Kaum Hoffnung für die Eisbärbabys

Meine letzten Besuche in Zoos sind einige Jahre her, aber ich erinnere mich sehr gut an eine Fahrt in den Zoo in Hannover, bei dem mir vor allem ein Eisbär in Erinnerung geblieben ist. Man kann da in einen Raum gehen, der teilweise unter der Wasseroberfläche liegt und den Eisbären beim Schwimmen zusehen. Dieser eine Eisbär kam gelegentlich an die Scheibe, und seine enorme Pranke hat einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Das hat mein Bild von Eisbären seither ziemlich dominiert. In der Öffentlichkeit scheinen dagegen zwei andere Blickwinkel vorzuherrschen: der vom süßen Eisbärbaby und der von der durch abschmelzende Polkappen bedrohten Tierart. Von Pranken ist in Rescue Polar Bears – Data & Temperature denn auch wenig zu sehen, stattdessen tun sich die Spieler/innen zusammen, um den Fortbestand der süßen Eisbären in einer schmelzenden Umgebung zu sichern.
Eine erste Version des Spiels namens Rescue Polar Bears erschien 2016 im chinesischen Verlag Boxed Lightning Games. 2017 wurde das Spiel bei TwoPlus in Taiwan überarbeitet und unter anderem in Essen verkauft. Im Frühjahr gab es dann noch eine Kickstarter-Kampagne bei Mayday Games in den USA, die das Spiel ungefähr jetzt ausliefern dürften. In Deutschland ist es beim Nicegameshop erhältlich.

Worum geht’s?

Auf einem Spielbrett baut man eine arktische Landschaft auf, die aus Eisschollen und Wasser besteht. Auf den Schollen stehen zu Beginn niedliche Eisbärfiguren, und zwar Männchen, Weibchen und Junge. Jede*r Spieler*in kommandiert ein Schiff, wobei jedes Schiff besondere Spezialeigenschaften hat. Wer dran ist, kann mit dem Schiff fahren, Eisbären von bedrohten Eisschollen einladen oder an der Basis wieder ausladen. Vor allem aber geht es darum, Datenmarker einzusammeln (diese gesammelten Daten sollen dann die Regierungen von der Notwendigkeit eines gemeinsamen Handelns überzeugen).
Nach jedem Spielzug vermehren sich irgendwo Eisbären, oder Junge wachsen heran. Wenn es Nachwuchs gibt, wird es auf der Scholle zu eng, und die überzähligen Eisbären müssen auf eine Nachbarscholle fliehen. Ist auch dort kein Platz, drohen sie zu verenden und müssen per Hubschrauber gerettet werden. Die Hubschraubermarker sind allerdings begrenzt, und wenn die Gruppe keinen Marker mehr übrig hat und einen braucht, ist das Spiel verloren. Gewonnen hat man, wenn man alle 20 Datenmarker eingesammelt hat, die einer nach dem anderen auf dem Spielfeld auftauchen.
Ebenso steigt nach jedem Spielzug die Temperatur. Schmilzt dabei eine Eisscholle, sinkt die Temperatur wieder ein bisschen, aber die Gesamtrichtung geht eben immer weiter aufwärts. Wird es dauerhaft zu warm, geht das Spiel ebenfalls verloren.
Nebenbei gibt es noch Karten mit Spezialfähigkeiten, die man einsammeln kann, und nach jeweils drei eingesammelten Datenmarkern kann man ein Schiff ausbauen lassen (größere Ladekapazität, höhere Geschwindigkeit, etc.).

Nach dem Einsammeln von jeweils drei Datenmarkern bekommt man ein Schiffs-Upgrade.

Und? Macht das Spaß?

Zuerst mal muss man sich durch den Aufbau durchquälen. Aufgrund der Materialfülle dauert das ziemlich lange und ich taste mich auch nach diversen Partien noch an der Anleitung entlang, um nichts zu vergessen. Auch die ersten Züge sollte man Schritt für Schritt abhandeln, aber ich finde, dass man die Zugabfolge nach ziemlich kurzer Zeit intus hat und es dann eigentlich kein kompliziertes Spiel mehr ist.

