Werwölfe in Nöten

Vor einer Weile hatte ich bei Boardgamegeek mal ein Spielebuch namens Loup Garou gewonnen. Es ist so ein Spielbuch, bei dem man von Szene zu Szene selbst entscheiden kann, wo man hin will. Allerdings in Form einer Graphic Novel. Ich muss dazu sagen, dass ich mir vor ein paar Jahren mal eine Handvoll solcher Fantasy-Spielbücher antiquarisch gekauft hatte, um zu sehen, ob die heute noch was taugen. Was ich da in die Finger kriegte, war allerdings (mit Ausnahme eines lustigeren Werks) nicht nur literarisch übel, sondern auch so strunzlangweilig, dass mir die Vorstellung, nach bestandenem „Abenteuer“ einen andere Weg ausprobieren zu wollen, völlig aberwitzig vorkam. Ich hatte mit dem Genre also schon ein bisschen abgeschlossen (ohne zu wissen, welche Highlights ich da möglicherweise noch verpasst haben könnte), als mir Loup Garou in die Hände fiel. Für diejenigen, deren Schulfranzösisch sich in anderen Themen erschöpft hat: Das ist die französische Bezeichnung für Werwolf. Und obwohl mir auch diese Thematik erstmal eher fremd ist: Das hat sich gelohnt.

Loup Garou

Worum geht’s?

Man spielt einen jungen Mann, der von seinem Meister, einem Alchemisten, des Nachts in den Wald geschickt wird, um Kräuter zu holen. Leider wird man dabei von einem Werwolf angefallen und verletzt, wordurch man sich selbst in einen solchen verwandelt. Da Werwölfe aber nun mal bei den Menschen nicht sonderlich wohlgelitten sind, begibt man sich nun einerseits auf die Flucht vor einem fiesen Werwolfjäger, andererseits hat die Gemeinschaft der Werwölfe aber auch noch ganz andere Probleme, die es einem unmöglich machen, sich einfach längerfristig in einem Keller zu verkriechen. Also begibt man sich auf die Suche nach den Ursachen dieser Probleme und stürzt sich in den Kampf gegen das eigentliche Böse. Mehr will ich hier über die Handlung nicht verraten, zumal sie zwar einem vorgegebenen Rahmen folgt, aber eben natürlich für jede*n Spieler*in im Detail anders verläuft.

Nach ein paar Seiten Einführung folgen zwei kurze Seiten mit Regeln. Wenige weitere Regeln werden im Laufe der Geschichte eingeführt. Ansonsten besteht die Geschichte aus 326 Comicpanels.
Hinten im Buch sind ein Charakterblatt und ein Fertigkeitenbaum für verschiedene Spezialisierungen. Beides kann man sich auch von der Webseite des Verlags herunterladen, wenn man sein Buch nicht beschädigen möchte. Außerdem gibt es eine Drehscheibe, die man sich ausschneiden kann. Sie ist für Zufallsergebnisse vorgesehen – ich habe stattdessen einen Würfel benutzt, was ich auch empfehlen kann.
Das Charakterblatt dient vor allem dem Notieren von Ausrüstung und dem ständigen Anpassen von Lebens- und Magiepunkten. Da das in Extremradiererei ausarten kann, empfehle ich stattdessen den Gebrauch von irgendwelchen Markern, das ist praktischer, finde ich.

Loup Garou
Das ist aus der Einleitung – ich gehe ansonsten hier mit Bildern sparsam um, weil ich nicht spoilern möchte.

Und? Macht das Spaß?

Grundsätzlich mal ja, auf alle Fälle. Kein Vergleich zu dem atmosphärefreien Schund, den ich vorher hatte erdulden müssen. Llerdings ist mir bei der Recherche zu dieser Rezension klargeworden, dass es tausende solcher Bücher gibt – vielleicht habe ich da einfach bei meiner Stichprobe hartes Pech gehabt. Trotzdem glaube ich, dass das Medium der Graphic Novel sich für so ein Abenteuerbuchkonzept tatsächlich besonders gut eignet, da man erstens viel stärker in die Schauplätze eintauchen kann und zweitens nicht jede Entscheidung auf die Nase gerieben bekommt. So liegen in manchen Bildern zum Beispiel Dinge herum. Es ist manchmal völlig unklar, ob man diese Sachen mitnehmen sollte – sie sind nicht markiert, es fragt einen auch niemand, ob man sie mitnehmen möchte, und es ist auch nicht wie am Bildschirm so, dass man probieren kann, sie anzuklicken. Man hat eine pauschale Tragekapazität von 10 Dingen, sodass man jetzt nicht wahllos jedes Stöckchen einpacken sollte, aber man steht halt immer wieder vor der Frage, ob man etwas, das man irgendwo findet, brauchen könnte. Einige Dinge, die einen anschreien „Nimm mich mit!“, haben für die Geschichte am Ende keinerlei Bedeutung und man kann sie nirgendwo einsetzen; andere bringen einem große Vorteile. Das ist ganz klar eine Stärke des Konzepts. Die Zahlen der Panels, bei denen man weiterlesen kann, sind im Allgemeinen gut sichtbar, aber in einigen wenigen Fällen sind sie mir auch beim ersten Durchspielen entgangen. Es lohnt sich also, sich die Bilder genau anzusehen.

