Göttinger Spieleautorentreffen 2018 – ein Rückblick

Unter den sehr vielen guten Spieleveranstaltungen eines Jahres gibt es für mich drei Fixpunkte, die ich nur im äußersten Notfall verpasse. Die Spielwarenmesse in Nürnberg im Februar und die Spiel in Essen im Oktober verstehen sich von selbst. Der dritte Fixpunkt ist das Göttinger Spieleautorentreffen, das seit Urzeiten am ersten Juni-Wochenende stattfindet. Ich habe hier im Blog schon mal was drüber geschrieben, das will ich jetzt nicht alles nochmal aufwärmen. Aber diese älteste und wohl immer noch weltweit größte Veranstaltung ihrer Art war mit rund 350 Leuten am Samstag sensationell besucht (die Tische waren erstmals ausgebucht, auch wenn am Ende durch einige Absagen doch ein paar Tische leer blieben). Die Stadthalle stößt an ihre Kapazitätsgrenze, aber die wird im nächsten Jahr ohnehin grundsaniert, sodass wir in die wesentlich größere Lokhalle umziehen müssen (und deshalb das Treffen auch in den Juli hineinverlegt wird – immerhin ist dann die UK Games Expo vermutlich nicht parallel dazu, was sicherlich diesmal einige Verlage zu einem ziemlichen Spagat gezwungen hat).

In diesem Jahr konnte ich das Treffen auch deshalb besonders genießen, da ich keine aktuellen Prototypen fertig hatte, die ich hätte präsentieren wollen. Also hatte ich einiges an Zeit, mir spannende Sachen von anderen Leuten anzugucken und sogar einiges zu spielen. Es gibt natürlich in anderthalb Tagen nie genug Zeit, alles auszuprobieren, aber es ist ein bisschen wie in Essen: Vor allem geht es mir darum neue Leute kennenzulernen und alte Bekannte und Freund*innen wiederzutreffen, die man dann eben nur bei solchen Veranstaltungen trifft.
Natürlich war es ein besonderer Leckerbissen für mich, dass diesmal gleich zwei Autoren die weite Reise aus Südamerika auf sich genommen hatten. Ich hatte beide eingeladen, schon am Freitag zum offenen Spielekreis zu kommen, um ganz sicher genug Zeit zu haben, ihre Spiele auch spielen zu können. Zuerst war Corruptia an der Reihe, das Fernando Casals Caro gemeinsam mit Camila Muñoz Vilar entwickelt hat (die leider nicht selbst dabei sein konnte). Corruptia ist wenig überraschend ein Spiel über Politik. Als Politiker*in versucht man, die Stimmung im Volk so auszunutzen, dass man seine eigenen Projekte möglichst störungsfrei durch die parlamentarischen Abstimmungen bekommt. Das Spiel punktet mit einigen cleveren und neuartigen Mechanismen und kam in unserer Fünferrunde prima an. Mir persönlich hätten im Zweifelsfall auch drei statt fünf Runden genügt (ich bin ja ein Fan ganz kurzer Spiele), aber es war auf alle Fälle spannend bis zum Schluss. Corruptia soll im September in Chile erscheinen, und angesichts dessen, wie Fernandos Tisch am Sonntag umlagert war, kann ich mir gut vorstellen, dass es eines Tages auch hier landen könnte.

Corruptia

Leandro Maciel aus Brasilien hatte gleich einen ganzen Spieleschrank mit ebenfalls sehr ansprechend gestalteten Prototypen dabei. Wir hatten leider nur noch Zeit, einen davon zu spielen, nämlich Loony Races. Der Name sagt es schon, es ist ein Rennen, bei dem man sich seiner Sache nie zu sicher sein kann. Es ist ein Hin und Her mit Haken und Ösen, bei dem ich tatsächlich vor allem deshalb den zweiten Platz belegt habe, weil ich mich am Ende zu nah ans Ziel herangeschlichen hatte. Ein wenig mehr Zurückhaltung wäre angesichts meines Kartenmaterials schlauer gewesen. Wieder was gelernt. Am Sonntag hatte ich dann noch die Gelegenheit, Fire in the Hole anzuspielen, bei dem ein Team aus Kaninchen und eins aus Maulwürfen einen Bauernhof untergraben und darauf hinarbeiten, dass von oben die leckeren Möhren herunterpurzeln. Passt man allerdings nicht auf und bohrt stattdessen den Kuhstall an, fallen weniger appetitliche Kuhfladen in den eigenen Bau. Da beide Teams bestrebt sind, das Labyrinth zu ihren Gunsten zu manipulieren, gibt es schöne Take-That-Momente. Leandros Spiele sind leicht zugänglich und bringen einen zum Lachen – auch sein Tisch war gut besucht und er konnte nicht nur so ziemlich für alle seine Prototypen Interesse bei Verlagen wecken, sondern er dürfte jetzt  auch gerade daran sitzen, weitere fertigzubasteln und hinterherzuschicken.

