Ich hatte mich hier ja neulich recht angetan von Loup Garou gezeigt, einem Abenteuerbuch im Graphic-Novel-Format. In der Reihe, in der das erschienen ist, gibt es eine ganze Menge solcher Bücher, von verschiedenen Autor*innen und mit verschiedenen Themen. Nach der positiven Erfahrung habe ich mich dann mal an eine deutsche Ausgabe eines solchen Buches gewagt, nämlich an Gefangen!, das mir allenthalben sehr empfohlen worden war. Ob ich die Begeisterung teilen konnte, erfahrt Ihr sogleich.
Worum geht‘s?
Die Tochter eines Polizisten wird entführt. Also macht er sich mit Lösegeld und einer Pistole auf den Weg in einen alten Landsitz, um sie zu befreien. Er läuft durch das ganze Anwesen, sammelt Gegenstände ein und schießt um sich – und wird unter Umständen von einer der zahlreichen Gefahren dahingerafft, die unterwegs lauern.
Vorn im Buch ist ein simpler Charakterbogen, auf dem man seine Gesundheit und die verstrichene Zeit einträgt. Jedes Mal, wenn man ein Panel betritt, auf dem eine Sanduhr abgebildet ist, muss man eine Zeiteinheit abstreichen. Verrinnt die Zeit, bevor man seine Tochter befreit hat, hat man verloren und muss von vorn anfangen. Ebenso ist es, wenn man alle seine Gesundheitspunkte eingebüsst hat.
Und? Macht das Spaß?
Die Formel für schlechte Fantasy-Rollenspielabenteuer aus den Achtzigern lautete ungefähr so:
(Tür 1 auf + Monster plätten + Schätze mitnehmen + Tür 1 zu) + (Tür 2 auf + Monster plätten + Schätze mitnehmen + Tür 2 zu) + … + (Tür n auf + Monster plätten + Schätze mitnehmen + Tür n zu) + (Endgegner besiegen + richtig großen Schatz mitnehmen).
Und das scheint auch die Inspiration für „Gefangen!“ gewesen zu sein. Den größten Teil des Spielbuches verbringt man damit, eine gefühlt unendlich große Zahl von Räumen zu durchqueren, den einen oder anderen potentiell nützlichen Gegenstand mitzunehmen und sich den Weg zum Endgegner freizuschießen. Dieser wartet in aller Seelenruhe darauf, dass man damit fertig ist. Dass auf dem ganzen Gelände ständig Schüsse knallen, ändert am Verlauf der Handlung einfach gar nichts. Es gibt einen gewissen Einfluss der verstrichenen Zeit auf den Erfolg der Aktionen (wenn man früher kommt, hat man das Überraschungsmoment eher auf seiner Seite), aber das wirkt bei dem permanenten Kugelhagel kaum nachvollziehbar. Das Erkunden des Geländes verliert dadurch auch bald an Reiz, zumal man es in der Regel mehrfach durchleben dürfte. Man darf nämlich jeweils nur drei Gegenstände mit sich führen, und diese Grenze hat man schnell erreicht. Dann spielt man eben so lange weiter, bis man herausgefunden hat, ob und wann man diese Sachen brauchen kann, stirbt dabei und fängt von Neuem an – man hat nämlich außer der Erfahrung aus früheren Durchgängen kaum mal einen Hinweis darauf, was man wofür brauchen könnte. Man nimmt also nicht das mit, was einem besonders sinnvoll erscheint, sondern das, was das Buch einem anbietet (zum Teil muss man Dinge auch einstecken). Das ist in meinen Augen furchtbar langweilig, da man sich eben vor allem durch leere Räume bewegt.
Die Monotonie wird durch zwei Aspekte noch verschärft. Erstens läuft man zu Beginn ständig hin und her, weil es schwierig ist, sich in den Räumen zu orientieren. Die Hauptfigur, also das Ich, ist nämlich mit in die Bilder eingezeichnet. Also kommt man in einen Raum und geht vorwärts durch eine Tür, um festzustellen, dass man den Raum auf dem gleichen Weg wieder verlassen hat. Einen Raum kann ich ja von verschiedenen Seiten betreten, aber mit wenigen Ausnahmen wird halt jeweils das gleiche Panel verwendet, und da steht das Ich eben manchmal mit dem Gesicht zur Tür, durch die es den Raum gerade betreten hat. Nach drei oder vier Partien, bei denen ich das Gefühl hatte, dass ich nur umhergeirrt bin, habe ich mir dann einen groben Lageplan des Anwesens gezeichnet, um nicht ständig im Kreis zu laufen. Außerdem habe ich mir erlaubt, wichtige Gegenstände in einem Raum abzulegen, in dem ich einen anderen Gegenstand aufnehmen wollte, und mir eine Notiz zu machen, wo ich die abgelegten Sachen später wiederfinden konnte. Ob das so vorgesehen war, weiß ich nicht.
Der zweite Aspekt ist die immer gleiche Positur der Hauptfigur. Leicht breitbeinig stehend, Pistole am ausgestreckten Arm zu Boden zeigend, teilnahmslos-grimmiger Gesichtsausdruck. Ich konnte mich mit dieser arg eindimensionalen Figur zu keinem Zeitpunkt identifizieren. Ein paar Beispiele gefällig?
Aus diesen ganzen Problemen wird eine zähflüssige Masse, bei der man wenig Einfluss auf das Endergebnis zu haben scheint. Dass man bei den verschiedenen Anläufen bestimmte Informationen liest, hat man dann eben übergreifend im Kopf. Teilweise konnte ich gar nicht mehr sagen, ob ich eine bestimmte Information schon hätte haben dürfen oder ob sie aus einem früheren Versuch stammte. War mir dann aber auch egal. Um die in meinen Augen arg dünne Hintergrundgeschichte wirklich interessant zu finden, muss man sich mit dem Genre „Horror um des Horrors willen“ schon sehr anfreunden. Meins ist das eher nicht, da brauche ich zumindest eine bessere Verpackung. Und so hat die Punkteskala im hinteren Einband, die man nach bestandenem Abenteuer konsultieren kann, für mich auch nicht funktioniert. Ich hatte schlicht keine Ahnung mehr, was ich im letztlich erfolgreichen Durchgang genau getan und eingesammelt hatte und was aus früheren Anläufen stammte. Da hätte ich wohl auch noch Tagebuch führen müssen.
Mit all diesen Mängeln fällt Gefangen meilenweit hinter Loup Garou zurück, wo man klar das Gefühl hatte, durch seine Entscheidungen aktiv an der Entwicklung der Geschichte beteiligt zu sein (auch wenn die grobe Handlung natürlich determiniert war, das lässt sich in so einem Buch ja nicht verhindern). Gefangen! ist dagegen ein Solitärspiel, in dem man eine Figur spielt, die ein Solitärspiel spielt.
Wer meine Rezension zu Loup Garou gelesen hat, fragt sich jetzt vielleicht, wie es mit Frauenrollen in Gefangen! steht – die gibt es, allerdings ausschließlich in der Opferrolle. Sie sind nicht ganz so stark sexualisiert wie in Loup Garou, sitzen aber nur herum und warten auf Rettung. Interessante Figuren stellen sie nicht dar (immerhin tun das auch die männlichen Rollen nicht). Zielgruppe des Buchs sind wohl Jungs, die gern mal ne Pistole in der Hand hätten, um Frauen zu beeindrucken.
Gibt‘s auch was zu loben? Na gut, ein bisschen. Erstmal fällt die Produktionsqualität meiner deutschen Pegasus-Ausgabe im Vergleich zur englischen Van-Ryder-Ausgabe von Loup Garou angenehm auf. Auch nach diversen Durchläufen sieht es aus wie neu. Da bin ich dann auch gewillt, über die schaurige Verunstaltung des Covers durch die zusätzliche Aufschrift „Spiele-Comic -Noir-“ hinwegzusehen. Zweitens fand ich es ganz cool, dass die Nummern, die auf das nächste Panel hinweisen, zum Teil gut im Raum versteckt waren. Einige Sachen habe ich erst im dritten Anlauf entdeckt, andere Dinge gar nicht. Da läge also eigentlich einiges an Potential für das mehrfache Durchspielen drin, wenn die Geschichte nicht insgesamt so sterbenslangweilig aufgezogen wäre.
Zusammengefasst: Ich bin sehr froh, dass Gefangen nicht das erste Graphic-Novel-Spielbuch ist, das ich in die Finger bekommen habe, sonst hätte ich mich von dem Genre genauso frustriert abgewandt wie von anderen Spielbüchern. So aber bin ich einigermaßen gespannt auf die drei, die ich noch in der Warteschlange habe. Vom Konzept solcher Spielbücher bin ich jedenfalls nach wie vor überzeugt.
Spiele-Comic Noir: Gefangen!
für 1 Spieler*in
von Manuro
Gezeichnet von MC
Pegasus Press, 2018 (französisches Original bei Makaka Éditions, 2016)