Wenn man nichts mehr wegnehmen kann.

Il semble que la perfection soit atteinte non quand il n’y a plus rien à ajouter, mais quand il n’y a plus rien à retrancher.

Das hat Antoine de Saint-Exupery geschrieben. Es heißt ungefähr:

Es scheint, als ob Perfektion nicht dann erreicht würde, wenn es nichts mehr hinzuzufügen, sondern wenn es nichts mehr wegzunehmen gibt. 1

Wer dieses Blog öfter mal liest, weiß vielleicht schon, dass ich mich besonders für einfache Spiele interessiere. Viel Spielspaß mit wenigen Regeln zu erzeugen, ist für mich wahre Kunst. Ich stehe der Flut an Erweiterungen für gute Spiele auch etwas ratlos gegenüber, denn das Hinzufügen von weiteren Regeln sorgt bei mir nur dann für ein besseres Spielerlebnis, wenn mit dem Grundspiel etwas nicht in Ordnung war. Wenn sie einfach nur weitere Möglichkeiten hinzufügen, dann muss ich länger über die neuen Regeln nachdenken. Wirklicher Wiederspielreiz beginnt für mich aber erst dann, wenn ich die Regeln so weit verinnerlicht habe, dass ich nicht mehr über sie nachdenken muss. Dann kann ich mich in das Spiel versenken und es genießen.

Ein Meister der Reduktion unter den Spieleautoren ist Jacques Zeimet. Ob in einem Kinderspiel wie Mäusekarussell oder in seinen Familienspielen aus der Kakerlakenreihe – immer wieder freue ich mich daran, wie viel Spaß aus an und für sich simplen Grundideen entstehen kann. Ein weniger bekanntes Spiel von Zeimet ist Mandalay. Ich habe das Glück, ein Exemplar der Ausgabe zu besitzen, die 2008 als Preis bei der Mathe-Olympiade in Niedersachsen vergeben wurde (um Missverständnissen vorzubeugen: Ich bin eher weit davon entfernt, Mathe-Preise zu gewinnen, aber ich mache da öfter mal als Helfer mit).

Mandalay
Meine mittlerweile schon etwas vergilbte und ramponierte Mandalay-Schachtel.

Worum geht’s, und macht das Spaß?

Das Spiel besteht aus 24 Bauteilen in zwei Farben, aus denen man zwölf zweistöckige Pagoden baut, die man in beliebiger Reihenfolge kreisförmig anordnet. Bei sechs Pagoden liegt die eine Farbe oben, bei sechs die andere (die Farbe des jeweils unteren Stockwerks ist beliebig). Wer dran ist, nimmt ein oberes Stockwerk einer Pagode weg (und zwar eins in der eigenen Farbe) und wandert damit so viele Schritte im Kreis herum, wie die Pagode Stockwerke hatte (zu Beginn also zwei Schritte). Dann setzt man das Stockwerk auf die dortige Pagode obendrauf. Wenn eine Pagode komplett abgebaut ist, verschwindet auch ihr Bauplatz, der Kreis verengt sich also. Pagoden können maximal fünf Stockwerke hoch sein, und über solche Pagoden kann man auch nicht mehr hinwegziehen. Wer keinen Zug mehr machen kann, hat verloren.

Das sind die kompletten Regeln. Man braucht kein 24-seitiges Regelbuch, keine Übersichtstafeln über die Zugmöglichkeiten und Siegpunkte, und man braucht ganz sicher keine Erweiterungen. Das Spiel ist simpel, und das ist gut so – ich jedenfalls lehne keine Partie ab, und sollte es wirklich mal länger ungespielt im Regal spielen, dann werde ich hinterher wahrscheinlich immer noch wissen, wie es geht. Und weiterhin darüber nachgrübeln, wie ich meine/n Gegner/in unter Druck setzen kann. Das Vorausplanen von sinnvollen Zügen finde ich nämlich keineswegs trivial. Man muss beim Ziehen berücksichtigen, wie hoch die Zielpagode wird (die ist meistens von einer anderen Höhe als die Ausgangspagode, man kann also nicht im nächsten Zug einfach wieder zurückgehen), man kann versuchen, die Gegenseite durch den Bau einer Fünferpagode zu blockieren, und man kann versuchen, sich dem Abgedecktwerden zu entziehen, oft auch dadurch, dass man eine Pagode ganz auflöst und damit auch das Spielende näherbringt.

Blau kann nichts mehr wegnehmen, denn in beiden Richtungen ist der Weg durch fünf Stockwerke hohe Pagoden blockiert.

In der aufwendigeren Giseh-Holzausgabe gibt es noch eine Art ringförmiges Spielbrett, aber wozu das sinnvoll ist, hat sich mir nicht erschlossen, denn das Verengen des Kreises ist auch optisch ein Genuss (und die Gestaltung passt auch nicht recht zum Titel Mandalay, weil es weniger nach Pagoden aussieht). Das Spiel lebt ja auch gerade davon, dass man es in fünf Minuten spielt und dann meist gleich mehrmals hinterinander, weil man sofort das Gefühl hat: Das könnte ich noch besser hinkriegen. Abendfüllend ist das nicht, aber wunderbar in seinem Genre. Ein Spiel, dem nichts hinzuzufügen ist, und wenn es nichts mehr wegzunehmen gibt, endet es.

Gesamteindruck: 8/10

Mandalay
für 2 Leute
von Jacques Zeimet
Giseh, 2007

Disclaimer: Ich helfe gelegentlich bei der Edition Perlhuhn aus. Diese hat das Spiel allerdings weder entdeckt, noch jemals kommerziell vertrieben oder sonstwie was dran verdient.

1 Im Netz allenthalten übersetzt mit „Vollkommenheit entsteht offensichtlich nicht dann, wenn man nichts mehr hinzuzufügen hat, sondern wenn man nichts mehr wegnehmen kann.“
Eigentlich kann ich gar nicht ernsthaft Französisch, aber „Il semble que“ mit „offensichtlich“ zu übersetzen gibt dem vorsichtigen, forschenden Original einen belehrenden Ton, und das lasse ich nicht gern so stehen. Falls das jemand noch eleganter übersetzen kann, freue ich mich über Hinweise.

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