Die Geschichte folgt grundsätzlich einem vorgegebenen Rahmen, es kann also nicht passieren, dass man die Haupthandlung komplett verpasst (sofern man nicht vorher umkommt). Die Ausgestaltung des Weges ist allerdings einigermaßen flexibel. Natürlich wird man grundsätzlich erstmal jede Tür aufzumachen versuchen und jeder Spur folgen wollen, aber manchmal trifft man auch eine Entscheidung, die einem keine Rückkehr erlaubt. Ich habe Loup Garou zweimal durchgespielt. Beim ersten Mal war ich nach vielleicht knapp anderthalb Stunden oder so tot, ohne wirklich weit gekommen zu sein. Beim zweiten Mal habe ich eine andere Charakterklasse gewählt und habe das gesamte Buch durchspielen können, was rund drei Stunden gedauert hat, Dafür, dass das Buch nur aus 326 Panels besteht, von denen man ja nur einen Teil überhaupt zu Gesicht bekommt, ist das eine reife Leistung, finde ich. Dabei ist es zu Beginn recht ruhig, man versucht halt, möglichst viel in Erfahrung zu bringen und sich auf den Showdown vorzubereiten. Dann zieht das Tempo plötzlich reichlich an und man findet sich in einem ziemlichen Getümmel wieder. Das ist gekonnt gemacht, obwohl ich die am Ende häufiger vorkommenden und nur so mittelinteressanten Kämpfe doch ein bisschen zu viel fand, da wurde es trotz des grundsätzlichen schnelleren Tempos dann doch wieder ein bisschen langatmig. Aber das kann auch daran gelegen haben, dass ich nicht den optimalen Weg gewählt habe.
Nachdem ich dann ganz mit der Geschichte durch war, hatte ich dann keine großen Ambitionen mehr, ein weiteres Mal zu spielen, dafür war die Handlung dann doch zu klar vorgezeichnet. Aber bereut habe ich nichts.

Vielleicht ist das Buch auch gar nicht dafür vorgesehen, sehr oft durchgespielt zu werden. Die Bindung des Hardcover-Bandes sieht nicht fürchterlich vertrauenserweckend aus, und man ist ja ständig am Blättern. Aber das muss ja auch nicht sein, die meisten Romane lese ich auch nur einmal.

Ob man den Zeichenstil mag, ist natürlich Geschmackssache. Ich bin alles andere als ein Comic-Experte und habe nicht so viel Vergleich, aber ich fand es insgesamt durchaus leicht, sich in die Geschichte zu vertiefen. Nur in einem Bereich wirken Geschichte und Stil seltsam altmodisch – Frauen kommen nur in Nebenrollen und in der Regel mit betont tiefem Ausschnitt vor. Das fällt sehr auf – ich dachte, da wären wir schon weiter. Es ist offensichtlich von Jungs für Jungs gezeichnet.

Loup Garou
Von Jungs für Jungs. Augenverdreh…

Wegen der Bindung, der zwischenzeitlichen Längen und der Frauenrollen ist Loup Garou für mich kein ganz großer Wurf geworden. Aber es schlägt das Erlebnis der anderen Spielbücher, die ich in den Fingern hatte um Längen, daher kann man sich das schon mal angucken.

Das französischsprachige Original ist bei Makaka Éditions erschienen, wo es auch noch ein ganze Reihe weiterer solcher Spielbücher (mit völlig verschiedenen Szenarien) gibt. Die von mir gelesene/gespielte englische Version stammt von Van Ryder Games, auf Deutsch sind einige der Bücher mittlerweile bei Pegasus erschienen (einige weitere sind in Vorbereitung). Meine Aussage zur Bindung bezieht sich also nur auf die englischsprachige Ausgabe, das kann bei anderen Verlagen anders sein. Ich habe mir jetzt mal zwei Stück von einem anderen Zeichner auf Deutsch (vor-)bestellt. Pegasus hat zwar die Angewohnheit, Titelbilder ein bisschen zu verunstalten, aber vielleicht ist dafür die Materialqualität besser. In jedem Fall gibt es eine Empfehlung von mir, sich die Reihe mal anzugucken, in welcher Sprache auch immer.

Loup Garou
Solo-Spielbuch
von Moon
Illustrationen von 2D
Van Ryder Games, 2018 (Originalausgabe bei Makaka Éditions, 2015. Deutsche Ausgabe bei Pegasus, 2018)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert