Schlagwort-Archive: Jane Austen’s Matchmaker

Klebrige Prinzen und trügerischer Pudding

Ich hatte zuletzt ja schon über ein Spiel mit Heiratsanträgen geschrieben. Da schiebe ich prompt noch eins mit dem gleichen Thema nach – aber unterschiedlicher könnten die beiden nicht sein, denn diesmal ist die Rede von einem Spiel mit so absurder Thematik, dass man da wirklich nicht von einem perfekten Zusammenspiel zwischen Thema und Mechanismen sprechen kann. Gemeint ist das taiwanische Spiel Tofu Kingdom.

Tofu Kingdom

Der Prinz des Mochi-Königreichs1 zieht ins Tofu-Königreich, um der lieblichen Prinzessin Tofu einen Heiratsantrag zu machen. Diese ist ein wenig einsam, seit ihr Vater, der König, von ihrer Stiefmutter vergiftet wurde. Nur ein einziger Freund, der treue Tofukoch, ist ihr geblieben. Die böse Königin hat sich allerdings einen teuflischen Plan ausgedacht – sie zwingt den Prinzen, vor lauter verschleierte Leute zu treten und mit ein paar simplen Fragen herauszufinden, wer die Prinzessin ist. Dann muss er einer Person einen Heiratsantrag machen und hoffen, dass er die richtige erwischt hat. Das Kalkül der Königin: Mit der richtigen Unterstützung kann sie sich den Prinzen selbst angeln. Ihr zur Seite stehen der Tofuminister und die Tofuwache, die ihr treu ergeben sind. Mit einer Allianz zwischen Tofu-Königreich und Mochi-Königreich gar nicht einverstanden ist die Prinzessin des Pudding-Königreiches. Diese schlüpft in Männerkleidung und schleicht sich ins Tofu-Königreich, um Verwirrung zu stiften, damit aus der Verbindung von Tofu- und Mochi-Königreich gar nichts wird. Ihre einzige Verbündete ist die Tofu-Magd.

Außer den acht Rollenkarten, die jeweils bierdeckelgroß sind, befinden sich in der Schachtel nur noch ein paar Sojabohnenpunkte und die Spielregel.

Die Spieler/innen nehmen reihum die Rolle des Prinzen an und gehen aus dem Zimmer oder drehen sich um, während die sonstigen Rollenkarten unter den anderen Spieler/innen verteilt werden. Eventuell überzählige kommen in die Mitte. Wenn alle außer dem Prinzen alle Rollen gesehen haben, werden die Karten umgedreht und der Prinz betritt das Tofu-Königreich. Er kann nun jeder/jedem eine der folgenden Fragen stellen:
– „Wer ist die Prinzessin?“
– „Wer bist du?“
– „Wer ist das da? (dabei zeigt er auf eine/n Spieler/in oder auf eine der Karten in der Mitte).
Nachdem jede/r eine Frage bekommen hat, stellt der Prinz noch eine einzige weitere Frage an irgendjemanden und deckt dann die Rollenkarte auf, die er als Prinzessin ausgemacht hat. Liegt er richtig, punktet er gemeinsam mit Prinzessin und Tofukoch, deckt er die Königin auf, punktet diese gemeinsam mit Minister und Wache, und deckt er irgendjemanden sonst auf, punkten Puddingspion und Magd.

Bei der ganzen Fragerei ist zu beachten, dass Koch und Prinzessin immer die Wahrheit sagen und die Königin und ihre beiden Helfer immer lügen müssen. Spion und Magd können frei entscheiden, was sie tun.

Wer zuerst sieben Sojabohnenpunkte errungen hat, gewinnt das Spiel.

Todu Kingdom
Puddingspion und Magd (oben), Wache, Königin und Minister (Mitte), Prinzessin, Prinz und Koch (unten)

Ernsthaft jetzt?

Das Thema ist so albern (so absolut undeutsch) und hat gleichzeitig so unheimlich viel Stil, dass man jauchzen könnte. Die völlige Skurrilität des ganzen Pakets ist ein definitiver Pluspunkt, und da gibt es dann doch wieder eine Parallele zu Jane Austen’s Matchmaker. Irgendwelche Wikinger oder Cthulhu-Wesen oder sowas sucht man in beiden Spielen vergeblich, und das ist gut so.

