Spiele in Ägypten – Gespräch mit Amir Eid

Das Göttinger Spieleautor:innentreffen gehört zu meinen Lieblingsveranstaltungen im Spielejahr. Nicht nur, weil es sozusagen vor meiner Haustür ist, sondern vor allem, weil ich da immer spannende Leute kennen lerne. Dieses Jahr war das unter anderem Amir Eid aus Ägypten. Bislang habe ich ja nur in wenigen afrikanischen Ländern (Nigeria, Kamerun, Kongo) Spieleschaffende finden können, da freut mich so eine Begegnung natürlich besonders, zumal Amir mir nicht nur ein paar Spiele aus Ägypten gezeigt hat, sondern sich auch bereiterklärt hat, mir ein bisschen über die örtliche Szene zu erzählen. Das hat er inzwischen gemacht, und ich will mal versuchen, das angemessen wiederzugeben.

Wie überall auf der Welt gibt es auch in Ägypten traditionelle Spiele, die in der Bevölkerung weit verbreitet sind. Schach, Domino und Backgammon kennen wir auch hierzulande, dazu gibt es Kartenspiele wie Tarneeb oder Estimation. Diese Spiele werden viel in Kaffeehäusern gespielt, wo sich vor allem Männer aufhalten. In manchen Kaffeehäusern, die besonders von jüngeren Leuten frequentiert werden, kann man auch Playstation spielen. Allerdings haben die Kaffeehäuser in der ägyptischen Revolution von 2011 eine wichtige Rolle als Versammlungspunkte gespielt, sodass einige von ihnen von der Regierung geschlossen wurden, um das im Keim zu ersticken. Trotzdem bleiben sie ein zentraler Ort der ägyptischen Kultur und eben auch der Spiele.

Die Hauptzielgruppe für moderne Brett- und Kartenspiele sind laut Amir jüngere Männer aus den mittleren und höheren Einkommensschichten. Ärmere Leute spielen vorrangig Onlinespiele, weil die außer einem Smartphone keine Investitionen erfordern, während Tischspiele jeweils einzeln angeschafft werden müssen. Das können sich nicht alle Leute leisten. In jüngster Zeit sind Webseiten aufgetaucht, auf denen man Importspiele kaufen kann. Diese sind auf Englisch und sehr teuer, sodass dieses Angebot insbesondere von gebildeten Leuten aus wenigen wohlhabenderen Stadtteilen Kairos genutzt wird. Im Angesicht der ägyptischen Gesamtbevölkerung von rund 100 Millionen Menschen ist das also eine winzige Nische. Dabei besteht nach Amirs Einschätzung durchaus Interesse. Er berichtet davon, dass er 2013 eine Ausgabe von Risiko geschenkt bekommen hatte. Diese hat er dann in ein Kaffeehaus mitgenommen, und nächtelang gespielt, wobei der Tisch immer umlagert gewesen sei die Umstehenden sich beim Mitspielen abgewechselt hätten.

Natürlich ist die arabischsprachige Welt ohnehin ein potentiell großer Markt. Allerdings sind viele Rechte für arabische Lokalisierungen bekannter Spiele in die Emirate oder nach Qatar gegangen. Diese Versionen sind in Ägypten unbeliebt, weil sie in ein formales Arabisch übersetzt sind, was dem ägyptischen Dialekt nicht entspricht. Amir nennt hier als Beispiel die Übersetzungen von Disneyfilmen. Zwischen 1990 und 2010 seien diese von ägyptischen Firmen synchronisiert worden, was sie (in der gesamten arabischen Welt) sehr beliebt gemacht habe. Anschließend gingen die Rechte in die Golfstaaten, und seit dem interessiere sich niemand mehr für Disneyfilme, weil die Übersetzungen formal und humorlos geworden seien. Eigentlich also eine gute Voraussetzung für die Produktion eigener ägyptischer Spiele. Amir kennt drei größere Verlage, die lokale Spiele veröffentlichen und diese mit einigem Erfolg vertreiben. Der größte von diesen, Nilco, hat auch ein Spiel von Amir selbst in den Vertrieb aufgenommen. Dabei handelt es sich um Ashbar-Elbahr (السياح البحر) . In diesem Brettspiel segeln sechs Seeleute um Afrika herum und müssen die richtige Balance zwischen Kooperation und Eigennutz finden – wer das nicht schafft, wird öfter mal über Bord geworfen.

Spielmaterial. Das Bild hat mir Amir Eid zur Verfügung gestellt.

Amirs eigenes Entwicklungsstudio heißt Visionario und arbeitet derzeit an einem Spiel zum Thema sexuelle Belästigung, die in Ägypten enorm verbreitet ist. Die Grundidee ähnelt dabei dem Spiel Die unüblichen Verdächtigen, denn nach einem Fall sexueller Belästigung in der U-Bahn soll der Täter ermittelt werden. Das Spiel möchte aufzeigen, dass das jeder gewesen sein kann, nicht nur Leute, die danach aussehen, die aus einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht kommen oder sonst Gemeinsamkeiten haben. „The Metro“ soll in einer Kooperation mit Spielmaterial.de und der Kairoer NGO Masriyyat Women Rights auf Deutsch und Arabisch erscheinen, falls die Finanzierung gesichert werden kann.

Außerdem plant Amir, von der Veranstaltung in Göttingen inspiriert, die ägyptischen Autor:innen stärker zu vernetzen und vielleicht ein ähnliches einheimisches Treffen ins Leben zu rufen. Dabei kann ich ihm nur alles Gute wünschen.

(P.S.: Wer wissen möchte, was Amir Eid früher so gemacht hat, kann sich diesen interessanten Artikel durchlesen.)

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