Eine sehr kompakte Startaufstellung ist nicht unbedingt von Vorteil – die Bären haben zwar einiges an Ausweichmöglichkeiten, aber für das rote Schiff ist Scholle 20 auch beispielsweise sehr schlecht erreichbar. Da hofft man, dass bald der eine oder andere Kanal freischmilzt.

Die Spielmechanismen erinnern in mancher Weise an Pandemie. Man sucht ein Heilmittel (hier: Datenmarker), während sich etwas vermehrt (hier: süße Eisbären statt fieser Krankheiten) und gelegentlich überschwappt (Eisbären flüchten auf Nachbar-Eisschollen, anstatt Krankheitswürfel in Nachbarstädte). Neu ist, dass die Spielfläche sich verkleinert, was ein zusätzliches Druckelement darstellt. Außerdem endet das Spiel für mich mit einem anderen Erlebnis. Während man bei Pandemie das Gefühl hat, die Menschheit gerettet zu haben, hat man bei Rescue Polar Bears lediglich ein paar Daten gesammelt, aber zurück bleibt in jedem Fall ein kümmerliches Eisfeld, dessen Ende abzusehen ist, auch wenn man gewinnt. Gewinnen ist übrigens umso einfacher, je weniger Leute mitspielen (auch das ist ja bei Pandemie ähnlich), weil man zwar mehr verschiedene Sonderfertigkeiten zu Verfügung hat, aber jede/r eben auch seltener dran ist. Wenn ich in einer Viererpartie neben einem Krisenherd stehe, den ich wunderbar beheben könnte, dann sind unter Umständen schon an drei anderen Stellen Katastrophen passiert, bis ich überhaupt am Zug bin. Und schließlich spielt auch der Zufall eine gewisse Rolle. Wenn die Datenmarker meist im Meer landen, sind sie erheblich schneller einzusammeln, insbesondere, wenn das Eis nicht eine massive Fläche bildet. In seltenen Fällen kann es nämlich passieren, dass ein Datenmarker auf einem Feld liegt, das komplett von anderen Eisfeldern eingeschlossen ist. Dann bleibt einem nichts anderes übrig, als die Aktion Eisbrechen einzusetzen, um sich überhaupt Zugang zu verschaffen. Das ist aufwendig und verringert den knappen Lebensraum für die Eisbären zusätzlich.

Für dieses charmante Eisbärpärchen ist die Lage kritisch – ihre Scholle schmilzt sehr bald weg und dann müssen sie auf Nachbarschollen ausweichen – wo aber auch kaum Platz ist (es passen nur drei Bären auf eine Scholle). Aber das rote Rettungsschiff biegt schon um die Ecke.

Schließlich gilt auch für Rescue Polar Bear das, was für so viele kooperative Spiele gilt: Alphaspieler*innen können die Initiative an sich reißen, das ist dann weniger ideal. Da hängt es dann eben von der Gruppe ab, wie sie damit umgeht. Wer Spiele wie Pandemie mag, aber des ewigen Siechtums in all seinen Neuauflagen, Erweiterungen und Variationen überdrüssig ist und stattdessen mal ein richtig frisches Thema sucht, ist bei Rescue Polar Bears völlig richtig. Das Spiel sieht schick aus, spielt sich nach einer kleinen Aufwärmphase (schluck!) sehr flüssig und bietet genügend Variation, um mehr als nur wenige Partien lang zu unterhalten.
Die Eisbärenfiguren übrigens finde ich nicht nur süß, sondern sie überzeugen auch durch ihr ungewöhnliches keramikartiges Material. Mit irgendwelchen Papp- oder Plastikbärchen würde das Ganze nicht halb so viel Spaß machen. Auch meine Tochter kriege ich dadurch natürlich sofort zum Mitspielen. Jedenfalls gehört Rescue Polar Bears zu den relativ wenigen Spielen mit viel Material in großen Schachteln, die ich immer mal wieder gern spiele und daher auch gern in der Sammlung behalte.

Rescue Polar Bears – Data & Temperature
für 1 bis 4 Personen
von Huang Yiming und Jog Kong
Illustrationen von Lauren Hsiu und Collin Wang
TwoPlus Games, 2017

Disclaimer: Ich habe die deutsche Übersetzung für TwoPlus Games erstellt.

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