Über die Originalität des Erscheinungsbildes hinaus steckt in Tofu Kingdom aber auch spielerisch eine ganze Menge mehr drin, als man auf den ersten Blick vermuten mag. Beim ersten Spielen sieht das alles noch ziemlich zufällig aus – insbesondere, wenn man nicht mit der vollen Besetzung von acht Leuten spielt. Es gibt aber eine Menge dazuzulernen. Trivial sind letztlich nur die Rollen des Pudding-Kochs und der Prinzessin – sie haben bei ihren Antworten keine Wahl. Aber schon die vermeintlich klare Rolle von Minister und Wache ist komplexer, als man denkt. Wenn beide bei der Frage nach der Prinzessin auf die Königin deuten (was die natürliche die erste Reaktion wäre), schöpft ein erfahrener Prinz gleich Verdacht, denn auf die wahre Prinzessin sollte ja eigentlich nur der Tofu-Koch deuten. Minister oder Wache können also auch auf jemand anderen zeigen, um glaubwürdiger zu sein. Das wiederum müssen Spion und Magd verhindern… und so weiter und so weiter. Was wie ein albernes Partyspiel daherkommt, gewinnt bei guter Konzentration aller Beteiligten erheblich an Tiefgang.

Das Spielen auf sieben Punkte ist etwas willkürlich, man freut sich letztlich über jeden kleinen Sieg. Ich glaube, es ist nur so festgelegt, um das Stehlen von Sojabohnenpunkten von anderen Leuten einzubringen (Minister und Spion tun das). An dieser Stelle sind die Regeln leider unklar – wenn einer dieser beiden in der ersten Runde erfolgreich ist, gibt es noch nichts zu stehlen. Wir haben uns drauf geeinigt, dass die beiden trotzdem Punkte kriegen, dann eben aus dem Vorrat. Ansonsten hätten sie einfach keinen Vorteil davon, ihre Rolle auszuspielen. Hier muss man eben eine Vereinbarung treffen.

Die Regeln für Tofu Kingdom gehören unter den Spielen mit verdeckten Rollen sicherlich zu den allereinfachsten. Ich bin beeindruckt darüber, was trotzdem drin steckt. Wirklich rund ist es mit voller Achterbesetzung. Darunter nimmt der Spielspaß etwas ab, und mit weniger als sechs Leuten würde ich es gar nicht mehr unbedingt empfehlen (obwohl meine Kinder es auch zu viert mögen). Wer gelegentlich mal acht Leute zusammen hat und nach einem lockeren Spiel zum Lachen sucht, kann mit Tofu Kingdom einen preisgünstigen Treffer landen.

Gesamteindruck: 7/10

Tofu Kingdom (豆腐王國)
von Kuraki Mura (倉木村)
für 3 bis 8 Leute (je mehr, desto besser)
Illustrationen von Lucy (嚕西)
Kuraki Mura B.G. Studio/Swan Panasia, 2015

1Mochi sind eine Art klebrige Reisbällchen.

Der will doch nur dein Geld…

Ich lese zwar gern, muss aber gestehen, noch nie ein Buch von Jane Austen in der Hand gehabt zu haben. Das mag eine Bildungslücke sein, aber es hat mich nicht davon abgehalten, seit einiger Zeit hinter einem englischen Spiel namens Jane Austen’s Matchmaker hinterherzujagen. Ich bin ja neben ungewöhnlichen Spielmechanismen auch immer interessiert an ungewöhnlichen Themen – die ganzen Hypes um Wikinger oder Zombies oder was auch immer sprechen mich für sich allein kaum an. Da Jane Austen’s Matchmaker allseits gelobt wurde, speicherte ich das Spiel in meiner Suchliste und bekam es neulich aus England zugeschickt. Es ist ein ganz kleines Kartenspiel in einer recht unscheinbaren Schachtel, das wahrscheinlich zuallererst Fans der Schriftstellerin ansprechen dürfte. Aber auch bei uns landete es schnell auf dem Tisch. Und dann wieder. Und wieder.

