Nun stellt Euch mal folgendes vor: Da verschwindet so ein alternder Piratenkönig und hinterlässt zwölf gleichwertige Schätze. Zwei, drei oder vier Leute machen sich auf, um die einzusacken. Nun kann man zwölf doch wunderbar durch zwei, drei oder vier teilen – warum nimmt sich nicht jede/r den gleichen Anteil und gut is? Warum das nicht so einfach ist, erfahren wir in Los Tesoros del Rey Pirata.
Victor Hugo Cisternas und Pablo Céspedes, die Autoren dieses chilenischen Spiels, hatten mir netterweise ein Exemplar geschickt, und ich war ziemlich neugierig, denn ein Spiel aus Chile hatte ich meines Wissens noch nie in den Händen gehabt. Zum Glück ergab sich bald die Gelegenheit, es auszuprobieren.
Los Tesoros del Rey Pirata kann man als „Die Schätze des Piratenkönigs“ übersetzen. Der alte Piratenkönig ist verschwunden und die Spieler/innen wollen möglichst viele seiner verbuddelten Schätze einsammeln. Man hat ein Schiff auf dem Spielbrett und außerdem ein paar Karten in der Hand. Auf den Karten ist einerseits eine Grundfunktion, andererseits auch eine Würfelzahl zu sehen. Wenn man dran ist, zieht man zunächst mal eine Karte. Anschließend muss man eine Aktion durchführen, dann sein Schiff bewegen und schließlich noch eine weitere Aktion ausführen. Aktionen können sein:
– noch eine Karte ziehen
– jemanden zum Duell fordern
– jemanden beschießen
– jemanden sabotieren
– bei jemandem eine Meuterei auslösen
– einen Schatz heben
– eine Ausrüstungskarte ausspielen.
Sabotage und Meutereien kann man gegen beliebige andere Spieler/innen spielen, zum Beschießen oder gar Duellieren muss man sich dagegen auf einem Nachbarfeld beziehungsweise dem gleichen Feld befinden wie das Opfer. Grundsätzlich gilt: Um anzugreifen, spielt man eine entsprechende Karte aus. Um den Angriff abzuwehren, kann das Opfer dann ebenfalls eine Karte spielen, deren Zahlenwert aber höher sein muss als die Angriffskarte. Um Meuterei und Sabotage abzuwehren, muss man außerdem spezielle Abwehrkarten auf der Hand haben.
Der Clou bei diesen Angriffs- und Abwehrversuchen ist, dass man entweder eine Karte aus der Hand spielen kann (dann kennt man ihren Wert) oder eine vom Nachziehstapel aufdecken kann, wenn einem der Wert der Handkarte nicht passt. Dann muss man eben nehmen, was kommt.
Schätze hebt man, indem man zu einer Insel fährt, wo ein Schatz liegt, und eine Karte in der Farbe des Schatzes ausspielt. Und schließlich gibt es noch die Ausrüstungskarten, von denen man eine vor sich hinlegen kann, um ihren Effekt permanent zu nutzen, oder bis man sie für eine gezielte Aktion abwirft oder sie durch Sabotage zerstört wird.
Die Bewegung läuft ähnlich wie die Angriffe – man spielt entweder eine beliebige Karte aus der Hand oder zieht eine vom Stapel. Die Würfelzahl gibt an, wie viele Felder man maximal ziehen darf. Nur Stehenbleiben ist nicht erlaubt.
Die zwölf Schätze gibt es in vier Farben. Ein einzelner Schatz ist am Ende einen Punkt wert, für zwei Schätze gibt es drei und für alle drei Schätze einer Farbe gar sechs Punkte. Das Spiel endet, wenn entweder alle Schätze eingesammelt sind oder der Nachziehstapel fünfmal runtergespielt ist (nach jedem Durchgang gibt es noch ein potentiell negatives Ereignis). Wer dann die meisten Punkte eingesackt hat, gewinnt das Spiel.
Und? Macht das Spaß?