Ein bisschen Erleichterung habe ich dabei also empfunden, denn natürlich können niemals alle Autor*innen in Göttingen so viel Interesse wecken. Da freut es mich, dass es zumindest denjenigen mit der weitesten Anreise mit Bravour gelungen ist.

Loony Races und Fire in the Hole

Ansonsten habe ich noch Prototypen von Michael Luu, Sophia Wagner und Torsten Landsvoigt spielen können, die sich in verschiedenen Stadien der Fertigstellung befanden und allesamt clevere Ideen enthielten und die ich ohne Weiteres noch einmal spielen würde. Mal sehen, was davon am Ende auf dem Markt landet.

Noch ein kleines Schmankerl war, dass ich mit Michael Kiesling just in dem Moment ins Gespräch kam, als gerade sonst niemand an seinem Tisch stand, und er mich gleich einlud, mal eine schnelle Partie Azul mit ihm zu spielen. Es ist wahrscheinlich keine sonderliche Überraschung, dass es nicht wirklich knapp wurde. Faszinierend war für mich aber vor allem, wie schnell er als geübter Spieler seine Entscheidungen getroffen hat, während ich natürlich viel mehr nachdenken musste. Azul ist einfach ein tolles Spiel, das nur extrem wenige Leute, die ich kenne, gar nicht mögen.
Am Abend allerdings saßen wir noch bei Reinhold Wittig in fröhlicher Runde, und stellten fest, dass drei der fünf Leute in unserem Raum noch nie „The Mind“ gespielt hatten. Da kein Exemplar zur Hand war, improvisierten wir eine Fünferrunde mit 6-nimmt-Karten, Schraubenmuttern als Leben und noch irgendwas als Wurfsternen. Es war ganz, ganz großartig, es gab viel Gelächter und legendäre Szenen und wir schafften es tatsächlich im allerersten Anlauf, Level 6 zu bezwingen. Ich glaube, dass die drei Neulinge gar nicht so richtig verstanden haben, warum ich so aus dem Häuschen war (dritter Sieg in meiner 52. Partie). Am nächsten Tag erzählte mir einer, dass sie später noch diverse Partien drangehängt und da erst gemerkt hätten, wie schwierig das Ganze eigentlich ist.
Wenn ich mir diese beiden Spielerlebnisse im Abstand weniger Stunden so angucke, werde ich wieder dran erinnert, warum ich The Mind für die Wahl zum Spiel des Jahres so unheimlich die Daumen drücke. Azul ist ein tolles Spiel, sehr gut ausgewogen und mit einer schönen Interaktionsebene, die weder zu konfrontativ noch zu luschig ist. Würde ich jederzeit wieder spielen wollen. The Mind aber weckt Emotionen, und das ist das, was ich mir in einem Spiel besonders wünsche.

Am Sonntagabend hatte ich dann noch Rustan Håkansson zu Gast. Zumindest dessen Spiel Nations dürfte ja einigen von Euch bekannt sein. Wir haben leider nichts von seinen Spielen ausprobiert, aber es war einfach ein sehr anregender Abend mit ein bisschen Spielen und guten Gesprächen. Auch das ist für mich eine Stärke des Treffens in Göttingen: Ich nehme mir mehr Zeit für einzelne Leute.

Also, insgesamt ein wirklich tolles Wochenende für mich, und ich freue mich schon sehr auf das nächste Mal.

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