Sonntags spiele ich abends oft online mit einer Gruppe aus Nordamerika, die ich von Boardgamegeek her kenne. Mit denen kann ich meiner Leidenschaft für absonderliche Kartenspiele frönen. Meist tummeln wir uns auf playingcards.io, wo man selbst Spiele erstellen kann – ohne die Originalgrafiken, aber man kann halt die Mechanismen mal ausprobieren. So konnte ich schon letzten Sommer Scout kennen und lieben lernen und machte mir gerade Gedanken, wie ich mir das aus Japan besorgen könnte, als Oink Games eine auch in Deutschland erhältliche Ausgabe ankündigte. Da ich nicht nach Essen fahren konnte und es danach erstmal nicht lieferbar war, hat es jetzt bis März gedauert, bis ich es mir selbst zulegen konnte. Mittlerweile habe ich es oft genug gespielt, um es Euch ein bisschen näherbringen zu können.
Worum geht‘s?
Wir sind in der Welt der Zirkusse und wollen die beste Show darbieten. Dafür brauchen wir allerdings auch das richtige Personal. Und wenn wir das nicht haben, müssen wir es aus anderen Zirkussen abwerben. So weit die etwas bemühte „Handlung“ von Scout (die in der Erstauflage von 2019 noch nicht da war).
Scout besteht vor allem aus einem Kartensatz. Auf jeder Karte sind zwei Zahlen zwischen 1 und 10 drauf, wobei jede Kombination einmal im Spiel ist, also 1/10, 2/10, 3/10, … 1/9, 2/9, 3/9 und so weiter. Jeweils eine der beiden Zahlen steht oben, und das ist der aktuelle Wert der Karte. Drehe ich sie auf den Kopf, sehe ich die andere Zahl.
Zu Beginn nehmen wir einen Haufen Karten auf die Hand, die wir nicht umsortieren dürfen. Lediglich zu Beginn der Partie habe wir einmalig die Möglichkeit, unsere komplette Kartenhand umzudrehen. Wir spielen nebeneinandersteckende Karten zusammen aus und müssen damit jeweils die anderen überbieten. Mehr Karten schlagen weniger Karten, mehrere gleiche Karten schlagen ebenso viele Karten, die als Straße ausliegen. Geschlagene Karten nehme ich an mich, die zählen am Ende jeweils einen Punkt. Wenn ich nicht spielen kann, muss ich scouten. Das bedeutet, dass ich eine der Karten an den Rändern der gerade ausliegenden Kombination auf die Hand nehmen muss. Diese kann ich beliebig in meine Hand aussortieren und auch umdrehen. So baue ich mir schlagkräftigere Kombinationen zusammen und schwäche gleichzeitig die Show der anderen, die dann von den nächsten in der Runde leichter überboten werden können. Wenn von mir eine Karte gescoutet wird, bekomme ich außerdem einen weiteren Punkt. Eine Runde endet, wenn entweder jemand keine Karten mehr hat oder wenn jemand an die Reihe kommt und noch Reste seiner Show auf dem Tisch liegen. Dann ziehen wir die Anzahl unserer Handkarten von unseren gewonnenen Punkten ab und haben unser Rundenergebnis. Wer nach mehreren Runden die meisten Punkte hat, gewinnt.

Und? Macht das Spaß?
Scout ist für mich ein großer Wurf. Zwar ist kaum zu übersehen dass Katja Stremmels ebenfalls tolles Krass Kariert als Inspiration gedient hat, aber Scout ist so konsequent weiterentwickelt, dass es mir noch eine Spur besser gefällt als das Vorbild. Ich kann versuchen, schnell meine Karten loszuwerden (das minimiert zumindest meine Minuspunkte), oder ich kann versuchen, durch häufiges Scouten eine richtig lange Kombination aufzubauen, die dann kaum gestoppt werden kann. Das hat eine Push-your-luck-Komponente, die ich sehr packend finde – für jedes Scouten gebe ich ja jemandem einen Punkt, und nicht immer gibt es etwas zu scouten, was ich auch gebrauchen kann. Die Mechanismen sind absolut rund und mit etwas Erfahrung ist es ein richtig flottes Spiel, was aber keinesfalls auf Kosten der Spannung geht. Das Ganze kommt völlig ohne Sonderkarten oder großartige Ausnahmen aus (es gibt lediglich einen Chip, mit dem man in einem Zug scouten und eine Show ausspielen darf). Das Spielgefühl liegt irgendwo zwischen Krass Kariert, Abluxxen und Futschikato und vereint das Beste aus diesen drei Spielen. Endlich ist mal wieder eins dieser vielen tollen japanischen Kartenspiele auf dem deutschen Markt angekommen!
Ich habe inzwischen 14 Partien zu dritt, viert und fünft auf dem Buckel (für das Spiel zu zweit gibt es Sonderregeln, die mich aber noch nicht locken konnten). Ich empfehle Euch, es zuerst zu viert oder fünft auszuprobieren – um es zu dritt zu genießen, ist ein wenig Erfahrung hilfreich. Je mehr Leute dabei sind, desto spannender ist das Aufbauen einer größeren Kombination, von der man hofft, dass sie um den Tisch herumgeht, und umso entscheidender ist es auch, den richtigen Zeitpunkt für das Ausspielen zu finden. Verfehlt Ihr den, könnt Ihr potentiell eine Menge Minuspunkte für die Runde einfahren. Zu dritt ist das Spiel aggressiver und direkter, oft bekommt das Ausspielen kleinerer Kombinationen eine größere Bedeutung und das Sammeln tritt in den Hintergrund. Ich mag es zu viert oder fünft lieber, finde es aber inzwischen auch zu dritt gut.
Die Gestaltung ist oinktypisch: Mit seinen klaren Linien und markanten Farben (die Farbmischung ist Geschmackssache) ist Scout ein Spiel, das ins Auge fällt. Natürlich hat die Schachtel das Oink-Standardformat, sodass ihr sorgfältig packen muss, um das ganze Spielmaterial wieder unterzubringen. Schönes Detail: Die Punktechips sind beidseitig bedruckt, wobei der Punktewert auf einer Seite positiv, auf der anderen negativ ist. So brauche ich zum Beispiel nur zwei Chips, um 9 Punkte abzubilden, einen Zehner und einen umgedrehten Einer.
Ein ganz großes Manko hat Scout allerdings, und ich reibe mir verwundert die Augen, dass das in unserer Zeit bei einer professionellen Produktion noch vorkommt: Die Zahlen stehen nur in der linken oberen Ecke jeder Karte. Das heißt, die Karten lassen sich nur in eine Richtung auffächern. Ich habe in mehreren meiner Spielegruppen jeweils mindestens einen Spieler, der andersrum fächert und die Karten deshalb zu Beginn umständlich stecken muss. Dass das für viele Leute ein Problem ist, sollte Verlagen eigentlich seit langer Zeit bekannt sein. Im Sinne der Barrierefreiheit hoffe ich sehr, dass das in zukünftigen Auflagen überarbeitet wird. Dann kann ich es in alle meine Spielegruppen mitbringen und so oft spielen, wie ich es gerne möchte.

Scout
für 2 bis 5 Personen
ab 9 Jahren (Verlagsangabe)
von Kei Kajino
Illustrationen von Rie Komatsuzaki und Jun Sasaki
Oink Games, 2021 (Originalausgabe bei One More Game!, 2019)