Friedrich Ludwig Heimbert Drude – ein Spieleautor aus dem 18. Jahrhundert?

Schon vor längerer Zeit hatte ich mal nach meinem Großvater gegoogelt, weil mich eine bestimmte Information interessiert hatte. Da war ich auch fündig geworden, aber nebenbei zufällig auf einen anderen Vorfahren von mir gestoßen, nämlich auf meinen Ururururgroßvater Fried(e)rich Lud(e)wig Heimbert Drude (1752-1840). Zu dem gab es gleich eine ganze Reihe von Treffern zu bestaunen, unter anderem einen, der mich natürlich gleich hellhörig machte, nämlich eine Veröffentlichung namens Das Geographische Spiel – erste Stunde von 1780. Meine Kenntnisse über Friedrich Ludwig Heimbert Drude hatten sich bis dahin auf die Erinnerung an ein Bild von ihm beschränkt, das in meiner Kindheit bei meinen Großeltern an der Wand gehangen hatte. Und daran,  dass dieser Vorfahr von mir 88 Jahre alt geworden war, was zu seiner Zeit natürlich eine echte Besonderheit gewesen war. Alle meine direkten männlichen Vorfahren bis ins 17. Jahrhundert hinein waren Pastoren gewesen, das wusste ich ebenfalls. Nun aber ein geographisches Spiel von einem von ihnen? Wahrscheinlich, so verriet der Zusatz „erste Stunde“, zu Unterrichtszwecken konzipiert? Das musste ich mir natürlich näher ansehen.

Friedrich Ludwig Heimbert Drude
Friederich Ludewig Heimbert Drude (1752-1840)

Ein Exemplar dieses Werkes ist in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek in Göttingen erhalten, an der ich öfter mal vorbeikomme. Irgendwann bestellte ich mir also so einen Gastausweis für die Bibliothek und das Buch in einen Lesesaal (so alte Bücher kann man nicht ausleihen). Ich musste ein bisschen darauf warten, und in der Zwischenzeit machte ich mir so meine Gedanken – was ist eigentlich das älteste Spiel, dessen Autor/in namentlich bekannt ist?
Ich fragte also bei boardgamegeek herum und landete bei einem gewissen John Jefferys, der 1759 das Spiel A Journey Through Europe veröffentlicht hatte. Einige frühere Spiele (bis ins 11. Jahrhundert hinein) werden benennbaren Personen zugeordnet, aber meist ist entweder unklar, ob diese Personen nur über Spiele geschrieben haben, die vorher schon existierten, oder ob sie sogar überhaupt nichts damit zu tun hatten (diverse Spiele wurden angeblich von Königen und Kaisern zugeschrieben, was einfach zu ihrer Hagiographie gehören mag, das lässt sich natürlich heute kaum noch klären). John Jefferys gilt also nach aktuellem Wissensstand als der früheste klar benennbare Spieleautor.¹ 1759 – da wäre mein Vorfahr ja gar nicht so weit entfernt gewesen. Die Spannung stieg.

Währenddessen las ich in einer kurzen Biographie von Friedrich Ludwig Heimbert Drude, so dass ich auch hier meine Kenntnisse auffrischen konnte und das Bild, das ich damals so oft gesehen hatte, wieder zu mir kam. Auch in dieser Biographie ist das Spiel erwähnt, als erschienen zuerst in Bremen 1778. Die schönste Geschichte ist aber die, wo er nach Amerika auswandern wollte, weil er mit seinem Lehrergehalt seinen beiden Söhnen kein Studium finanzieren konnte. Ich zitiere mal:

Da begegnete er eines Tages dem Herzog Wilhelm Ferdinand auf der Straße, und dieser redete ihn in seiner leutseligen Weise an: „Aber lieber Drude, was ist das, Sie wollen uns verlassen und nach Amerika auswandern?“ Als der Angeredete auf sein geringes Einkommen und die steigenden Bedürfnisse seiner Familie hinwies, sagte der Herzog: „Nun, es gibt doch Pfarrstellen im Lande, die Ihnen verliehen werden können.“ Drude machte geltend, dass er über 50 Jahre alt sei, nie irgendwelche Übung im Predigtamte gehabt habe und deshalb nicht wohl darauf rechnen könne, mit einer Pfarrstelle bedacht zu werden. Der Herzog sagte: „Ich werde schon für Sie sorgen“. Daraufhin wurde Drude im Jahre 1803 die Pfarrstelle zu Beddingen verliehen. ²

Ein schöner Einblick in eine uns mittlerweile doch sehr fremde Zeit. Also kurz gesagt: Drude war Lehrer aus Leidenschaft, ist dann aber aus finanziellen Erwägungen mit 51 Jahren Pastor geworden. Das Geographische Spiel stammt aber von 1778/80, ist also aus seiner Zeit als Lehrer in Braunschweig.