Ja, durchaus. Letztlich lassen sich die Regeln ungefähr so zusammenfassen: Karte ziehen, Karte spielen (oder ziehen), Schiff bewegen, Karte spielen (oder ziehen). Wenn man das verinnerlicht hat, geht es einigermaßen flott voran, wobei einige Spieler/innen erstaunliche Schwierigkeiten hatten, sich das zu merken – die Spielhilfen waren auf Spanisch und haben ihnen nicht weiterhelfen können. Aber irgendwann läuft es dann. Zunächst geht es darum, sich einen oder mehrere der vorhandenen Schätze zu krallen. Je länger das Spiel dauert, desto attraktiver wird es allerdings, sich Schätze anderer Spieler/innen unter den Nagel zu reißen, denn gesammelte Sets sind nun mal mehr wert als einzelne Schätze, und dann hängt es eben davon ab, welche Farben gerade zu kriegen sind. Irgendwann gegen Ende versuchen dann einige nur noch, das Spielende hinauszuzögern, indem sie die Führenden angreifen, während jene natürlich möglichst schnell die letzten Schätze einsammeln wollen, um der Sache ein Ende zu setzen. Allerdings ist es nicht so einfach, andere anzugreifen. Man braucht geeignete Karten und die Hoffnung, dass die Angegriffenen sich nicht gut wehren können, und es kann darauf hinauslaufen, dass man jemanden langsam zermürbt und dann jemand anders mit frischer Kraft angesegelt kommt und zuschlägt, wenn das Opfer keine passenden Verteidigungskarten mehr hat. Oder man selbst wird zum Opfer. Ein gewisser Glücksfaktor ist beim Kartenziehen natürlich auch noch dabei.
Aus dieser Beschreibung wird wahrscheinlich schon klar, dass das Spiel mit vier Spieler/innen wesentlich intensiver und enger ist als zu zweit (obwohl ich auch im Zweierspiel schon einiges an Action gesehen habe). Viel Taktieren gibt es in der Abwehr nicht, jeder Angriff, der durchkommt (ob es nun eine Meuterei, ein Duell oder ein Beschuss ist), hat so gravierende Auswirkungen, dass man alles versucht, ihn abzuwehren. Sich auf eine Karte vom Stapel zu verlassen, ist da schon mutig, aber manchmal kann man auch das riskieren.
Überhaupt ist der Mechanismus mit den Würfelkarten gut gelungen. Da die Karten eben sowohl eine eigentliche Funktion als auch unabhängig davon einen Zahlenwert haben, muss man sich ständig überlegen, wie man sie am effektivsten einsetzt. Frustrierend kann es manchmal werden, wenn man lauter Karten der gleichen Art auf die Hand zieht und damit wenig flexibel wird. Immerhin kann man in einer Runde bis zu drei Karten nachziehen (bei einem Handkartenlimit von acht), sodass man nicht völlig abgehängt wird. Am ehesten kann man den schönen Zahlenmechanismus noch bei der Bewegung des Schiffes einsetzen. Wenn man nur noch zwei Felder von einer Schatzinsel entfernt ist, zieht man im Zweifelsfall eher eine Karte vom Stapel (und hofft, dass es keine Eins ist), anstatt eine Karte aus der Hand zu investieren.
Beim Spielen kam mir nun tatsächlich die einleitende Fragestellung in den Sinn. Was wäre, wenn sich einfach eine/r die blauen, eine/r die roten, eine/r die grünen und eine/r die gelben Schätze schnappen würde? Alle hätten die gleiche Punktzahl und es wäre gar nicht nötig, sich gegenseitig über den Haufen zu schießen. Das wäre sicherlich ein Rezept für eine perfekte Welt, aber im Spiel würde es dann doch schnell langweilig werden. An Los Tesoros del Rey Pirata kann man gut sehen, wie eine Spielentwicklung ablaufen kann. Man denkt sich ein paar schöne Regeln aus, um dann festzustellen, dass es für die Spieler/innen gar keine größere Motivation gibt sich miteinander zu befassen. Das könnte leicht passieren, wenn von vornherein alle Schätze auf allen Inseln liegen würden. Das Zauberwort heißt hier Verknappung. Dadurch, dass ich immer nur drei Schätze gleichzeitig sehen kann, fehlt immer mindestens eine Farbe, und wer die sammelt, kann stattdessen andere Leute angreifen. Und weil größere Sets einer Farbe mehr wert sind als einzelne Schätze, gibt es einen zusätzlichen Anreiz, die anderen nicht an den dritten Schatz einer Farbe rankommen zu lassen. So heizt man die Interaktion an, und das ist in diesem Spiel gut gelungen. Zu große Statik wird dadurch verhindert, dass die Bewegung obligatorisch ist, ich kann also nicht stundenlang bei jemandem stehenbleiben und mich mit ihm oder ihr beharken. Gleichzeitig ist das Spielfeld aber auch nicht groß genug, um sich einfach mit seinen Schätzen in einen unbeobachteten Winkel zurückzuziehen. Los Tesoros del Rey Pirata ist hochinteraktiv, denn einige Aktionen gehen zwar für das Ziehen von Karten und das Heben von Schätzen drauf, aber wer dran ist, kann sich ansonsten nur offensiv betätigen, und Passen ist auch nicht erlaubt. Gegen ständiges Nachziehen ist dann auch noch ein Handkartenlimit im Spiel. Hier wurden Regeln da eingesetzt, wo sie nötig waren, und dadurch fühlt sich das Spiel auch nicht überfrachtet oder fummelig an. Auch die erbeuteten Schatzkarten liegen offen, sodass ich jederzeit sehen kann, wer führt. Echte Pirat/innen mögen halt keinen Salat, auch keinen aus Siegpunkten.
