Sherlock: Morde auf dem Wohnzimmertisch

Durch Zufall bin ich an vier Fälle aus der Sherlock-Reihe von Martí Lucas Feliu und Josep Izquierdo Sánchez geraten, die auf Deutsch bei Abacus erschienen sind. Das erscheint mir ausreichend, um mal was über die Reihe zu schreiben. Da man die einzelnen Fälle jeweils nur einmal spielen kann, entfällt das Ausprobieren mit verschiedener Spieler*innenanzahl und verschiedenen Leuten, was für eine Rezension ungewöhnlich ist, aber das liegt nun mal in der Natur der Sache. Ich schreibe also über die Reihe aus der Perspektive von jemandem, der vier Fälle zu zweit gespielt hat (eine Liste findet Ihr unten).

Sherlock

Worum geht’s?

Die Sherlock-Spiele sind einmalig spielbare Kriminalfälle, die man kooperativ zu lösen versucht. Neben einem kurzen Einleitungstext, der beschreibt, wer wo tot gefunden wurde (oder Ähnliches), bestehen sie jeweils aus einem Kartensatz aus 32 Karten, die jeweils eine bis mehrere Informationen enthalten. Von denen man zu Beginn je 3 auf die Hand bekommt. Auf den meisten Karten ist ein Text drauf, bei dem wenige Worte unterstrichen sind, auf anderen sind Bilder. Von den Karten, die man in der Hand hält, darf man nur die unterstrichenen Wörter vorlesen, bei Bildern den Namen sagen (zum Beispiel „das Wohnzimmer“ oder sowas). In einem Spielzug kann man entweder eine Karte ausspielen, dann können alle die kompletten Informationen lesen beziehungsweise das Bild ansehen. Oder aber man legt die Karte verdeckt ab. In diesem Fall darf man über die enthaltenen Informationen bis zum Ende des Spiels nicht mehr sprechen, sollte sie sich aber möglichst gut merken. Am Ende zieht man eine Karte nach.
Zwischendurch stellt man gemeinsam eine Theorie darüber auf, was passiert sein könnte, die sich natürlich mit zusätzlich aufgedeckten Informationen weiter verfeinert. Wenn alle Karten ausgelegt oder abgeworfen sind, bespricht man den Fall noch mal komplett und darf nun auch das erzählen, was man sich von den abgeworfenen Karten gemerkt hat. Dann öffnet man einen zugeklebten Teil der Anleitung und beantwortet 10 Multiple-Choice-Fragen. Für jede gibt es zwei Punkte. Leider muss man von dieser Summe noch Punkte abziehen, nämlich für jede ausgelegte Karte, die nichts mit der Lösung zu tun hatte. Wie gut man war, kann man dann an einer Skala ablesen. Um viele Punkte zu kriegen, ist es also ratsam, eher zu viele Karten verdeckt abzuwerfen als zu wenige. Allerdings kann dann während der Besprechung im Laufe des Spiels auch Entscheidendes fehlen. Letztlich geht es also darum, zu entscheiden, welche Informationen für den Fall wirklich wichtig sind. Am Anfang ist das noch ein bisschen ein Schuss ins Blaue, später liegen die Dinge klarer.

Sherlock

Und? Macht das Spaß?

Nun ja, das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Zum Einen von der Erfahrung, die man mit der Reihe schon hat. Wer schon einen oder zwei Fälle kennt, wird wesentlich mutiger beim Abwerfen, denn man kann sich doch eine ganze Menge Dinge merken, wenn man muss. Und ohne sehr großzügiges Abwerfen kommt man eben nicht in die oberen Punkteränge. Außerdem gibt es eigentlich in jedem Fall zumindest eine falsche Spur oder eine*n falsche*n Verdächtige*n, die mehr oder weniger detailliert ausgestaltet sind (und manchmal aus mehr Karten besteht als der Kern der Lösung), und wenn man etwas Erfahrung hat, bekommt man ein gewisses Gespür dafür, was wichtig sein könnte. Ein zweiter Faktor ist allerdings das Glück. In einem unserer Fälle bestand der zentrale Teil der Auflösung aus drei Karten, von denen zwei unter den letzten vier Karten des Stapels lagen. Wir konnten dann zwar alle Fragen beantworten, waren bis dahin aber ziemlich im Dunklen getappt und hatten einiges ausgelegt, was uns am Ende die Punktezahl vermiest hat. Hätten wir die entsprechenden Karten frühzeitig bekommen, wäre der Fall völlig anders verlaufen. Davon sollte man sich aber nicht den Spaß verderben lassen; die Punkte am Ende sind nicht alles. Es geht doch eher um eine gute Geschichte. Wir haben die Höchstzahl von 18 oder mehr (alle Fragen richtig beantwortet und maximal zwei falsche Spuren ausgelegt) meist eher deutlich verfehlt – nur einmal sind uns 17 Punkte gelungen. Ich vermute, dass es mit mehr Spieler*innen etwas leichter sein könnte, weil da von Anfang an mehr Karten im Umlauf sind.

„Verbleib unbekannt“ ist ein Promo-Spiel, das ohne Schachtel im Umlauf ist.
Eine Karte liegt zu Beginn des Spiels immer schon offen aus, wie zum Beispiel diese bei „Verbleib unbekannt“.

Und die Geschichten haben uns im Wesentlichen gefallen. Sie waren nicht nur interessant, sondern auch recht verschieden, sodass man auch gut zwei Fälle hintereinander spielen kann, ohne sich zu langweilen, und das gemeinsame Diskutieren und Spekulieren mit jeweils verschiedenem Wissen über den Fall ist schon sehr interessant.


Eine große Ausnahme zu diesem generellen Lob stellt allerdings der Fall „Tod am 4. Juli“ dar, der bei uns komplett durchgefallen ist. Abgesehen von den kratertiefen Löchern im Plot basierte die Lösung im Wesentlichen darauf, dass man seine Vermutungen auf Klischees basiert. Wie sowas ein Lektorat überstanden hat, ist mir ein totales Rätsel, ich empfehle, da einen weiten Bogen drum zu machen. Ich war jedenfalls sehr froh, dass das nicht der erste Fall war, den wir gespielt haben, sonst hätten wir uns wahrscheinlich keinen weiteren angetan. Unser Anspieltipp ist „Verbleib unbekannt“, das Abacus ja auch als schachtelloses (Gratis?-)Exemplar unters Volk gebracht hat, was auch eine gute Wahl ist. Danach kann man dann zu „Der Fluch des Qhaqya“ greifen, und „Letzter Aufruf“ ist auch in Ordnung. Drei weitere Fälle sind bereits erschienen, die würde ich auch jederzeit mitspielen.

Sherlock: Verbleib unbekannt
Sherlock: Der Fluch des Qhaqya
Sherlock: Letzter Aufruf
Sherlock: Tod am 4. Juli

für zwei bis sechs Ermittler*innen
von Martí Lucas Feliu und Josep Izquierdo Sánchez
Illustriert von Alba Aragón
Abacusspiele, 2018/2019

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