Jane Austen's MatchmakerIm Wesentlichen besteht es aus Frauen- und Männerkarten, die jeweils vier Zahlenwerte enthalten: Charme, Tugend, Sozialen Rang und Reichtum. Alle Werte liegen zwischen 1 und 5, nur die Tugend der Männer liegt zwischen 0 und 3. 🙂

Vor sich hat man eine Auslage von unverheirateten Frauen liegen, die sogenannte Gesellschaft. Die anderen Karten hält man auf der Hand. Wer dran ist, kann eine Karte vom Stapel auf die Hand ziehen, eine neue Frau in die Gesellschaft einführen, eine Frau aus der eigenen Gesellschaft in eine andere Gesellschaft abschieben (wenn dort weniger Frauen liegen als in der eigenen) oder aber, und das ist der zentrale Aspekt des Spiels, einen Heiratsantrag machen. Dafür legt man eine Männerkarte zu einer Frauenkarte aus einer anderen Gesellschaft und verkündet, dass der Mann die Frau heiraten möchte. Diese kann nun annehmen oder ablehnen. Um einen Antrag abzulehnen, muss die Frau so viele Karten abwerfen, wie der Charme des Mannes ihren eigenen übersteigt (ist er niedriger als ihr eigener, kann er den Antrag nur machen, wenn er seinerseits entsprechend Karten abwirft). Ist er von höherem Rang als sie selbst, kann sie die Differenz in Karten ziehen (das Interesse hochgestellter Herren macht sie interessanter). Nimmt sie an, tauschen die beiden Spieler/innen die Karten aus und legen sie auf einen verdeckten Hochzeitsstapel. Vorher zieht allerdings die ärmere Person die Reichtumsdifferenz in Karten auf die Hand.

Das sind schon die wesentlichen Regeln – es geht so lange weiter, bis jemand eine Karte ziehen will oder muss und es keine mehr gibt. Dann zählt man die Tugendpunkte aus seinem Hochzeitsstapel zusammen und zieht die Summe der Tugendpunkte seiner unverheiratet gebliebenen Frauen ab. Wer die meisten Punkte hat, gewinnt.

Die Regeln sind also knapp und klar (auch wenn ich vermute, dass ich mich nach einer längeren Zeit, in der ich es nicht spiele, wieder in die Funktion der einzelnen Werte hineinfinden müsste).

Und? Macht das Spaß?
Ich bin total beeindruckt. Es gibt ja Spiele, bei denen auf einen abstrakten Mechanismus ein Thema aufgepropft wird, und solche, die eher vom Thema ausgehen und diesem einen mehr oder weniger beliebigen Mechanismus aufplanzen. Beides kann in extremen Ausprägungen ziemlich schmerzhaft sein. Es ist selten, dass Thema und Mechanismen eine absolute Einheit darstellen und das Spiel dann auch noch gut ist. Jane Austen’s Matchmaker ist so ein Fall.

Obwohl es natürlich letztlich nur Karten mit Zahlen und Bildern drauf sind, ergibt jeder Mechanismus nicht nur für den Spielablauf, sondern auch innerhalb des Themas einen Sinn. Versetzen wir uns also mal in die Zeit vor gut 200 Jahren. Warum heiratet eine Frau einen Mann (oder vielleicht auch: warum wird sie verheiratet), wenn sie doch weiß, dass der angehende Bräutigam ihr nicht treu sein wird? Vielleicht weil er reich ist? Weil er so charmant ist, dass sie ihm einfach nicht widerstehen kann? Weil der gesellschaftliche Druck sehr groß ist? Oder einfach, um nicht als alte Jungfer zu enden? All das ist im Spiel nachvollziehbar umgesetzt.

Jane Austen's Matchmaker
John Willoughby ist sehr charmant (oben links), völlig untreu (oben rechts), von mittlerem Stand (unten links) und arm wie eine Kirchenmaus (unten rechts). Klare Sache: Wenn er Georgiana Darcy einen Antrag macht, hat er es auf ihr Geld abgesehen. Und sie wird sich ihm nicht oft widersetzen können…