Friedrich Ludwig Heimbert Drude
Titelseite „Das Geographische Spiel“

Als ich dann die Treppe zum Lesesaal der alten Universitätsbibliothek hochging, war ich schon in fast festlicher Stimmung. Die 72 Seiten waren in einen Sammelband eingeheftet, der hauptsächlich Ausgaben der Zeitschrift „Der Kinderfreund“ aus jener Zeit enthielt – ich musste erst ein bisschen suchen, bis ich das da drin gefunden hatte.
Und dann sah ich… dass das gar nicht die Art von Spiel war, die ich erhofft hatte, und wurde daran erinnert, dass „Spiel“ doch mehrere Bedeutungen haben kann. Und dass das Verständnis dieser Bedeutungen sich im Laufe der Zeit gewandelt hat. Das Geographische Spiel ist ein Schauspiel, in dem eine Geographiestunde dargestellt wird. Es beginnt ansatzlos und ohne weitere Erläuterungen damit, dass die Kinder (etwa zehn Jahre alt) den Lehrer darum bitten, mit ihnen statt des normalen Unterrichts zu spielen. Das bedeutet allerdings nicht viel mehr, als dass sie zufällig eine Landkarte zugelost bekommen und über das gezogene Land ein wenig referieren sollen. Daraus entwickelt sich ein Unterrichtsgespräch zwischen den Schülern. Der Lehrer ergänzt und beantwortet Fragen und pfeift die Schüler zurück, wenn sie sich bei irgendetwas zu weit aus dem Fenster lehnen. Und, das ist wahrscheinlich das Wichtigste, liefert allgemein den moralischen Rahmen für das Ganze. So erklärt er den Kindern, die sich um die armen christlichen Sklaven in Algier sorgen, dass diese doch noch besser dran seien als die Sklaven der Franzosen auf La Réunion, ermahnt die Schüler, nicht über die Minenarbeiter zu spotten, die sich ihre Gesundheit ruinieren, erzählt eine schwärmerische Geschichte von der Großzügigkeit des Kaisers Joseph und warnt schließlich vor Freigeistern wie Voltaire, die er mit unzivilisierten Völkern vergleicht, die sich nicht mal waschen. Die Kinder sind begeistert und erbetteln eine Wiederholung – aber bitten lässt sich der Lehrer nicht, nur durch Leistung lassen sich solche Abweichungen vom Unterrichtsalltag erreichen.

Der Lehrer ermahnt die Schüler, andere Berufe nicht geringzuschätzen.

Ich arbeite selbst als Sprachdozent in der Erwachsenenbildung, und würde einen solchen Unterrichtsentwurf sicherlich nicht als „Spiel“ bezeichnen, aber da haben sich die Zeiten offensichtlich geändert. Was die Frage aufwirft, wie eine normale Geographiestunde damals ausgesehen haben mag. Vielleicht mit weniger Interaktion der Schüler untereinander, mit weniger Zufall und mehr Plan. Ebenso wie die Biographie ist jedenfalls auch Das Geographische Spiel ein interessanter Einblick in eine uns heute doch recht fremde Welt. Drude stellt eine zumindest damals wohl moderne Unterrichtsform (als „Spiel“) vor, grenzt sie aber gleichzeitig vom normalen, „richtigen“ Unterricht ab, als etwas, das eben nur in Ausnahmefällen zum Einsatz kommt (da es letztlich eine, wenn auch sanktions- und belohnungsfreie Abfrage von Wissen ist, muss das Wissen natürlich auch erstmal angesammelt werden). Na ja, und so ein Unterricht dürfte im Zweifelsfall zumindest mal nicht weniger Spaß machen als eine Runde Trivial Pursuit. Ob oder wo das Spiel jemals zur Aufführung gekommen ist, weiß ich nicht, ob das überhaupt Drudes Absicht war, ebensowenig. Aber auf alle Fälle bin ich froh, es mal gelesen zu haben, auch wenn sich meine Hoffnung, einen waschechten Spieleautoren unter meinen Vorfahren zu finden, nicht erfüllt hat.
Ich selbst mag ja auch Abwechslung bei den Spielen, die ich spiele, da ist es geradezu tröstlich, sich daran zu erinnern, wie vielseitig der Begriff „Spiel“ doch ist.

Meine Lieblingsstelle – mit schlechten Nachrichten über den englischen Winter…

P.S.: Schon mal Eure Großeltern gegoogelt?

 

¹Es gab da auch noch einen Pater Claude Buffier im früheren 18. Jahrhundert, bei dem mir nicht klar ist, warum dessen Urheberschaft an einem Spiel angezweifelt wird. Ich bleibe dran.

² Lebensbeschreibung des Friedrich Ludwig Heimbert Drude
Verfasst von seinem Urenkel Walther Drude, veröffentlicht unter dem Thema: „Aus dem Leben früherer Braunschweigischer Theologen“ in den Evang. luth. Wochenblättern 1909 Nr. 13 ff.
Zitiert nach einer Abschrift durch meinen Großvater.

6 Gedanken zu „Friedrich Ludwig Heimbert Drude – ein Spieleautor aus dem 18. Jahrhundert?

  1. Ich würde gern mit dem Autor (dem Nachkomme von Friedrich Ludwig Heimbert Drude) in Kontakt kommen. Ein Nachkomme von ihm, mit gleichem Namen, heiratete eine Urgroßtante von mir. Können wir da Daten austauschen?
    Mit vielen Grüßen
    Rolf Stein

        1. Ich habe es jetzt noch mal mit der anderen Adresse versucht. Ich hoffe, die ist angekommen (es sind zwei Anhänge dran, da weiß man manchmal nicht, ob die durchkommen).

  2. Ist leider auch nicht angekommen. Anscheinend wir meine Mail Adresse weggelassen. Hier nochmal in drei geteilt:
    Rolfstein
    at
    prodigy.net.mx
    oder auch
    Rolfstein
    at
    Outlook.com
    Am Besten erstmal ohne Anhang, wenns klappt, können wir Mails austauschen.

    1. Ich hatte Deine Adressen ausgestrichen, damit sie nicht in der Öffentlichkeit stehen. Vielleicht kannst Du mal gamenews@lidude.net in Deine Adressbücher aufnehmen und mir selbst eine Mail dahin schreiben. Wenn ich darauf antworte, sollte zumindest Dein Mailprogramm es nicht ausfiltern. Wenn das auch nicht klappt, kannst Du mich auch unter sozialen Medien erreichen: https://lidude.net/soziale-medien/ Wird schon irgendwie klappen – ich freu mich drauf!

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