Schließlich gibt es noch eine interessante Gleichstandsregel, von der ich mich nicht erinnern kann, sie in dieser Form überhaupt schon mal gesehen zu haben: Wenn zwei Spieler/innen am Ende die gleiche Punktzahl haben, wird bis zu einem Sudden Death weitergespielt, also solange, bis eine/r mehr hat als alle anderen (auch wenn der oder diejenige am ursprünglichen Gleichstand gar nicht beteiligt gewesen sein sollte). Das gefällt mir wesentlich besser als am Ende einen Gleichstand festzustellen und dann irgendsoeine Regel nachlesen zu müssen wie „Bei Gleichstand entscheidet die Zahl der Handkarten, ist die auch gleich, dann die mit den höchsten Zahlen drauf, sind die auch gleich, gewinnt die Spielerin, die den schönsten Papagei auf der Schulter sitzen hat.“ Zwar ist die Sudden-Death-Regel bei uns nie zum Tragen gekommen, aber die Aussicht, dass sie einem bevorstehen könnte, hat das Spiel dennoch beeinflusst, und sie ist auch ziemlich eingängig.
Leider konnte ich persönlich mit der Grafik wenig anfangen. Das Spielbrett ist gut, aber die Karten wirken mir zu düster und ernst, was für mich wiederum nicht so gut zur Farbcodierung passt. Das mögen andere anders empfinden; aber ich hätte mich in einer fröhlicheren Umgebung hier beim Piesacken meiner Gegner/innen wohler gefühlt. Dafür merkt man schon, wenn man die Schachtel in der Hand hält, dass chilenische Verlage sich nicht mit den gleichen Problemen wie die in Argentinien herumschlagen müssen, wo exorbitante Zölle die Einfuhr von Spielmaterialien fast unmöglich machen und gleichzeitig im Land selbst nicht alle Fabrikationsmöglichkeiten zur Verfügung stehen (was wiederum in Brasilien der Fall ist, wo es ebenso fiese Zölle gibt, dafür aber extrem stabile Schachteln). Nein, Los Tesoros del Rey Pirata ist in China produziert, wie es auch für viele Spiele in Europa und Nordamerika zutrifft. Da gibt es nicht viel zu meckern.
Insgesamt haben wir es hier mit einem Spiel zu tun, das denjenigen gefallen wird, die keine Konfrontation scheuen und auch mal was einstecken können. Langfristige Planungen sind meist vergeblich, weil sich das Spiel zu schnell verändern kann. Da es aber nicht zu einfach ist, jemandem einmal eroberte Schätze wieder abzujagen, ist es auch kein planloses Gemetzel. Geschenkt wird einem hier jedenfalls nichts, und nach einer krachenden Niederlage in der letzten Partie wetze ich schon die Machete für eine Revanche.
Gesamteindruck: 7/10
Los Tesoros del Rey Pirata
für 2 bis 4 Leute
von Pablo Céspedes und Victor Hugo Cisternas
Illustrationen: Dan „Drab“ Rodriguez
Ludoismo, 2017