Ihr merkt schon: Manchmal kann einem das Thema im Hals steckenbleiben. Es ist keine lockere Zombie-Schlachterei, kein harmloses Bluffspiel und keine fröhliche Kapitalismussimulation. Hier werden Frauen mehr oder weniger gegen ihren Willen verheiratet. Damit kann der Autor nur durchkommen, wenn er das Spiel historisch-literarisch korrekt ansiedelt. Aber auch so ergötzt man sich manchmal an dem Schauer, der einem den Rücken herunterläuft. Für uns war dieser Schauer vielleicht sogar maßgeblich dafür, nach unserer ersten Partie sofort noch eine weitere spielen zu wollen: Wir ahnten schon, dass das Thema noch viel tiefer ging, als wir beim ersten Mal ans Licht gebracht hatten. Und so war es auch. Wer sich zu so etwas nicht überwinden mag, sollte die Finger von diesem Spiel lassen. Was man als Thema für ein Spiel zumutbar findet, ist ja individuell verschieden und nicht immer ganz rational. Manch eine/r scheut vor Weltkriegssimulationen zurück (ich zum Beispiel), kommt aber ganz gut damit klar, als Wikingerheld englische Dörfer zu überfallen. Das muss jede/r mit sich selbst ausmachen. Fest steht aber: die Situation von Frauen auf dem Heiratsmarkt zu Jane Austen’s Zeiten ist in diesem Spiel sehr angemessen abgebildet. Mit Kindern, die den Hintergrund nicht durchschauen, würde ich es wahrscheinlich aber trotzdem nicht spielen wollen.

Bei allem Lob für die Verbindung von Thematik und Spielmechanik ist das Spiel aber auch taktisch sehr reizvoll. Es gibt zahlreiche Wege zum Sieg und trotz weniger Regeln einiges, was man im Auge halten sollte. Eine wichtige Regel besagt, dass man eine zweite Aktion bekommt, wenn in der eigenen Gesellschaft mehr Frauen sind als in jeder anderen. Das ist ein sehr wertvoller Vorteil, und es lohnt sich, einiges dafür zu investieren oder es im Zweifelsfall bei den anderen zu verhindern. Das heißt, man versucht, viele Frauen ins Spiel zu bringen. Ein zusätzlicher Vorteil ist, dass man am Ende gegebenenfalls noch Karten in andere Gesellschaften abschieben kann, um zu verhindern, auf alten Jungfern sitzen zu bleiben. Andererseits bekommt man eben am Ende Minuspunkte für alle unverheirateten Frauen in der eigenen Gesellschaft, und das sind natürlich umso mehr, je mehr (und je tugendhaftere) Frauen man ausgespielt hat. Hier eine gute Balance zu finden, erfordert einiges an Fingerspitzengefühl.

Auch mit den Heiratsanträgen selbst muss man natürlich umgehen lernen. Viele Karten auf der Hand zu haben ist ein definititver Vorteil, für den man ebenfalls einiges gibt. Mit Handkarten kann ich Heiratsanträge unterstützen oder eben auch ablehnen (manchmal, weil sie zu vorteilhaft für den Mann wären, manchmal, weil man einfach seine Mehrheit behalten wil). Überall gilt es, clevere Entscheidungen zu treffen.

Trotz der einfachen Regeln und einer Spieldauer von (zum Teil deutlich) unter einer halben Stunde ist Jane Austen’s Matchmaker also ein durchaus anspruchsvolles Spiel, das einen zweiten Blick lohnt. Wer es in die Finger kriegt, sollte allemal zugreifen. Eine deutsche Ausgabe existiert mittlerweile ebenfalls, aber das war wohl nur ein Spieleschmiede-Projekt, das ansonsten im Handel nicht erhältlich ist (und von dem ich damals nichts mitgekriegt hatte). Aber vielleicht habt Ihr ja auf dem Gebrauchtmarkt Glück, oder Ihr versucht es in England. Abgesehen von den Regeln ist das Spiel sprachunabhängig. Und für 2017 liegt auch schon eine Fortsetzung in der Luft.

Ach übrigens: Der Autor hat sich allen Ernstes den Spaß erlaubt, eine Erweiterung namens Jane Austen’s Matchmaker with Zombies herauszubringen. Und obwohl ich weder jemals einen Zombiefilm gesehen habe noch mich das Thema sonst irgendwie begeistert, verspüre ich ein gewisses Bedürfnis, das eines Tages auch mal auszuprobieren…

Gesamteindruck: 8/10

Jane Austen’s Matchmaker
von Richard Wolfrik Galland
für 3 bis 5 Leute
Illustrationen von Emily Hare
Warm Acre, 2014