekomme. Sollte ich das erwähnen? Ist meine Bewertung davon beeinflusst, dass ich befürchte, in Zukunft keine Aufträge mehr von diesem Verlag zu bekommen? Es geht ja gar nicht um bewusste Beeinflussungen, sondern um unbewusste. Manchmal bekomme ich von einem Verlag ein Spiel in die Hand gedrückt. Das war früher schon so und daran hat sich nichts geändert, seit ich ein Spieleblog betreibe. Mehr geworden ist es auch nicht. Soll ich sowas erwähnen? Es ist so kompliziert…

Dazu kommt, dass natürlich viele Leute solche Hinweise auf Verbindungen sowieso nicht lesen. Ein Blogartikel? Bunte Bilder! Und guck mal, unten steht eine Gesamtbewertung! Da scrollen wir doch gleich mal hin und gucken, ob es mit unserer vorgefertigten Meinung überhaupt übereinstimmt.
Kürzlich hat ein Upgrade meines SEO-Programms (also eines Programms, das die Auffindbarkeit meines Blogs bei Google verbessern soll) eine neue Prüfebene eingeführt. Normalerweise soll so ein Programm kontrollieren, ob die Fotos im Artikel einen Namen haben, ob man einen zentralen Suchbegriff festgelegt hat und so weiter. Nun aber wurde auch mein Schreibstil von einem Algorighmus bewertet. Mit dicken roten Alarmlämpchen wurde ich darauf hingewiesen, dass meine Sätze zu lang seien, meine Absätze sowieso, und überhaupt würde das so doch keine/r lesen wollen. Das mag zwar der Fall sein, aber liebe Leute, ich bin doch hier kein kommerzieller Dienstleister. Ich schreibe über Dinge, über die ich schreiben möchte, und das lesen Leute, die das lesen möchten. Dass Hollywood noch nicht wegen der Verfilmung meines Blogs angerufen hat, kann ich verschmerzen. Und ein paar Updates später hat das SEO-Programm auch kleinlaut die Option zur Verfügung gestellt, die neue Funktion auszustellen (gab wohl viele Proteste). Jetzt ist wieder Ruhe, und ich kann mich der Illusion hingeben, dass meine Artikel trotz meiner von voll wichtigen Computern festgestellten Schreibunfähigkeit gelesen werden.

Wer also nur bis zum Ende scrollt, meine Gesamtbewertung anguckt und sich dann blind ein Spiel kauft, ist selber Schuld, würde ich sagen. Ein bisschen genauer sollte man schon hinschauen. Dann gebe ich mir auch Mühe, eventuelle Verstrickungen in den Sumpf der Spieleindustrie offenzulegen.

Was mir leichter fällt, ist, mich aus bestimmten Problemen einfach herauszuhalten. Die riesige Welle an Crowdfunding-Projekten im Spielebereich hat dazu geführt, das positive Vorabbesprechungen („Previews“ anstelle von „Reviews“, also Vorschauen anstelle von Rezensionen) von mehr oder weniger bekannten Rezensent/innen Gold wert sind. Da sie stärker als andere Rezensionen untrer Termindruck entstehen, handelt es sich dabei in der Regel um bezahlte Besprechungen. Ein in der Szene beliebter Rezensent, Lance Myxter alias Undead Viking, hat sich auf diese Weise gerade seinen Ruf ruiniert. Nun ja, in die Verlegenheit bin ich bisher zum Glück noch nicht gekommen. Dass ich über Fit the Word geschrieben hatte, war blanker Zufall, der Autor hatte das Spiel auf den Tisch gelegt und es hatte mich interessiert – und am Ende war es mir eine klare Empfehlung wert gewesen. Sein Finanzierungsziel hat es übrigens leider trotzdem nicht erreicht. Fast wünsche ich mir, öfter völlig undeklarierte Spiele wie Doppelt und Dreifach in die Hand zu bekommen, da kann ich auch unbewusst auf niemanden Rücksicht zu nehmen.

In diesem Blog mache ich es mir ansonsten dadurch ein bisschen einfach, dass ich in aller Regel über Spiele schreibe, die mir gefallen. Wenn mir (und meinem Umfeld) ein Spiel gefällt, dann habe ich hoffentlich oft genug die Gelegenheit, das Spiel zu spielen, um mir eine Rezension zuzutrauen. Finde ich ein Spiel bei der ersten Partie schon blöd, ist der Antrieb dazu natürlich erheblich kleiner. Wenn ich also selten über in meinen Augen schlechte Spiele schreibe, liegt das daran, dass ich schlechte Spiele einfach schlechter beurteilen kann, weniger daran, dass ich niemandem auf den Schlips treten möchte.

Wie man es nun auf gar keinen Fall machen sollte, zeigte sich übrigens nach der Kür zum Spiel des Jahres vor 14 Tagen. Auf diese Geschichte wurde ich durch die geschätzte Brettspielpoetin aufmerksam, als sie auf Facebook zu einem Artikel des BILDblogs verlinkte. Kurz zusamengefasst: Christina Valentiner-Branth hat in der Sendung Kakadu vom Deutschlandradio Kultur die Entscheidung der Jury kommentiert, Codenames zum Spiel des Jahres zu küren. Sie war sehr enttäuscht, denn es sei doch kein Familienspiel und es sei doch doof, dass ein Spiel ab 14 Jahren nicht für Familien mit jüngeren Kindern geeignet sei. Eine viel bessere Wahl wäre doch Karuba gewesen, so ein richtig schönes Familienspiel. Ganz subtil hat sie den Artikel dann auch noch „Familienspiel des Jahres“ genannt. Zwei Dinge hat sie dabei leider unterschlagen, nämlich die einführenden Worte des Jury-Vorsitzenden Tom Felber, der schon klarstellte, dass ein gutes Gesellschaftsspiel nicht das Gleiche sein müsse wie ein gutes Familienspiel (als er das sagte, hörte ich die Nachtigall schon trapsen), und zweitens auch, dass der zuständige Redakteur von Karuba, Jürgen Valentiner-Branth, ihr Ehemann ist. Ups. Wäre es nicht schön gewesen, sie hätte auf diesen Umstand kurz hingewiesen? Ich hätte mit einer enhusiastischen Empfehlung für Karuba dann gar keine großen Probleme gehabt, aber letztlich fand ich es doch schofelig, stattdessen auf Codenames und auf der Jury herumzuhacken.

Eine perfekte Haltung dazu gibt es wohl nicht, es wird immer ein Tanz auf der Rasierklinge bleiben. Ich werde nicht behaupten, dass ich völlig unbeeinflusst von meiner Umgebung bin, das ist niemand. Ich kann nur mein Bestes geben, keinen totalen Nepp zu betreiben. Den Rest muss ich Eurer Urteilsfähigkeit überlassen. Bitte enttäuscht mich da nicht.

Mein erstes Mal bei Kickstarter

Als ich neulich in den Niederlanden war, hatte ich die Gelegenheit, einen neuen Prototypen von Corné van Moorsel auszuprobieren. Das ist einer dieser Autoren, deren Spiele ich immer mal wieder raushole – Typo im Sprachunterricht, Ahoy und Ab in die Tonne auch zu Hause (und für Powerboats oder Champions 2020 hätte ich gern mehr Gelegenheiten). Und so richtig schlechte Spiele hatte ich von ihm noch gar nicht in der Hand. Also war ich auch auf Fit the Word neugierig.

Fit the Word

Fit the Word besteht vor allem aus zwei Sätzen von Karten. Der eine enthält Wörter, der andere Sätze mit Lücken. Dazu gibt es noch eine Laufstrecke, die als Siegpunktleist fungiert, und Marker, mit denen man auf dieser Leiste voranschreitet sowie einen Satz Wertungsbögen (im Prototypen; im produzierten Spiel werden das wohl auswischbare Tafeln sein).

Zu Beginn bekommt man zehn Wortkarten und eine Satzkarte. Nun sucht man sich eins seiner Wörter heraus, von dem man findet, das es die Lücke im Satz besonders gut füllt. Verdeckt legt man den Satz an die eine Seite der Laufstrecke, das Wort auf die andere Seite. Wenn das alle gemacht haben, wird jeder der beiden so entstandenen Stapel gemischt und die Karten jeweils untereinander ausgelegt (an der Seite der Laufstrecke gibt es dafür spezielle Markierungen). Dann nimmt sich jede/r einen Wertungsbogen und einen Stift und tippt, was wohl ursprünglich mal zusammengehört haben mag. Für jede richtige Vermutung läuft man einen Schritt voran, ebenso für jede/n, der oder die die eigene Kombination richtig erkannt hatte.
Das ganze spielt man bis zum Ende der Runde, in der jemand die Ziellinie überschritten hat. Dann gewinnt, wer am weitesten vorn steht.
So weit, so einfach. Eine Besonderheit ist, dass man zwar in jeder Runde eine neue Satzkarte zieht, aber keine neue Wortkarte. Dadurch wird die Auswahl, die man hat, immer kleiner und die Zuordnung entsprechend auch immer schwieriger. Erst wenn man nur noch eine Wortkarte übrig hat, darf man ein paar nachziehen (das passiert ja bei allen gleichzeitig).

Fit the Word kommt zunächst mal ähnlich daher wie zum Beispiel Äpfel zu Äpfeln. Allerdings ist für mich das Spielgefühl doch völlig anders. Es geht nicht unbedingt darum, eine bestimmte Person einzuschätzen, wie bei so vielen Partypielen, sondern eine Auswahl richtig zuordnen. Dabei sind die Sätze übrigens überwiegend nicht auf Humor getrimmt, sondern eher bodenständig. Der Witz entsteht aus der Zuordnung der Wörter, insbesodnere aus den Zufallstreffern. Wenn ich also einen Satz wie „Als Kind liebte ich ___“ mit „Luftballon“ kombiniere, dann klingt das ganz vielversprechend – es sei denn, jemand anders hat in der gleichen Runde „___ kann sehr laut sein“ ausgelegt. Dann kommen die anderen ziemlich ins Grübeln und falsche Zuordnungen sind häufig. Ein bisschen schade ist es manchmal, dass man die Wörter, die man nicht ausgewählt hat, nicht bekanntgeben darf, denn so bleibt man mit manchen Lachern allein.

Der Titel Fit the Word (der mich im Übrigen nicht vom Hocker reißt) suggeriert ein Wortspiel, aber das ist es nicht im engeren Sinne, und auch die Diskussionen bleiben für gewöhnlich kurz. Das meiste findet einfach im Kopf statt, und es führt zu genügend Lachern. Das Ganze spielt sich flott und hat einen guten Wiederspielreiz (habe mir mittlerweile die Print-and-Play-Version gebastelt und erneut gespielt).

Vor einigen Tagen ist Fit the Word als Kickstarter-Kampagne gestartet, und ich habe zum ersten Mal ein Spiel dort unterstützt. Ob es das richtige Spiel für solch eine Finanzierungsform ist, wird man sehen (bei Kickstarter sind wahrscheinlich mehr Vielspieler/innen unterwegs, und Fit the Word ist wunderbar für Gelegenheitsspieler/innen geeignet). Ich hoffe, jedenfalls, dass es klappt, denn solch ein Spiel kann ich auch sehr gut für den Sprachunterricht gebrauchen (die Hauptversion wird auf Englisch sein, aber es soll dann auch Karten zum Download in anderen Sprachen geben).

Gesamteindruck: 7/10

Fit the Word
für 3 bis 6 Leute (mit einer kooperativen Zweiervariante)
von Corné van Moorsel
Illustrationen: Steven Tu
Erscheint hoffentlich bei Cwali, 2016