Das sollen Spielkarten sein?

Und wieder werfe ich einen Blick auf ein japanisches Mikrospiel, das es mir sehr angetan hat, und zwar auf ein seltsames Zweipersonenspiel mit dem seltsamen Namen Khmer, das ich schon seit ein paar Jahren besitze, das aber unverständlicherweise hierzulande kaum groß Verbreitung gefunden hat.

Khmer-Schachtel

Khmer stammt vom team SAIEN, einem japanischen Autoren- und Verlagskollektiv, das regelmäßig bei den Tokyo Games Days anzutreffen zu sein scheint (nein, da war ich leider auch noch nie) und dort seltsam anzuschauende Spiele vorstellt, für die Eric Martin mal die Kategorie „Sexy games“ vorgeschlagen hat.
Khmer selbst allerdings kommt in einer schmucklosen packpapierbraunen Schachtel daher. Es besteht aus 16 monströs dicken Karten, die sich super anfühlen, die aber eher wie eine Designstudie als wie Spielkarten aussehen. Sie haben die Werte 1-5 (je zweimal) und 6 (sechsmal). Dazu gibt’s noch Regeln (auf Japanisch. Deutsche und englische Regeln gibt es auf boardgamegeek). Was es in der Schachtel nicht gibt, ist Luft, das ist passgenau verpackt.

Khmer offen
Die Schachtel ist voll.

Vier Karten werden aussortiert, die restlichen 12 verteilt. Nun hat man also sechs Karten auf der Hand und damit, wenn man dran ist, folgende Möglichkeiten:
– Eine Karte offen in die Tischmitte legen, gegebenenfalls auf bereits dort liegende oben drauf (aber so, dass man die unteren noch sehen kann)
– Die oberste Karte aus der Mitte vor sich hinziehen
– Eine 6 abwerfen (aus dem Spiel)
– Aufgeben
– Klopfen und behaupten, dass man die Runde gewonnen hat.
Um zu gewinnen, darf die Summe der Handkartenwerte und der vor einem liegenden Kartenwerte nicht größer sein als die Summe der in der Tischmitte ausliegenden Kartenwerte UND muss größer als die entsprechende Summe des Gegenspielers oder der Gegenspielerin (falls diese/r nicht ohnehin das Limit gesprengt hat und damit automatisch verliert).
Für eine gewonnene Runde bekommt man zwei Punkte, wenn der oder die Gegner/in aufgibt, einen Punkt. Wer zuerst sechs Punkte gesammelt hat, gewinnt das Spiel.

Kartendesign bei Khmer - bei Elements sehen die Karten dann ganz anders aus.

Eigentlich ist das also eine ganz wilde Rechnerei mit einem Schuss Bluff (das Rechnen dürfte aber auch Mathe-Muffel nicht überfordern, die Summen liegen meist zwischen zwölf und achtzehn Punkten). Es ist gar nicht so leicht zu beschreiben, warum das trotzdem so viel Nervenkitzel bereitet. Taktisch versucht man natürlich, sich möglichst viele Optionen offenzuhalten, um auf die Aktionen des Gegenübers flexibel reagieren zu können. Dabei sollte man im Auge behalten, welche Karten noch im Spiel sein könnten (vier sind ja ungesehen aus dem Spiel, daher weiß man es nicht ganz genau). Außerdem sollte man einschätzen lernen, wann man in einer Runde chancenlos ist und gegebenenfalls rechtzeitig aufgeben, um der Gegenseite nur einen Punkt zukommen zu lassen statt der sonst unausweichlichen zwei. Also zermartert man sich bei jedem Spielzug ziemlich den Kopf, aber angesichts der überschaubar vielen Aktionsmöglichkeiten (man hat ja auch nur wenige Karten auf der Hand) zieht sich das Spiel dennoch kaum in die Länge.
Ich glaube, dass mir an Khmer besonders gefällt, dass es in seinem Spielgefühl keinem anderen Spiel ähnelt, das ich je gespielt habe. Es ist einfach ganz eigen. Ein bisschen muss man an so einer abstrakten Grübelei natürlich Spaß haben, aber wenn man das hat, ist Khmer wirklich eine tolle Ergänzung jeder Spielesammlung, weil es einfach seine ganz eigene Nische füllt. Und reisetauglich ist es ob seiner geringen Größe auch noch, zumal es auch kaum Platz auf dem Tisch braucht.

Dass Khmer keinen ausländischen Verlag gefunden hat, könnte einfach daran liegen, dass es gar nicht so einfach ist, ein Spiel zu vermarkten, dass aus nur 16 Zahlenkarten besteht. Love Letter, was ja ebenfalls aus 16 Karten besteht, hat in seiner internationalen Ausgabe ja auch noch Wertungsmarker und so’n Schnickedöns dazugekriegt, um es überhaupt zu einem einträglichen Preis anbieten zu können. Das könnte man bei Khmer natürlich auch machen, und die Grafik überarbeiten. Aber bisher hat niemand angebissen.
Warum das Spiel übrigens Khmer heißt, ist mir ein Rätsel. Es hat nichts weiter mit Kambodscha zu tun. Würde gern mal wissen, wie der Namen für japanische Ohren klingt.

Gesamteindruck: 8/10

Khmer
vom team SAIEN
Illustration: Wohl ebenso
Verlag: Saien, 2010

EDIT: Khmer erscheint bald auf Deutsch, als Elements bei Pegasus. Näheres hier.

9 Gedanken zu „Das sollen Spielkarten sein?

  1. Der Zeitpunkt dieses Artikel ist etwas unglücklich. 4 Tage zuvor wurde auf der Spielwarenmesse in Nürnberg eine optisch runderneuerte Version dieses Spiels unter dem Titel „Elements“ bei Pegasus Spiele vorgestellt. Und es wird auch in weiteren Sprachversionen erscheinen. 😉

    1. Danke – ja, den Artikel habe ich natürlich vor meiner Abreise nach Nürnberg geschrieben, der ist dann automatisch am Sonntag Abend online gegangen. Montag habe ich es erfahren (und mich sehr drüber gefreut!). Es gibt natürlich noch einen Nachtrag dazu, aber das dauert noch einen Moment. Insofern eigentlich gar kein so schlechter Zeitpunkt, ist dann vielleicht schon die erste deutschsprachige Rezension dazu?

  2. Geniales Spiel – sehr erfreulich, dass es noch mal veröffentlicht wird, diesmal sogar mit einer richtig schicken Grafik! Hoffentlich sind in der vermutlich viel zu großen Schachtel dann auch wenigstens 13 Siegpunkt-Marker…

    Fans von „Khmer“ / „Elements“ sollten sich auch unbedingt das neue „Gagario“ vom gleichen Autoren-Team anschauen, das auf den ersten Blick nur eine unspektakuläre „Khmer“-Variante zu sein scheint, sich dann aber doch ziemlich anders spielt und auch großen Spaß macht.

    1. 13 Siegpunktmarker? Für ein Spiel auf 6 Punkte braucht man doch eigentlich nur 11 beziehungsweise 10? Danke jedenfalls für den Gagario-Hinweis, das kommt gleich mal auf meine Wunschliste.

      1. Ups – ich war da gerade im falschen Spiel.

        10 Marker würden in der Tat reichen; es ist aber befriedigender, sich den entscheidenden letzten auch noch physisch schnappen zu können (außerdem hat man dann 1 Reserve, falls mal einer verloren geht). 😉

  3. Ihr liegt alle falsch, es sind weder 13 noch 10, sondern 12 Siegpunktemarkter im Spiel. Die braucht man, falls es 5:5 steht und dann jemand 2 Punkte macht. 😉

    1. Sagen wir mal, 12 sind genug, damit sich hinterher niemand beschweren kann. Mir selbst würden 10 reichen. Und ein bisschen Luxus schadet ja auch nicht. 🙂

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert